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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 8
53. Jahrgang | Mai
Magazin
Diven-Himmel
Das Geschäft mit den Neo-Crooners
Sie haben eine Bekannte, die ganz gut singt? Die es gerne jazzig
hat, aber auf keinen Fall mit wildem Free Jazz verschrecken will?
Sie sieht auch noch gut aus? Dann sollten Sie oder das Arbeitsamt
ihr unbedingt raten, Jazzsängerin zu werden.
Ein Blick in die Jazzcharts würde die Empfehlung untermauern:
dort herrschen Sängerinnen. Manche – etwa Cassandra Wilson
– haben schon Jazz gesungen, als das Wort Jazz Marketing-Experten
noch in Ohnmacht fallen ließ. Andere sind erst seit kurzem
im Geschäft, posen dafür aber schon nach den allerersten
Erfolgen um so aufdringlicher als Jazz-Diva oder Chanteuse.
Cassandra Wilson
Fotos: nmz-Archiv
Im März boten die Jazzcharts folgendes Bild. Auf Platz eins
und zwei stand – natürlich – Norah Jones, die auch
die Pop-Charts anführte. Von drei bis zehn folgten sechs weitere
Sängerinnen: Skandinavierinnen wie Silje Nergaard, Rebekka
Bakken und Viktoria Tolstoy, die wie ein nordischer Klon von Norah
Jones klingt, danach Newcomer Lizz Wright und Cassandra Wilson,
die mit ihren jazzigen Coverversionen von Blues-, Country- und Rocknummern
so etwas wie die Blaupause und das Erfolgsrezept nicht nur für
Norah Jones geliefert hat. Pop-, Rock- und Country-Klassiker, die
in der richtigen Kombination unter dem neuen Genre „Americana“
figurieren, werden sachte eingejazzt und um Standards aus der Jazz-Tradition
ergänzt. In der Summe ergibt das ein Repertoire, das mit Jazz
im engeren Sinne nur noch am Rande etwas zu tun hat, dafür
aber auch ein Publikum von außerhalb des Jazz-Gettos erreicht.
Noch weiblicher werden die Jazz-Charts ausfallen, seit im April
das neue schöne Album von Diana Krall herausgekommen ist, der
in den vergangenen Jahren erfolgreichsten und bestechendsten aller
echten und unechten Jazzdiven. Oder wenn Nellie McKay endlich mehr
Beachtung findet mit ihrem ungewöhnlichen Debüt „Get
Away From Me“ – ein schwarzhumoriges Stück Musik,
das im Titel die Dauerromantik von Norah Jones („Come Away
With Me“) und Jane Monheit („Come Dream With Me“)
ironisiert, auch wenn sie musikalisch manches mit ihnen teilt: den
Jazz etwa, oder die unterkühlte Erotik des Torch-Songs.
Auffällig ist, dass der Crossover-Erfolg, der Vorstoß
in Pop-Regionen also, was Verkaufszahlen und Medienecho betrifft,
fast ausschließlich weißen Sängerinnen vorbehalten
ist. Eine Dee Dee Bridgewater, eine Abbey Lincoln und selbst eine
Cassandra Wilson hinken dem Erfolg von Diana Krall & Co. meilenweit
hinterher, was die Diskussion um neuen und alten Rassismus im Musikgeschäft
belebt hat. Diana Krall, als Musikerin geschätzt, wegen ihres
unausgesprochen „weißen“ „Ich-bin-eine-Jazz-Diva“-Images
aber von vielen angefeindet, ist es inzwischen leid, sich für
unterschiedlich hohe Marketing-Budgets und Verkaufszahlen zu rechtfertigen.
Über (schwarze) Kolleginnen und deren Äußerungen
mag sich Diana Krall mittlerweile gar nicht mehr äußern.
Jamie Cullum
Fotos: nmz-Archiv
Ausschau muss man bislang auch nach männlichen Kollegen von
Diana Krall, Norah Jones oder Jane Monheit halten. Noch immer stehen
sie im Schatten der Sängerinnen, auch wenn das Modell der männlichen
Jazz-Diva – der Crooner – derzeit stärker denn
je wiederbelebt wird. Da gibt es den erst 19-jährigen Peter
Cincotti, der ganz nett Klavier und mit ergreifender Ausdruckslosigkeit
eigene Songs spielt, die krampfhaft nach den großen Vorbildern
wie den Gershwins oder Cole Porter klingen sollen. Vom „Spiegel“
ist er trotzdem zum Wunderkind ausgerufen worden. Immerhin hat er
in den Charts schon seinen eigenen Förderer überholt,
Harry Connick jr., der ebenfalls Klavier spielt, singt und von allen
Neo-Croonern der mit dem längsten Atem ist. Connick croont
mit allen Auf und Abs seit mehr als zwanzig Jahren und hat dabei
abwechselnd verschnarchte und ganz nette Alben aufgenommen.
Aus England wird das „Great American Songbook“ von
Jamie Cullum bedient, den seine Plattenfirma als „Sinatra
in Turnschuhen“ bewirbt. Cullum mischt Evergreens wie „Singin’
in the Rain“ mit akustischen Jazzversionen von Radiohead-
oder Hendrix-Songs auf. Ähnlich wie der Saxofonist und Sänger
Curtis Stigers, der sich auf seiner neuesten CD croonend über
Songs von Bob Dylan, Joe Jackson oder John Lennon hermacht. Bei
Cullum prägt die Kombination aus poppigem Jazz und swingendem
Rock auch den Live-Act. Wenn er unter den Flügel krabbelt und
an der Tastatur so herumturnt, als sei der Steinway eine E-Gitarre,
hat Jamie Cullums Neo-Crooning mehr mit Brit-Pop als der weltläufigen
Eleganz im Smoking zu tun.
Für die Springflut an Möchte-Gern-Sinatras, die an den
Erfolg ihrer erfolgreicheren Kolleginnen anzuknüpfen versuchen,
gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste heißt Robbie Williams.
Dessen „Swing, when you’re winning“-Album war
eigentlich nichts Neues: Einen Sänger, der im Pop und Rock
alles erreicht hat, drängt es zu höheren Aufgaben. Indem
er durch ein Sinatra- und Bobby-Darin-Repertoire croont, erteilt
er sich den Ritterschlag vermeintlich höherer Pop-Weihen. Der
Unterschied zu Croon-Experimenten von Leuten wie Bryan Ferry oder
Rod Stewart: Robbie Williams machte seine Sache nicht nur gut, er
war auch bei einem jüngeren Publikum damit erfolgreich. Als
ob es darum ginge, sich mit größtmöglicher Authentizität
vom Makel seiner Boy-Group-Vergangenheit freizusingen, tat Williams
alles, um den Glamour swingenden Entertainments der 50er und 60er
Jahre heraufzubeschwören. Originalgetreu nachgestellt waren
nicht nur Musik, sondern auch Optik. Vom Gel im Haar über die
Klamotten bis hin zum Capitol-Logo, das wie einst bei Sinatra auf
der CD prangt, war „Swing when you’re winning“
ein Triumph historischer Aufführungspraxis.
Diana Krall.
Fotos: nmz-Archiv
Der um ihr Überleben bangenden Musikindustrie kommt der Trend
mit den Jazz-Diven und Neo-Croonern gelegen. Ohne Diana Krall würde
es „Verve“ in dieser Form nicht mehr geben, ohne Norah
Jones und die 18 Millionen verkauften CDs ihres Debüts gäbe
es bei EMI kein „Blue Note“-Label mehr – da ist
es dann auch egal, dass Norah Jones’ unaufdringlich-sanfter
Akustik-Balsam aus Country, Folk und Bluegrass im Gegensatz zu Diana
Krall mit Jazz nur wenig zu tun hat. Wenn Millionen Leute es gerne
ein klein wenig angejazzt haben und „Jazz“ in homöopathischer
Dosis nicht mehr als Verkaufskiller, sondern Förderer funktioniert,
setzt man eben auf das Etikett „Jazz“ und eine weitere
Diversifizierung des Programms.
Auch Al Green und Van Morrison – verdiente Legenden, aber
keine Crooner und schon gar keine Jazzer – stehen seit kurzem
bei „Blue Note“ unter Vertrag. Wer da von Jazz spricht,
betreibt Etikettenschwindel, allerdings einen, der sich lohnt. Als
Synonym für musikalische Wertarbeit, die sich vom infantilen
Zustand des Casting-Pop distanziert, zieht „Jazz“ –
gerade in seiner vagesten und aufgeweichtesten Bedeutung –
wieder ein Publikum an, das eigentlich schon ausgestorben schien:
Eines, das Fans jeden Alters – vom 15-jährigen Teeanger
bis zum Rentner – vereint, darunter besonders viele, die Musik
nicht nur herunterladen und kopieren, sondern auch kaufen.
Wenn der 15-jährige Teenager über Jamie Cullum auch Frank
Sinatra für sich entdeckt, müsste man über die ganze
Schwemme an Croonern und Diven, Jazz und Angejazztem nicht einmal
die Nase rümpfen. Dann würde der Zweck einfach nur die
Mittel heiligen. Denn wer nur auf die Verkaufserfolge schielt, dem
entgehen die wahren Gesangs-Größen des richtigen Jazz:
Kevin Mahoganny etwa, ein Mann mit dem Brust- und Tonumfang einer
Regentonne. Oder Shirley Horn, das Vorbild von Diana Krall. Die
große alte Dame kann wegen eines amputierten Fußes die
Beine zwar nicht mehr so hübsch übereinander schlagen
wie Krall, aber die träge, schöne Coolness der Diana Krall
wäre undenkbar ohne Shirley Horn und ihre Entdeckung der Langsamkeit
für den Jazz.
Claus Lochbihler
Diskografie
Silje Nergaard: Nightwatch (Emarcy/Universal)
Viktoria Tolstoy: Shining On You (ACT)
Lizz Wright: Salt (Verve)
Rebekka Bakken: The Art of How to Fall (Emarcy/Universal)
Cassandra Wilson: Glamoured (Blue Note)
Peter Cincotti (Concord)
Harry Connick Jr.: Only You (Sony)
Curtis Stigers: You Inspire Me (Concord)
Jamie Cullum: Twenty Something (Universal)
Diana Krall: The Girl In The Other Room (Verve)
Nellie McKay: Get Away From Me (Sony/Columbia)
Kevin Mahoganny: Pride & Joy (Telarc Jazz)
Shirley Horn: May The Music Never End (Verve)