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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 15
53. Jahrgang | Mai
Musikwirtschaft
Wie man das Sauerverdiente in den Geldbeutel bekommt
Selbstmanagement für Musiker: Teil 6 „Inkasso“
· Von Al Weckert
Neulich ist mir etwas richtig Peinliches passiert. Ich bog in den
Hof eines angesagten Mediencenters ein und wollte eben zwei hübsche
junge Frauen nach dem Weg fragen, als plötzlich eine extrem
laute Männerstimme über das Pflaster schallte: „Ich
habe die Schnauze voooooooll!“ Meine beiden Ansprechpartnerinnen
drehten sich zu mir um. Ich schaute sie an und sie mich, und aus
ihren Blicken ließ sich unmissverständlich herauslesen,
dass sie mich für völlig wahnsinnig hielten. Schneller
als zwei Wiesel verzogen sie sich ins nächstgelegene Bürogebäude.
Ich begann gerade rot anzulaufen, als ich von einem noch verzweifelteren
Schrei abgelenkt wurde: „Ich will jetzt mein Geeeeeeeeld!“
In der einsetzenden Totenstille hörte ich mein Herz laut klopfen.
Doch bevor ich den richtigen Hauseingang fand, fräste sich
ein letztes Mal diese schrille Stimmlage in meinen Kopf: „Sie
werden bezaaaaaaaaaaaaahlen“. Jetzt war mir die Sache klar.
Da wollte jemand mit brachialer Gewalt telefonisch sein Geld eintreiben.
Ich bezweifelte entschieden den Erfolg dieses Unterfangens und schloss
die Eingangstür hinter mir.
Die Zahlungsmoral in den Industrieländern wird schlechter,
das zeigen Statistiken. Wer in der Musikwirtschaft tätig ist,
weiß noch viel besser als jede wissenschaftliche Einrichtung
über die Probleme mit ausstehenden Forderungen Bescheid. Allein
der Abbau in der Musikindustrie und der Zusammenbruch vieler Einzelhandelsgeschäfte
hat Handel und Dienstleistungssektor hart getroffen. Insbesondere
die Krise im Tonträgergeschäft und die damit verbundenen
Pleiten innerhalb der nationalen und internationalen Vertriebstrukturen
lassen Zahlungsketten zerreißen, so wie ein heißer Sommer
den sonst fröhlich sprudelnden Flusslauf austrocknet.
In so einer Situation ist es durchaus nachvollziehbar, dass Unternehmer
aus Verzweifelung versuchen, Druck auf ihre Geschäftspartner
auszuüben. Die Erfahrung zeigt jedoch leider, dass mit Einschüchterungsversuchen
am Telefon kaum mehr zu erreichen ist, als dass sich der Gesprächspartner
zukünftig am Telefon verleugnen lässt. Damit hat sich
der Anrufer seiner mächtigsten Waffe beraubt. Bei der Herbeischaffung
ausstehender Forderungen ist es nämlich von entscheidender
Bedeutung, dass wir Klarheit darüber erhalten, warum genau
der Geldfluss an welcher Stelle der Zahlungsabwicklung blockiert
wird. Wer könnte uns darüber besser Auskunft geben als
derjenige, der uns das Geld schuldet?
Professionelles Inkasso bedient sich einfachster Mittel und lebt
in erster Linie von Tempo und Genauigkeit. Umgekehrt haben insbesondere
diejenigen Unternehmen Probleme mit ausstehenden Forderungen, die
am schlampigsten ihre Bücher führen und die nicht unmittelbar
nach Verstreichen einer Zahlungsfrist aktiv werden. Natürlich
gibt es Ausnahmen. Wer sich exklusiv als Zulieferer einem Branchenriesen
verpflichtet, wird oftmals von der Marktmacht dieses Unternehmens
ausgepresst und wartet häufig fast ein Jahr auf seine Bezahlung.
Solch ein Abhängigkeitsverhältnis will vorab gut überlegt
sein. Die wichtigste Voraussetzung für eine professionelle
Inkassotätigkeit ist die Liquiditätsplanung. Wer liquide
ist, der ist flüssig und kann Geld ausgeben. Wer zu wenig Geld
einnimmt, wird auf Dauer illiquide und kann seine eigenen Verpflichtungen
nicht begleichen. Weil Zahlungsunfähigkeit in den Konkurs führt,
hat die Liquidität prinzipiell eine höhere Wichtigkeit
als zukünftige Gewinne! Ein Vertragsabschluss oder ein gelungener
Auftritt sind eine tolle Sache, aber betriebswirtschaftlich gesehen
kommt erst dann Freude auf, wenn das Geld auf Ihrem Konto verbucht
ist und für Miete, Essen und Lebenswandel zur Verfügung
steht. Dieses Gesetz gilt ohne Abstriche gleichermaßen für
Unternehmen und freiberufliche Einzelpersonen.
Aufgabe 1: Planen Sie Ihre Liquidität für das nächste
Quartal
Planen Sie die Liquidität der nächsten drei Monate mit
Hilfe der Summe Ihrer monatlichen Zahlungseingänge und Zahlungsausgänge.
Berechnen Sie den Bestand Ihres Geldes am Anfang und am Ende des
Quartals. Beachten Sie Zahlungsfristen, die Sie Ihren Kunden gesetzt
haben und halten Sie sich an das Schema der oben abgebildeten Tabelle.
Vorliegendes Beispiel zeigt, wie ein Unternehmen trotz wachsender
Einnahmen in eine Liquiditätskrise treibt. Am Ende des Quartals
sinkt der Geldbestand auf null ab. Schon wenn eine Rechnung sich
verzögert, ist das Unternehmen in seiner Zahlungsfähigkeit
gefährdet. Die Übung will Sie für die Bedeutung flüssiger
Geldmittel durch einen schnellen Zahlungseingang sensibilisieren.
Um den Geldfluss zu beschleunigen brauchen Sie einen exakten Überblick
über alle noch nicht bezahlten Rechnungen Ihrer Kunden. Für
Ihre Inkasso-Tätigkeit ist das Vorhandensein schriftlicher
Dokumente von enormer Bedeutung. Immer wieder entwinden sich Kunden
Ihrer Zahlungsverpflichtung, weil der Verkäufer beziehungsweise
der Erbringer einer Dienstleistung die Rechnung nicht wiederfindet
oder vergisst.
Aufgabe 2: Alle ausstehenden Forderungen sammeln
Legen Sie einen farbigen Ordner an, indem Sie jeweils ein Doppel
Ihrer Rechnungen ablegen. Die Rechnungen werden dem Ordner erst
entnommen, wenn ein Zahlungseingang zu verzeichnen ist. Sortieren
Sie die Rechnungen nach Fälligkeit.
Aufgabe 3: Schicken Sie das erste Mahnschreiben
Zehn Tage nach Fälligkeit beginnen Sie mit dem Mahnen. Schicken
Sie Ihre erste schriftliche Mahnung genau an die richtige Person.
Im Detail steckt manchmal der Wurm. Greifen Sie zum Telefonhörer
und finden Sie heraus, wer beim Kunden für die Rechnung zuständig
ist. Bei kleinen Firmen ist das oft der Chef, bei größeren
die Buchhaltung. Bei Musikschülern können es Vater, Mutter,
Oma oder Opa sein. Wenn der Kunde nun nicht reagiert, ist weiteres
schriftliches Mahnen höchstwahrscheinlich Zeitverschwendung.
Greifen Sie besser direkt zum Telefon.
Aufgabe 4: Telefonisches Nachfassen
Wird Ihre Rechnung nach der ersten schriftlichen Mahnung nicht
umgehend bezahlt, dann greifen Sie zum Telefonhörer und fragen
nach, woran das liegt. Versichern Sie sich, dass Sie mit der richtigen
Person sprechen. Finden Sie heraus, ob dem Kunden die Rechnung vorliegt
und ob es ein Problem damit gibt (falsche Rechnungssumme, Beanstandung
der Ware oder Dienstleistung et cetera). Schicken Sie gegebenenfalls
eine überarbeitete Rechnung per Fax oder Boten. Wenn Sie am
Telefon abgewimmelt werden oder sich Ihr Ansprechpartner ständig
verleugnen lässt, können Sie die Sache sofort Ihrem Rechtsanwalt
oder einer Inkasso-Firma übergeben. In den meisten Fällen
allerdings wirkt ein Telefongespräch Wunder. Treten Sie selbstsicher
auf, kommen Sie direkt zur Sache. „Ich rufe wegen der offenen
Rechnung an.“ Betrachten Sie das Inkasso-Verfahren oder einen
Rechtsstreit stets als letzten Ausweg. Den überragenden Großteil
Ihrer Forderungen werden Sie in einem erträglichen Zeitraum
erhalten, wenn Sie sich an die Grundsätze „Tempo und
Genauigkeit“ halten. Schaffen Sie sich am Telefon durch Freundlichkeit
und Professionalität neue Verbündete (Sekretärin,
Buchhaltung usw.). Wenn Sie auf diese Weise vorgehen, können
Sie erfolgreiche Inkasso-Gespräche gleich zur Vorbereitung
neuer geschäftlicher Zusammenarbeit nutzen.