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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 15
53. Jahrgang | Mai
Musikwirtschaft
Bürgersinn und Kulturauftrag
DeutschlandRadio und Philharmonie Essen vereinbarten Zusammenarbeit
Kürzlich wurde in Berlin eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit
zwischen dem DeutschlandRadio und der Philharmonie Essen unterzeichnet.
Nicht nur, daß das neue Haus in der Stahlstadt damit überregionales
Interesse fördern wird – die Kooperation zwischen beiden
Einrichtungen erweist sich für beide Seiten als notwendig und
vorteilhaft zugleich. Die nmz sprach darüber mit Ernst Elitz,
dem Intendanten von DeutschlandRadio, sowie mit Dr. Matthias Sträßner,
dem Leiter der Hauptabteilung Kultur.
nmz: Herr Elitz, ich fand in einem Beitrag Ihre Beschreibung
der angespannten kulturpolitischen Situation hierzulande: Orchester
und Opernhäuser werden geschlossen, oft mit dem Hinweis der
Lokalpolitiker darauf, dass es ja doch auch zahlreiche Rundfunkorchester
gibt. Diese wiederum stehen selbst auf dem Prüfstand der Medienpolitiker…
Vor diesem Hintergrund wirkt die Vereinbarung zur längerfristigen
Zusammenarbeit zwischen dem DeutschlandRadio und der Essener Philharmonie
wie ein „Modellfall“. Ist das vielleicht auch der Versuch
eines exemplarischen Nachweises dafür, daß beides wichtig
ist: die kommunale Kultureinrichtung – Oper oder Philharmonie
oder Orchester – genauso wie die Ensembles des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks?
Ernst Elitz: Ich bin der festen Überzeugung, dass
gerade in der angespannten kulturpolitischen Situation alle Kulturveranstalter,
das sind die Kommunen, die Länder und die Rundfunkanstalten,
näher zusammenrücken und eine gemeinsame Strategie entwickeln
müssen, wie sie die musikalische und künstlerische Grundversorgung
der Bevölkerung erreichen können. Denn es geht bei all
diesen Kulturveranstaltern nicht darum, sich gegenseitig Konkurrenz
zu machen, sondern darum, ein möglichst vielfältiges Bild
der Kultur und der Musik zu präsentieren. Aus diesem Grunde
gehen die Rundfunkorchester aus den Studios hinaus in die großen
Konzertsäle, und aus diesem Grunde kooperiert auch der nationale
Hörfunk mit den Festivals überall im Lande. So gesehen
ist Essen durchaus ein Modell, wie man in der Kultur- und Musikpolitik
auf allen Ebenen zusammenarbeiten kann. Wir haben das übrigens
auch nach der Eröffnung der Philharmonie in Dortmund mit einer
Konzertreihe getan.
nmz: Verstehen Sie solche Kooperationen auch als eine besondere
Form des Kulturauftrags, zu dem der öffentlich-rechtliche Rundfunk
im Allgemeinen und das DeutschlandRadio im Besonderen sich ja nachdrücklich
bekennt?
Elitz: Kulturauftrag kann nicht nur bedeuten: Berichterstattung
über Kultur oder Absolvieren eines Pflichtprogramms. Kulturauftrag
für den öffentlich rechtlichen Rundfunk heißt auch,
Neues zu entdecken, wie zum Beispiel das Berliner Festival für
Neue Musik „Ultraschall“ es unternimmt. Kulturauftrag
heißt auch, junge Künstler zu entdecken und zu fördern,
wie wir es zum Beispiel mit dem Förderpreis für Junge
Künstler beim Musikfest in Bremen tun. Es heißt auch,
in der Musikgeschichte Komponisten wiederzuentdecken, vor allem
Komponisten, die in der Nazi-Zeit verfolgt und ermordet wurden und
deren Werke sich deshalb im Repertoire nicht etablieren konnten.
Da sind wir mit beiden Orchestern, dem Deutschen Symphonie Orchester
Berlin (DSO) und Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) sehr aktiv
und haben eine Fülle von Musikwerken neu entdeckt, aufgeführt
und gemeinsam mit der CD-Industrie wieder ins öffentliche Bewußtsein
gerückt.
Matthias Sträßner: Die Kooperation mit der Essener
Philharmonie bietet dazu die Möglichkeit, einem großen
Orchester und einem Chor auch außerhalb Berlins Auftrittsmöglichkeiten
zu geben. Es geht ja darum, einem Ensemble, das keine Mainstream-Programme
absolvieren will und deswegen immer neue Werke entdecken möchte,
nicht nur die Möglichkeiten zu bieten, Neues zu erarbeiten.
Gleichzeitig braucht es ja auch Gelegenheit, dieses Neue entsprechend
zu präsentieren, nicht nur in Berlin, sondern an verschiedenen
Orten. Wenn es besonders gut läuft, wie beispielsweise beim
RIAS-Kammerchor, dann kommt zu einem Konzert in Berlin und einem
Konzert in Essen ja noch das Konzert in Frankreich oder Spanien.
Da ist ein bundesweiter Hörfunk natürlich ein guter Partner.
nmz: Die oftmals bemühte Differenz zwischen der kulturellen
Metropole und der Provinz wird auf diese Weise ja aufgehoben, zumindest
verwischt...
Elitz: Ja, die Rundfunk-und Chöre GmbH, an der Deutschlandradio
mit 40 Prozent beteiligt ist, bekommt einmal Gebührengelder
über das DeutschlandRadio überall aus Deutschland. Da
der Bund als zweitstärkster Gesellschafter mit 35 Prozent beteiligt
ist, fließen auch Steuergelder aus allen deutschen Ländern
in die Orchester und Chöre dieser größten deutschen
Musikmanufaktur. Da wir eine nationale Rundfunkanstalt sind, ist
es unsere Pflicht, diese Orchester und Chöre überall in
Deutschland zu präsentieren. Sie müssen mit ihrer künstlerischen
Leistung, dem Gebühren- und Steuerzahler beweisen: dieses Geld
ist gut für die Kunst, für die Kultur in Deutschland angelegt.
Deshalb auch die vielfältige Beteiligung an den regionalen
Festivals, überall in Deutschland, deshalb diese Kooperationen
mit Dortmund und Essen.
Sträßner: Wenn von „Provinz“ die
Rede ist, muss immer auch gefragt werden: Provinz für wen?
Die Kulturszene in NRW wird in der Regel völlig unterschätzt,
genau wie in Berlin die Kulturszene von Stuttgart, Frankfurt oder
München unterschätzt wird. In Essen ist nun das Besondere,
dass dieses neue Kulturengagement nicht aus dem alten feudalen und
barocken Föderalismus kommt. Das ist wirklich eine bürgergetragene
Bewegung. Dieses Panorama darzustellen, das ist unsere Aufgabe.
Und wenn es in Essen solche Bemühungen gibt, dann muss man
dem auch Starthilfe geben.
nmz: In Dortmund wurde unlängst das Konzerthaus eröffnet.
Essen verfügt über das wunderbare Aalto-Theater –
und bekommt jetzt noch eine Philharmonie. Ein Glücksfall für
die Region, die damit doch reich ausgestattet ist...
Elitz: Es sind durchaus Glücksfälle, die auch
in starkem Maße durch bürgerschaftliches Engagement möglich
gemacht wurden, was wieder mal beweist, daß das Kultur- und
Musikinteresse in der Bevölkerung vorhanden ist. Es wird heute,
wenn es um die Finanzierung von Orchestern, Theatern oder Kulturinstitutionen
geht, oft gesagt: das passt nicht in die Landschaft. Wir erleben
hier in Essen, dass ein neues Haus wie die Philharmonie durchaus
in die Landschaft passt und dass Bürger sich stark engagieren,
damit die kulturelle Landschaft eben nicht verödet. Und wenn
die Politiker genau den gleichen Bürgersinn beweisen würden,
wie die Initiatoren in Dortmund und in Essen, da stünde es
um die Kulturnation in Deutschland besser.
nmz: Was genau beinhaltet nun diese Partnerschaft zwischen
Ihrem Haus und dem der Philharmonie?
Sträßner: Es wird drei Konzerte mit dem Rundfunksinfonieorchester
geben, mit einem Zyklus von Violinkonzerten der 20er- und 30er-Jahre
des 20. Jahrhunderts. Auch der RIAS-Kammerchor wird zu drei Konzerten
nach Essen kommen: mit dem „Messias“, mit Mozarts „Thamos
– König von Ägypten“, also einem eher unbekannten
Werk von Mozart, und mit einem Konzert „Von Purcell bis Birtwistle“.
In diesem Konzert, an dem auch die musik-fabrik NRW beteiligt ist,
wird es auch eine Neukomposition von Rob Zuidam geben. Sich mit
einem solchen Werk in Essen vorstellen zu können, wäre
meines Erachtens ohne Hilfe des Rundfunks nicht möglich. Darüber
hinaus tritt DeutschlandRadio bei verschiedenen Produktionen als
Kooperationspartner auf.
nmz: Mal abgesehen von der Signalwirkung – sehen Sie
durch eine solche Kooperation Möglichkeiten gegenseitigen Vorteils?
Welche wären das?
Sträßner: Auch ein bundesweiter Rundfunk läuft
Gefahr, dass er nur „Metropolenfunk“ ist. Die großen
Berichte kommen aus den großen Städten, den großen
Konzertsälen oder Opernhäusern, aus Berlin vor allem,
aus München, aus Frankfurt etwa, oder aus Hamburg. Das wird
man in Garmisch-Patenkirchen nicht zwingend einsehen. Dort beispielsweise
mit dem Rundfunksinfonieorchester Berlin im Rahmen der Richard-Strauss-Tage
ein Konzert zu veranstalten, scheint mir ein geeignetes Mittel zu
sein, deutlich zu machen, dass dieses Orchester natürlich auch
außerhalb Berlins spielt und für alle da ist.
Genau das passiert auch an der Philharmonie in Essen. Uns helfen
solche Aktionen dabei, deutlich zu machen, dass sich das hohe kulturelle
Niveau über ganz Deutschland verteilt.