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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 24
53. Jahrgang | Mai
Musikvermittlung
Musikalische Begegnungen beim Gang durch den Vogelpark
Concertino Piccolino: Eine Konzertreihe für Vorschulkinder
der Musikhochschule Detmold · Von Ernst Klaus Schneider
Erwartungsvoll strömen hundert vier-bis sechsjährige
Kinder mit ihren Angehörigen in das Sommertheater Detmold.
Sie kommen in das 5. Konzert der Reihe „Unterwegs mit Klang
und Farbe“. 20 Kinder haben aus diesem Anlass Vogelbilder
gemalt und eingeschickt; diese hängen, jedes für sich,
in einem Pappkarton (leere Kästen aus dem Großmarkt).
Wie ein Wolkenkuckucksheim sind die Kartons im Eingangsbereich und
vor der Bühne hoch aufgestapelt: Volièren.
Die Kinder kennen nach vier Konzerten die Wege im Saal. Sie versammeln
sich auf Sitzkissen vor der Bühne; die Eltern nehmen Platz
auf den Sesseln. Einzelne Mütter oder Väter sitzen zwischen
den Kindern. Ruhe kehrt ein. Ein Instrumentalensemble intoniert
das Vorspiel zur Arie des Papageno von Mozart, den meisten ein vertrautes
Stück. Singend kommt der Sänger mit dem Piccolospieler
herein. Alle Kinder dürfen die Pfeifstellen mitmachen. Im mitgebrachten
Vogelkäfig sitzt ein kleiner Fantasievogel. Die Moderatorin
verwickelt den Sänger und die Kinder in ein Gespräch:
Wie mag sich die Stimme dieses Vogels anhören? Der Piccolospieler
improvisiert entsprechend den Kindervorschlägen und nähert
sich damit dem Colibri-Stück für Piccoloflöte von
Sigfried Karg-Elert, das er dann mit Klavierbegleitung vorträgt.
Die Kinder kennen das „Concertino-Lied“ und können
es singen. Heute bringen sie es dem Sänger bei. Der revanchiert
sich mit einem Eulenlied, bei dem die Kinder den Eulenruf nachahmen.
Beim Gang durch den Park reiht sich Szene an Szene. Ein Stück
für Harfe wird in Bewegung umgesetzt, in einem anderen übernehmen
die Kinder den Kuckucksruf (Saint-Saëns). Vier in ihren „Volièren“
hängende Vogelbilder von Kindern werden vokal in einer avantgardistischen
Vogelmusik zum Klingen gebracht, in der auch die „Lerche“
von Dinicu aufsteigt. Vorher hatte die Katze „Tigris“
aus Heinz Holligers „Kinderleicht“ vergeblich einen
Vogel gejagt. Finale des Konzerts ist ein freier Pfauentanz der
Kinder. Dabei haben alle eine Pfauenfeder in der Hand. Der Rundweg
durch die verschiedenen Stationen des Vogelparks kommt zum Ausgang
zurück. Der Vogelfänger verabschiedet sich mit seinem
Lied. Die Kinder winken ihm mit der Pfauenfeder nach.
Überlegungen zum Konzept
In dem geschilderten Konzertablauf lassen sich Grundsätze
der Konzeption ableiten, die wir durchgehend umgesetzt haben: Kinder
in diesem Alter nehmen mit allen Sinnen wahr; sie erleben ihre Welt
besonders intensiv, wenn sie mit eigenem Tun beteiligt sind. Musikhören
und freies Spiel, Bewegen und Tanzen, Singen und bildnerisches Gestalten
greifen deshalb in den Konzerten ineinander. Die Forderung nach
einem Hören mit allen Sinnen legte es nahe, die Bildende Kunst
in die Konzerte zu integrieren. Beim Vogelpark-Konzert etwa wurden
Bilder von Adolph Menzel aus dem „Kinderalbum“ gezeigt.
Für diese Altersgruppe müssen es Konzerte sein, die
sie gemeinsam mit ihren Eltern und Angehörigen erleben. Die
Bindung zu den Bezugspersonen ist für die Kinder ein Rückhalt
für das neu zu Entdeckende. Erwachsene wie Kinder werden in
das Geschehen einbezogen. Wichtig ist es, dass auch die Erwachsenen
von der Musik angesprochen werden. Angesichts der Orientierung der
Kinder an Personen werden die Konzerte durchgehend von einer Moderatorin
betreut.
Vorschulkinder sind offen für jede Art Musik. Deshalb erklingt
ein sehr breites Spektrum von Musik: Improvisationen, alte und neue
Musik. Die Auswahl orientiert sich an der Qualität einer Musik:
immer soll es Musik sein, mit der anhaltend zu beschäftigen
sich lohnt. Doch die Musikstücke müssen kurz sein (zirka
drei Minuten). Für diese Altersgruppe hat es sich bewährt,
ein außermusikalisches Rahmenthema zu wählen, das Kindern
Gelegenheit gibt, ihre Vorerfahrungen einzubringen und sich mit
Situationen und Personen zu identifizieren. Die Konzerte werden
als Szenenfolge konzipiert. Als Rahmen wählten wir übliche
Familienaktivitäten:
Ausflug auf dem Bauernhof: Musik von Schumann, Yun, Biber,
Bartók/ Bild von Miró („Gepflügte Erde“,
1923/24)
Auf in den Zirkus! Musik von Berio, Mozart, Scarlatti, Gubaidulina/Bild
von Halpert (Trapeze Artist, 1924)
…in Eis und Schnee: Musik von Debussy, Mozart, Purcell/Bild
von Avercamp (Winterfreuden,1609)
Besuch im Museum: Musik von Bach, Ibert, Francaix, Mussorgsky,/Einbeziehen
des Malers Rainer Krause mit eigenen Bildern
Ein Gang durch den Vogelpark (siehe oben)
Im Spiel der Wellen – Ferien am Wasser: Musik von Satie,
Schumann, Mussorgsky/Bild Kch (Die Regatta, 1994)
Um die Beliebigkeit eines einmaligen Sonntag-Morgen-Vergnügens
zu umgehen und um Nachhaltigkeit der Erfahrungen zu fördern,
erleben die Kinder mehrere Konzerte (Abonnementreihe). Als Eintrittskarten
wurden rote Anstecknadeln für Kinder und Erwachsene hergestellt,
die neben der Aufschrift einen Katzenkopf aus einem Miró-Gemälde
zeigen. Kinder und Erwachsene tragen dieses Zeichen, das alle miteinander
verbindet.
In unserem Konzert freuten sich die Kinder und lachten, wenn unerwartete
Klänge und Geräusche produziert wurden. Sie erzählten
gern von Erlebnissen und reagierten schnell auf Fragen. Sie beobachteten
besonders intensiv, wenn die musikalische Vorführung als Szene
gestaltet war. Sie hatten Schwierigkeiten, „nur“ der
Musik zu folgen und es dauerte länger, bis die Kinder die Lieder
mitsingen konnten. Es herrschte durchgehend eine wunderbare Stimmung
im Saal. Erstaunlich, wie so viele so kleine Kinder sich konzentriert
am Geschehen beteiligten.
In diesem Zusammenhang muss die Bedeutung des Aktivwerdens auf
den unterschiedlichsten Ebenen immer wieder betont werden. Es sollte
eine Vielfalt von Methoden genutzt werden und es ist wichtig, die
Erwachsenen zu integrieren. Die Moderation durch eine Person, die
in allen Konzerten auftritt, hat sich bewährt. Auch das Einbeziehen
von Protagonisten (Clown, Museumswärter) als personaler Kontrapunkt
trägt zur Lebendigkeit bei. Wichtig ist die Haltung der Musiker.
Sie spielen nicht nur, sondern veranschaulichen Form und Inhalt
durch „gestisches Spiel“; sie sind auch Gesprächspartner.
Um zu wissenschaftlich fundierten Aussagen zur Konzeption von Konzerten
für Vorschulkinder zu gelangen, werden alle Konzerte gefilmt
und in einem Forschungsvorhaben ausgewertet.