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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 12
53. Jahrgang | Mai
Nachschlag
Das Ende vom Wehklagen
Ende März hatten die Phonoverbände zu ihrer traditionellen
Jahresbilanz-Pressekonferenz geladen. Diese Veranstaltung ist ein
trauriges Ritual einer Branche in der Krise. Jahr für Jahr
werden dort mit ernster Miene zurückgehende Verkaufszahlen
verkündet. Auch 2003 machte da keine Ausnahme.
Doch die IFPI hatte sich dieses Mal etwas besonderes ausgedacht,
um die schlechten Nachrichten in den Hintergrund zu drängen.
So nutzte man die Pressekonferenz dazu, öffentlich die Jagdsaison
auf Tauschbörsen-Nutzer zu eröffnen. In einer ersten Welle
hat die deutsche IFPI seit Ende März 68 Strafanzeigen gegen
Unbekannt erstattet. Die Beschuldigten haben wie Millionen andere
Nutzer in den letzten Monaten an P2P-Angeboten wie Kazaa oder Gnutella
teilgenommen und dabei auch selbst Dateien zum Download von der
eigenen Festplatte angeboten. Und zwar „in erheblichem Umfang”,
wie man bei der IFPI zu berichten weiß.
Sonst weiß der Musikindustrie-Verband herzlich wenig über
die beschuldigten Nutzer – ein Umstand, den man möglichst
bald geändert wissen möchte. Dabei nimmt sich die Industrie
ein Beispiel an den USA: Als die dortige Musikwirtschaft Mitte letzten
Jahres ihre Klagen gegen P2P-Nutzer begann, konnte sie Provider
dazu verpflichten, ihnen die Namen der verdächtigen Musikpiraten
zu übermitteln – ohne jede richterliche Einzelfallprüfung,
allein mit einem amtlich hinterlegten und für formell richtig
befundenen Standardschreiben.
Diese Namen nutzte sie dann, um die Beschuldigten persönlich
zu kontaktieren und vor eine Alternative zu stellen, die keine war:
Entweder konnten sie sich auf eine langwierige, teure Klage einstellen,
an deren Ende eine mögliche Schadensersatzzahlung von bis zu
125.000 Dollar pro angebotener MP3-Datei stehen könnte. Oder
sie konnten sich im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung
dazu verpflichten, in Zukunft brav zu sein und das Verfahren gegen
Zahlung von 3.000 bis 10.000 Dollar einstellen. Die meisten Beschuldigten
entschieden sich für Variante Nummer zwei.
Solche Rechte hätte die Industrie gerne auch hier zu Lande.
Eigentlich wollte man deshalb auch mit den Klagen warten, bis der
Auskunftsanspruch vom Gesetzgeber durchgesetzt wurde. Doch dann
entdeckte die IFPI, das es sich manchmal auszahlen kann, einfach
ein bisschen Porzellan zu zerschlagen. So bedient man sich für
die jetzigen Klagen beim Strafrecht und lässt Staatsanwaltschaften
gegen tauschende Teenager ermitteln. Diese könnten in Einzelfällen
auch Hausdurchsuchungen und Beschlagnahme von Computern beantragen,
um Beweise gegen die MP3-Sünder zu sichern. Ein hartes Vorgehen
– zumal eine strafrechtliche Verurteilung eher unwahrscheinlich
ist.
Doch die IFPI nutzt dieses Vorgehen, um an die Namen der P2P-Sünder
zu kommen und diese dann auf Unterlassung abzumahnen – etwas,
das die Beschuldigten an sich schon teuer zu stehen kommen könnte.
Und wenn die Presse von den ersten 12-jährigen berichten wird,
deren elterliche Wohnung wegen des Nutzens von Kazaa von der Polizei
aufgebrochen und durchsucht wurde, dann wird die IFPI ihre Hände
in Unschuld waschen. Ist nicht unsere Schuld, haben wir nicht gewollt,
wird man dann sagen. Hätte man in Deutschland eine Auskunftspflicht
der Internet-Anbieter, dann hätte man den Nutzern diesen Ärger
ersparen können.
Natürlich hätte man ihnen noch mehr ersparen können,
wenn erst gar keine Anzeigen gestellt worden wären. Auch dafür
gibt es gute Argumente. So hat die Klagekampagne in den USA bisher
trotz rund 2.000 Verfahren nicht annähernd die erwünschten
Ergebnisse gezeigt. Zwar brachen in den ersten zwei, drei Monaten
tatsächlich die Nutzerzahlen der bekanntesten Tauschbörsen
ein. Doch viele Nutzer schauten sich einfach nur nach Alternativen
um, anstatt der P2P-Welt vollkommen Lebewohl zu sagen. Heute greifen
bereits wieder deutlich mehr Nutzer auf Tauschbörsen-Netzwerke
zu als vor dem Beginn der US-Klagewelle.
Anstelle der exemplarischen Verfolgung einzelner Musikfans sollte
die Branche darüber nachdenken, ob sie nicht alle Beteiligten
mit einer Pauschalabgabe belasten kann. Dann würden nicht 68
Nutzer zur Zahlung von 3.000 Euro verpflichtet – Geld, das
sowieso für Anwaltskosten draufgeht – sondern alle 30
Millionen deutschen Internetnutzer beispielsweise zur Zahlung von
5 Euro pro Monat. Im Gegenzug könnten Tauschbörsen legalisiert
werden, und die Staatsanwaltschaften könnten sich endlich wieder
um richtige Verbrecher kümmern.
Zugegeben, ein wagemutiger Vorschlag. Doch auf diesem Wege ließe
sich nicht nur auf die Klagen verzichten, sondern auch das Wehklagen.
An Stelle von andauernden Umsatzeinbrüchen ließen sich
die effektiven Einnahmen der Musikwirtschaft mit solch einer Abgabe
locker verdreifachen. Das wäre doch mal tolles Zahlenmaterial
für eine der nächsten Jahresbilanzen, nicht wahr?