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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 9
53. Jahrgang | Mai
Portrait
Das Warten ist tot, es lebe das Kribbeln
Dirty Americans als Rock’n’Roll-Herzkammer ohne Flimmern
In jeder Kindheit gibt es Tage, die existierten weil sie funktionierten.
Die erste allein geknotete Schleife, das richtige Ergebnis in der
Mengenlehre oder der gelungene und den Eltern präsentierte
Linoleum-Schnitt mit Tusche aus dem Werkunterricht. Diese Herzkribbelattacken
bleiben haften, unvergessen und kehren nur zufällig wieder.
Dann gilt es, sie zu erkennen. Etwa, wenn man sich zum Musiksucher
entwickelt hat, nach dem Klang fahndet, der das Trampeln der Ameisenstaaten
auslöst, nach dem Album giert, das schmerzlich die Kindertage
zurück empfindet. In der Generation der nun 30-Jährigen
ist das musikalisch zwei Mal passiert: Das Doppelalbum „Use
your Illusion I + II“ von Guns N’ Roses und der Grungemaßstab
„Ten“ von Pearl Jam.
„Ich wusste sofort,
dass unser Sound imposant enden würde“: die Dirty
Americans. Foto: Archiv
In diesem Jahr könnte sich das ändern. „Strange
Generation“ nennt sich das Debutalbum der „Dirty Americans“,
die mit diesem Sound, Titel und Bandnamen nur aus Detroit (USA)
kommen dürfen. Zwar verbindet man auch Patriotismusrocker „Kid
Rock“ mit Detroit, aber vom Range eines Musikers scheint er
verglichen mit den Stadtkollegen „Dirty Americans“ weit
entfernt zu sein. Zu gewaltig, groß und mächtig schleppen
sich die „Dirty Americans“ durch die 13 Songs ihres
Albums. So monströs, dass die Plattheit als Stilmittel gerne
akzeptiert wird. „Yes“, meint Gitarrist Jeffrey Piper,
„it’s just a big sound“. Und dafür hätte
er eine intensive Umarmung verdient.
Ganz so einfach war es aber doch nicht die „Dirty Americans“
zu taufen. 2000 hießen die „Dirty Americans“ noch
„The Workhouse Movement“ und gingen unter anderem mit
Slipknot auf Tour. Man entliebte sich musikalisch und löste
die Band auf. 2003 riefen Jeffrey Piper (Gitarre), Myron (Gesang)
und Pete Bever (Bass) die Dekade der „Dirty Americans“
aus. Bis auf den Schlagzeuger handelte es sich seltsamerweise um
die alte „Workhouse“-Besetzung. Trommelnder Ersatz wurde
im Internet per Annonce gefunden und die erste Probe wurde von der
Polizei persönlich beendet. „Das war sensationell“,
grinst Jeffrey Piper, „insbesondere wenn man bedenkt, dass
die gleichen Typen unter einem anderen Bandnamen nicht mehr miteinander
konnten, sich an die Gurgel gingen und kreativ zerstritten waren“.
Hört sich extrem vereinfacht an. Wenn es unter dem Namen Bohlen
nicht mehr geht, dann eben unter dem Pseudonym Siegel…
Jeffrey Piper fügt aber noch gewichtigere Gründe für
die Kreativverwandschaft an. „Wir pflegen nun als Dirty Americans
einen völlig anderen Gitarrensound, so wird der Gesang endlich
von einem ansprechenden Ambiente begleitet und passt damit zum Rest
der Band“. Für Jeffrey Piper zwei entscheidenden Schritte
das Klangbild der „Dirty Americans“ zu konfigurieren.
Aber auch die Rolle des neuen Schlagzeugers Jeremiah Pilbeam wird
vom Rest der Band in den Fokus gerückt. „Als Jeremiah
zu uns kam, änderte sich alles“, erzählt Jeffrey
Piper. „Er kam mit einem John-Bonham-Schlagzeug, das größer
als mein Auto war. Ich wusste sofort, dass unser Sound imposant
enden würde“, so Hellseher Jeffrey Piper. Die Gitarrenriffs
der „Dirty Americans“, ihre Stringenz der Geräuschwelt
und der passende Produzent (Paul Ebersold von 3 Doors Down) schufen
einen von der Plattenfirma beschriebenen „Arena Rock Sound“,
den es lange nicht mehr gegeben hat. Kribbeln auslösend. Spätestens
beim dritten Song drückt der gesamte Körper mit „11G“
aufs Gaspedal um beim letzten Song angekommen einen unstoppbaren
Neidkrampf auf die „Dirty Americans“ evoziert. „Ein
Sound“, ergänzt Jeffrey Piper, „der im Studio konstruiert
wurde und nicht so spontan kam, wie man es aufgrund des Albums annehmen
könnte. Wir haben viel probiert und versucht die Atmosphären
der Songs textlich zu treffen. ‚Car Crash‘ ist ein gutes
Beispiel. Im Song geht es um die Gewalt, die einem widerfahren kann.
Die Gitarrensounds symbolisieren darin eine nachdenkliche Grundstimmung“.
Dabei ist es songtechnisch nicht unbedingt die Originalität
der „Dirty Americans“, die hängen bleibt. Eher
eine Hommage an die besten Rockzeiten. Die „Dirty Americans“
grüßen „The Cult“, sie verneigen sich vor
„Guns N’ Roses“, ziehen den Hut vor „Queens
of the Stone Age“ oder zollen respektvoll „Monster Magnet“
ihren Tribut. Das größte Verdienst der „Dirty Americans“
ist aber, dass sie keine klebrigen Abziehbilder sind, sondern in
ihren Vorbilder den eigenen Weg gefunden haben und allerhöchstens
deren nicht umgesetzte Ideen interpretieren.
Also so, wie es bei jeder neuen Band sein sollte. Über diesem
Klangfundament thront als eindeutigste Bastion der Ehrlichkeit die
Gesangslinie, die sofort klar macht, dass es die „Dirty Americans“
ernst mit einem meinen. Sänger Myron hat das Timbre, die Tonfarbe
und die Stimmbandemotion, die den Hörer beim Song verweilen
lässt und treffende Schlußakzente setzt. Keine Ablenkungen
erlaubt. Nun heißt es für die jüngere Generation
dabei sein, wenn ihre Guns N’ Roses geboren werden.
Sven Ferchow
Gewinnspiel:
Die nmz verlost drei signierte Promo Singles „Strange
Generation“ der Dirty Americans. E-Mail an: info@musicoutlook.de,
Betreff: DA, Adresse nicht vergessen, die ersten drei Einsendungen
ab dem 5. Mai gewinnen, der Rechtsweg ist ausgeschlossen.