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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 37
53. Jahrgang | Mai
Rezensionen
Endlich die Chancen der Krise nutzen
Das Hamburger Label „Tapete Records“ hält den
Ball flach aber die Künstler hoch
Während die Phonoindustrie weiterhin der Digitalisierung
hinterher hechelt und in halbgaren Downloadplattformen die brüchige
Zukunft sieht, gibt es Musikgläubige, die trotz aller industriellen
Talfahrten nie den Glauben an gute Musik verloren haben, weniger
auf Business Solutions oder P2P-Affairs setzen, sondern schlicht
auf den Menschen, der im Idealfall und je nach Definition handfeste,
selbstgemachte Musik vorträgt. Dirk Darmstaedter (Ex-Frontmann
der Hamburger Band „Jeremy Days“) und Gunther Buskies
(ehemals Universal/Polydor) gehören zu diesen Jüngern.
Zusammen gründeten sie „Tapete Records“, eine kleine,
unabhängige Plattenfirma in Hamburg mit aktuell sieben Mitarbeitern,
die im Juni 2002 die erste Veröffentlichung mit der Band „Besser“
und dem Album „Bi“ auf den Markt brachte und mittlerweile
knapp 25 zusätzliche Alben verschiedenster, aber ins Repertoire
passender Künstler wie Mon)tag, Tess Wiley, Garish, Niels Frevert,
Dirk Darmstaedter & Bernd Begemann oder Erdmöbel bewerkstelligt
hat.
Die Tapete Records Crew
im Konferenzraum. Von links nach rechts: Sebastian Tim (Booker),
Dirk Darmstaedter (Gründer), Gunther Buskies (Gründer),
Wiebke Colmorgen (Presse, Promo), Nina Thomsen (Presse,
Promo), Lynn Buschhüter (Praktikantin), Christoph Wegner.
Foto: Thomas Worthmann
In der relativ kurzen Zeit von zwei Jahren hat sich „Tapete
Records“ einen hervorragenden Ruf erarbeitet. Mutig gibt man
jungen, talentierten Künstlern Veröffentlichungschancen,
zielstrebig vermittelt man den Künstlern das harte Brot im
neuen Phonomarkt: wer Erfolg will, muss wieder arbeiten, nicht warten.
Kennen gelernt hatten sich die Gründer Dirk Darmstaedter
und Gunther Buskies noch beim Majorlabel „Universal“.
Beide arbeiteten an der Zusammenstellung zweier „Jeremy Days“-Kompilationen
und stellten eine kongruente Grundhaltung bezüglich der jammernden
Branche und der damit verbundene Unflexibilität fest. „Ich
glaube“, sinniert Dirk Darmstaedter, „dass jeder, der
länger in einem größeren Plattenkonzern gearbeitet
hat – egal ob als Musiker oder Angestellter –, irgendwann
da wieder raus will. Für mich wurde schnell klar, dass ich
einen Weg abseits der Majorlabels einschlagen möchte. Auch
der Zusammenbruch der Strukturen bei den Majors spielte für
meine Entscheidung eine Rolle. Ich sah zu viele befreundete Kollegen
und Musiker, die rumhingen, nicht mehr voran kamen und nur auf den
Antwort eines Sony-Menschen warteten, um endlich weiter machen zu
dürfen. Doch dieser Stillstand geht meines Erachtens gar nicht,
es müssen ja Platten gemacht werden“. Und weil die Phonindustrie
eben Ausnahmekünstler wie Niels Frevert (ehemals Sänger
der Band „Nationalgalerie“) ignorierte, entschlossen
sich Dirk Darmstaedter und Gunther Buskies dieses Vakuum zu füllen.
Der eine, Darmstaedter, kümmert sich um die künstlerischen
Belange, Buskies verwaltet die geschäftliche Seite.
Obwohl Dirk Darmstaedter „Tapete Records“ als „Liebesangelegenheit
mit viel Arbeit“ bezeichnet, bleibt der finanzielle Gesichtspunkt
nicht außen vor: „Ich bin Musikfan und liebe nichts
mehr als Platten an den Start zu bringen. Es gibt tolle Künstler
und wenn man denen helfen kann ihre Alben zu veröffentlichen,
bin ich schon glücklich. Dennoch ist Tapete kein Hobby, sondern
wir gehen davon aus, dass Tapete irgendwann auch finanziell auf
gesunden Beinen steht. Ich denke, man muss die Krise der Branche
als Chance nutzen, denn wer weiß, wann die nächste Chance
kommt?“
Ein Hinweis, den man oft gehört hat, schließlich prognostizierte
man bereits vor drei Jahren den Indie-Labels beste Entfaltungschancen.
Leider ohne spürbares Ergebnis. Gibt sich Dirk Darmstaedter
nicht einer Durchhalteparole hin? „Ja, stimmt eigentlich,
die große Wende kam nicht wirklich. Vielmehr glaube ich, dass
wir noch mitten im Strukturwandel sind. Genauso wie es die Großen
trifft, erwischt es die Kleinen. Ich kenne genügend kleine
hochmotivierte Labels, denen es dreckig geht. Und es wird so bleiben
und wahrscheinlich schlimmer werden. Der einzige Vorteil, den wir
kleine Firmen haben, ist dass wir flexibler reagieren können“.
Dabei spielt die Auswahl der Künstler eine wichtige Rolle.
Zu viele Musiker leben noch in der alten Welt, glauben fälschlicherweise
an den einen erfolgversprechenden Anruf der Plattenfirma. Eine Haltung,
die Dirk Darmstaedter im Wandel sieht. „Allen wird langsam
klar, dass der Anruf von der Sony wohl doch nicht kommt. Besonders
für Musiker, die noch einen Fuß in den alten Zeiten haben,
in denen die Budgets und die Sprüche noch andere waren, ist
das schwer zu begreifen“. So gesehen ist das Motto der Tapete-Firmenpolitik
ein einfaches: den Ball sehr flach halten. „Ich habe genügend
Sprüche in meinem Leben gehört“, erinnert sich Dirk
Darmstaedter, „folglich werden wir unseren Bands nie erzählen,
dass wir sie zu Stars machen“.
Das wissen die Tapete-Künstler und wer Alben der Paul Dimmer
Band, Mon)tag, Me & Cassity, Tess Wiley oder Niels Frevert gehört
hat, würde nie vermuten, dass diese Künstler falschen
Versprechungen oder gar Illusionen zum Opfer fallen könnten.
Zu bestimmt, eigenwillig und kantig sind die musikalischen Darbietungen,
die aus allen Genres kommen: Folk, Deutschpop, Gitarrenrock, Elektropop,
Singer/Songwriter. In dieser Künstlerauswahl erkennt man eindeutig
den Musiker Dirk Darmstaedter, der abschließend feststellt:
„Letztendlich und als Fan gesehen – wenn man die heutige
Musiklandschaft in Deutschland mit der vor 15 Jahren vergleicht
–, empfinde ich die Szene als weitaus gesünder. Es gibt
mehr interessante Acts und Platten zu hören. Dass diese Platten
nicht in einem großen Umfang verkauft werden, ist natürlich
schade“.
Daran muss man arbeiten. Nicht nur bei Tapete Records, sondern
auch in Phonindustrie, Medien, Politik und Bildung. Denn „das
Bewusstsein für den Wert der Musik und Kreativität beim
Konsumenten wieder zu schärfen“ sieht Dirk Darmstaedter
als die Aufgabe der Zukunft, um die positive Entwicklung der viel
versprechenden Nachwuchskünstler erhalten zu können. „Und“,
ergänzt er, „das Radio muss sich ändern. Ich sitze
hier gerade in Augsburg in einem Café und höre FM4.
Den ganzen Tag gute Musik. So soll das sein. Sobald das deutschlandweit
funktioniert – irgendwo rumsitzen und gute Musik hören
– und nicht immer und auf jedem Sender die gleiche Chart-Musik,
dann sind wir der Lösung ein Stückchen näher“.