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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 1-2
53. Jahrgang | Mai
Leitartikel
Anti-Kultur-Abbau-Gala als Patentrezept?
Noch fehlt der Schulterschluss aller am Musikleben Beteiligten
· Von Stefan Piendl
Er steht wieder mal vor der Tür: der erste Mai, Tag der Arbeit.
Wo aber bleibt der „Tag der Musik“? An gemeinsamen Zielen
für die es sich zu engagieren lohnt, mangelt es in der Musikwelt
jedenfalls nicht. Aber worauf warten wir dann noch? Das Musikleben
in Deutschland hat es erstaunlicherweise bisher noch nicht geschafft,
sich wirklich gemeinschaftlich für seine Ziele einzusetzen.
Dabei wird es höchste Zeit…
Kaum ein Tag vergeht ohne Negativ-Schlagzeilen aus der Musikwelt.
Zum Beispiel der immer weniger stattfindende Musikunterricht an
den Schulen, Diskussionen über zu schließende Orchester
und Opernhäuser, die sich zuspitzende Lage der Musikwirtschaft.
Die Liste ließe sich noch deutlich verlängern. Das Weheklagen
ist nicht neu, im Gegenteil: es geht manchem schon gehörig
auf die Nerven. Dafür gibt es gleich mehrere Gründe. Erstens:
der oft übertriebene, düstere Pessimismus in manchen Medien,
das bejammern einer Krise als Selbstzweck. Zweitens: selbstgefällige
Schuldzuweisungen an die üblichen Verdächtigen wie zum
Beispiel „unfähige Politiker“ und die „gierige
Musikwirtschaft“ (hier wiederum sind die großen Tonträgerunternehmen,
die so genannten „Majors“, in der Rolle als Sündenbock
der Favorit) bis hin zum Ottonormalverbraucher, der sich doch tatsächlich
erdreistet, lieber mit RTL neue Superstars zu suchen statt brav
nach Donaueschingen zu pilgern. Drittens: der meist fehlende konstruktive
Ansatz, wie man es denn besser machen könnte. Selbst die nmz
als tapfere und unbestechliche Kämpferin für das Wohl
des deutschen Musiklebens konzentriert sich in so manchem Kommentar
ganz „taktlos“ allzu sehr auf das Versprühen von
oft Gift und Galle und vergisst dabei auch schon mal Vorschläge
für neue Ansätze zu machen. Viertens: die Einseitigkeit
in der Beurteilung der Lage. Geschlossenen Häusern stehen schließlich
auch Neueröffnungen gegenüber: eine Oper in Erfurt, neue
Philharmonien in Essen und Dortmund und trotz eines seit Jahren
rückläufigen Marktes gibt es auch die Plattenfirmen nach
wie vor.
Praktisch alle Bereiche des Musiklebens sind in der letzten Zeit
mehr oder weniger in Bedrängnis geraten. Aber: in Deutschland
wird doch auf einem beachtlich hohen Niveau geklagt, das Glas ist
nicht halb leer sondern mindestens halb voll. Nun mag mancher fragen,
wo denn da bitteschön der Unterschied liegt? Mal abgesehen
davon, dass mit gesundem Optimismus mehr Positives zu bewegen ist
als mit masochistischer Selbstzerfleischung, ist es ein Unterschied
wie zwischen Tag und Nacht. Es geht zum Beispiel auch um die Attraktivität
die man für Partner ausstrahlt. Stichwort Sponsoren: dort gilt
die Suche guten Rennpferden, die durch weitere Investitionen noch
schneller werden und mit denen man sich identifiziert, nicht lahmen
Ackergäulen, die ihre beste Zeit hinter sich haben und nur
noch ihr verdientes Gnadenbrot erhalten. Ich glaube kaum, dass den
nicht müde werdenden Propheten des Untergangs der Klassik mit
ihren wiedergekäuten Endzeitszenarien zum Beispiel der Gedanke
an Sponsoren und den Schaden den sie diesbezüglich anrichten,
bewusst ist.
Wenn man seine Blickrichtung verändert, weg von den Kommentaren
in den Medien und dem Palaver auf den Podien von Kongressen und
Messen hin zu den handelnden Personen, fällt einem zweierlei
auf: erstens, es mangelt nicht am Engagement derer, die guten Willens
sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um das Heer ehrenamtlich
engagierter Menschen handelt oder aber um all diejenigen, die von
der Musik leben, seien es die Musiker selbst, Kulturmanager, Musiklehrer
oder all die anderen Berufstätigen, die im Umfeld der Musik
beschäftigt sind. Auch unzählige Vereine und Verbände
sowie deren Funktionäre entwickeln vielfältige Aktivitäten,
engagieren sich gegen Fehlentwicklungen aller Art. Natürlich
auch Politiker und die Musikwirtschaft. Es mag manchmal schwierig
zu beurteilen sein, ob es dabei tatsächlich immer um die Musik
geht oder doch eher um das liebe Geld, Image oder Wählerstimmen.
Aber lassen wir hier im Zweifelsfall ruhig mal das Motto „Der
Zweck heiligt die Mittel“ gelten.
Viel bedeutsamer erscheint mir aber die zweite Auffälligkeit:
weit und breit ist nichts von einer echten, kraftvollen, konzertierten
Aktion der Musikwelt gegen die Missstände, die uns Sorgen bereiten,
zu sehen oder zu hören! Ist das nicht wirklich ebenso unverständlich
wie unverzeihlich? Da kommt keine Wahlveranstaltung der Parteien,
egal welcher Couleur, ohne Musik aus, kein Fest- oder Staatsakt
auf dem nicht gegeigt wird. Rock gegen Rechts, am Ring und auf der
Loreley, Open Airs für Afrika, Benefiz-Galas in Sachen Aids
und für die deutsch-israelische Freundschaft. Es gibt den Bundespresse-Ball
und den Ball des Sports, natürlich alles mit Musik –
wo aber bleibt der Ball der Musik? Wo bleibt die Benefitz-Gala für
die Berliner Sinfoniker? Warum gibt es kein Rock gegen Kultusminister,
die den Musikunterricht in ihren Ländern vor die Hunde gehen
lassen? Warum reden Musiker mehr gegen Missstände als die Kraft
und Macht der Musik im großen Stil für die eigenen Ziele
einzusetzen?
Warum gibt es in Deutschland keinen konzertierten „Tag der
Musik“ oder besser gleich eine ganze Woche? Warum fehlt der
Schulterschluss zwischen allen am Musikleben beteiligten Menschen,
Laien und Profis, Ehrenamtlichen und Berufstätigen, Verbänden
und Musikwirtschaft, Medien und Politik?! Warum geht es in anderen
Ländern, zum Beispiel in Frankreich mit den „Fetes de
la musique“ – aber nicht bei uns? Ist etwa der Leidensdruck
(noch) nicht groß genug?
Dann sollten wir auch aufhören unsere Situation zu bejammern!
Oder fehlt es an der Person oder besser an der Institution, die
sich übergreifend dieser Aufgabe stellt und die Herausforderung
annimmt? Lobbyarbeit lebt zum einen auch ganz entscheidend von der
geballten Kraft der hinter ihr stehenden Personen, der (Wirtschafts-)macht
der Organisationen und von der Mobilisierung der öffentlichen
Meinung. In der Wirtschaft zeigen es uns die Unternehmen die, im
Alltag oft erbitterte Konkurrenten, wenn es um die Wahrnehmung ihrer
Interessen geht, einträchtig zusammenstehen. Die Musikwelt,
die ja aus weit mehr besteht als nur aus der „Musikbranche“,
hat noch gar nicht richtig erkannt, welche Bedeutung sie hat wenn
man sie nur als Gesamtes betrachten würde und sie vor allem
auch geeint agieren könnte. Kumuliert handelt es sich nämlich
um einen der größten Wirtschaftzweige in Deutschland.
In der öffentlichen Wahrnehmung lassen wir uns aber von Lobbyisten
wie dem Bauernverband, der Pharmazeutischen Industrie, dem Kohlebergbau
oder den Gewerkschaften die Butter vom Brot nehmen. Dabei ist die
Musik selbst schon ein Pfund mit dem sich emotional viel besser
wuchern ließe.
Vor wenigen Jahren nahm der Deutsche Musikrat einen Anlauf in die
richtige Richtung und verabschiedete die „Aktion Musik“
mit dem Schwerpunkt auf Förderung der Musikalischen Bildung.
Das war insofern klug, als es sich dabei um ein konsensfähiges
Thema auf breiter Basis handelt. Wer möchte schon am Sinn musikalischer
Bildung zweifeln? Selbst unser Bundespräsident macht sich dafür
stark. Aber bevor die „Aktion Musik“, die von Anfang
an ein bisschen zu sehr nach „Aktion Sorgenkind“ klang
und ein wenig kopflastig und freudlos daherkam, so richtig Fahrt
aufnehmen konnte, geriet der Musikrat selbst vom Kurs ab und musste,
bis durch die Insolvenz im Jahr des fünfzigjährigen Jubiläums,
um das eigene Überleben kämpfen.
Das ist nun geschafft. Neu organisiert und strukturiert und mit
neuem Präsidium versehen, sollte man doch nun in der Lage sein,
sowohl die Kräfte wie auch die Mitglieder zu vereinen und eine
Kampagne auf die Beine zu stellen, die Deutschland bisher noch nicht
erlebt hat.
Eine Woche das ganze Land in Musik eintauchen, erst lokal und regional
und dann mit einem fantasievollen Abschlusstag, der jedem Politiker
klar macht, dass es keine gute Idee ist, sich mit Kürzungen
im kulturellen und musischem Bereich profilieren zu wollen und jedem
Wirtschaftskapitän vor Augen und vor Ohren führt, dass
es kaum eine bessere Idee gibt, als Sponsorengelder in die Welt
der Musik fliesen zu lassen! Nur wenig erreicht die Herzen der Menschen
so gut wie die Musik, nur wenig weckt ebenso positive Emotionen
wie die Musik. Können wir es uns wirklich leisten, die Musik
in den Konzertsälen zu belassen und sie zwar für alle
möglichen guten Zwecke einzusetzen aber nicht für die
eigenen Ziele?
Kann es dabei bleiben, dass die Vereine und Verbände zwar
für sich selbst betrachtet oft hervorragende Arbeit leisten,
aber ausgerechnet die Menschen, die darauf trainiert sind gemeinsam
Harmonien zu erzeugen eben gerade dies nicht zu Stande bringen,
wenn es darum geht, sich machtvoll für gemeinsame Ziele wie
die Förderung und den Schutz der musikalischen Bildung einzusetzen?
Wohl kaum, deshalb: Musiker aller Bundesländer vereinigt Euch
– und erweckt die Idee des „Tages der Musik“ zum
Leben, jedes Jahr aufs Neue.