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nmz-archiv
nmz 2004/05 | Seite 25
53. Jahrgang | Mai
Verbandspolitik
Von der Qualität öffentlich-gemeinnütziger Musikschulen
Ein Interview mit Rainer Mehlig, Verband deutscher Musikschulen
Am 7. und 8. Mai 2004 findet die Hauptarbeitstagung mit Bundesversammlung
des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) in Erfurt statt. Wichtiges
Thema ist dort die Kooperation zwischen Musikschule und allgemein
bildender Schule. Mit Rainer Mehlig, dem Bundesgeschäftsführer
des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) unterhielt sich Chefredakteur
und Herausgeber der nmz, Theo Geißler.
Theo Geißler: Das Thema Kooperation Ganztagsschule
bewegt die Gemüter regional und bundesweit. Welche Chancen
stecken für den VdM in der Ganztagsschule?
Rainer Mehlig. Foto: C.
Buhmann
Rainer Mehlig: Der VdM hat bereits Ende 2002 das Papier
„Öffentliche Musikschulen sind Teil des deutschen Bildungssystems“
veröffentlicht, in dem er die Chancen der Ganztagsschule sowohl
für die öffentlichen Musikschulen als auch die allgemein
bildenden Schulen aufzeigt.
Die Tatsache, dass die intensive Beschäftigung mit Musik
Kinder und Jugendliche kulturell bildet und in hohem Maße
durch die Entwicklung vielfältiger Schlüsselkompetenzen
fördert, führt zu der Erkenntnis, dass sie so früh
als möglich die Gelegenheit kontinuierlicher institutionalisierter
Förderung durch Musik erhalten müssen. Die Ganztagsschule
beinhaltet die große Chance, dass dies nicht mehr nur einem
bestimmten Schülerkreis möglich ist, sondern allen Kindern.
Und da bieten sich die Musikschulen mit ihren speziellen Angeboten
als verlässliche Partner an.
Geißler: Doch es gibt auch Gefahren: entzieht die
Ganztagsschule den Musikschulen durch den Nachmittagsunterricht
nicht die Schüler?
Mehlig: Bei der Ausweitung des Unterrichts auf den Nachmittag
durch die Ganztagsschulen stellt sich selbstverständlich die
Frage, wie und ob für die Schüler, die bisher in dieser
Nachmittagszeit Unterricht an der Musikschule erhalten haben, diese
Möglichkeit noch weiterhin gegeben ist. Ein Stundenplanentwurf
für eine 7. Klasse der Hamburger Gymnasien hat gezeigt, dass
die Schüler erst nach 16 Uhr praktischen Musikunterricht erhalten
könnten, da dieser im Rahmen des Ganztagsunterrichts nicht
vorgesehen ist. Gerade unter Berücksichtigung der Bedeutung
aktiver Beschäftigung von Kindern mit Musik sind Kooperationen
zwischen den öffentlichen Musikschulen und den allgemein bildenden
Schulen im Rahmen der Ganztagsschulen besonders wichtig. Bei entsprechender
Koordination und Absprachen mit den allgemein bildenden Schulen
ist die Zusammenarbeit durchaus realisierbar und kann sehr erfolgreich
sein, wie Beispiele aus anderen europäischen Ländern beweisen
und wie sie schon in vielen deutschen Städten praktiziert wird.
Geißler: Ganztagsschule wollen alle, aber kosten
soll es nichts (vgl: NRW, „Ganztagsschule light“). Was
ist mit der billigeren ehrenamtlichen Konkurrenz aus Musikverein
und Blaskapelle?
Mehlig: Man muss es klar sagen: Die Mitarbeit der Musikschullehrer
in der Ganztagsschule kostet etwas und ist nicht „umsonst“
zu haben. Die Länder müssen daher dafür Sorge tragen,
dass die Ganztagsschulen mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet
werden, die einen qualifizierten ergänzenden Unterricht ermöglichen.
Ehrenamtliche Mitarbeit ist dabei in Teilen denkbar, jedoch kaum
langfristig planbar und von den Vereinen nicht leistbar. Denn die
Ganztagsschule ist keine Freizeiteinrichtung, sondern muss erweiterte,
qualitativ hochwertige Angebote machen, die langfristig angelegt
und verlässlich sind.
Geißler: Worin liegt die besondere Qualität der
öffentlichen Musikschule? Wie hat sich das Verhältnis
zu den privaten Musikschulen entwickelt?
Mehlig: Die Qualitätssicherung der öffentlichen
Musikschulen mit Hilfe der Qualitätsmanagement-Instrumente
„Qualitätssystem Musikschule“ (QsM) und dem Interkommunalen
Leistungsvergleich EDuR ist inzwischen weitflächig bekannt
und wird schon seit einigen Jahren an zahlreichen Musikschulen erfolgreich
praktiziert.
Grundsätzlich ist zu sagen, dass die Qualität der öffentlichen
gemeinnützigen Musikschulen darin besteht, dass es sich hier
um Bildungseinrichtungen mit einer sorgfältig abgestimmten
Konzeption und Struktur handelt. Diese beruhen auf dem Strukturplan
des VdM, der das Konzept und den Aufbau einer Musikschule beschreibt,
und auf den sich die VdM-Rahmenlehrpläne für sämtliche
Unterrichtsfächer beziehen. Er ist für alle Musikschulen
im VdM verbindlich, wodurch ein vergleichbarer Qualitätsstandard
des Musikschulangebots in ganz Deutschland gewährleistet wird.
Grundlegende institutionelle und personelle Voraussetzung für
dieses Angebot ist die dauerhafte finanzielle Absicherung der Musikschulen
und der Unterricht durch qualifizierte Musikschullehrkräfte
mit einem abgeschlossenen musikpädagogischen Studium, die dort
fest angestellt sind.
Nun zu den „Privaten“: Die öffentlichen gemeinnützigen
Musikschulen des VdM haben sich schon immer in „Konkurrenz“
mit Privatlehrern befunden, dennoch überwiegend mit ihnen kooperiert,
indem die Musikschulen etwa bei fehlenden Platzkapazitäten
auf die ansässigen Privatmusikerzieher verwiesen haben. Auch
mit Zusammenschlüssen von Privatmusikern, die sich nach unserem
Verständnis nicht immer als „Musikschule“ bezeichnen
können, ist eine Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen denkbar.
Leider stellen die Privatmusikschulen in der Öffentlichkeit
aber sehr oft nicht ihre Stärken heraus, sondern beschränken
sich darauf, die öffentlichen Musikschulen dafür zu kritisieren,
dass diese für ihren umfangreichen, strukturierten Unterricht
öffentliche Finanzmittel erhalten, sie selbst aber nicht. Sie
fordern deshalb „gleich behandelt“ zu werden, erfüllen
jedoch nicht die grundsätzlich für die Gewährung
öffentlicher Mittel erforderliche Gemeinnützigkeit, Transparenz
und Kontrolle ihrer Arbeit. Dennoch: ein von gegenseitigem Respekt
getragenes Neben- und zum Teil Miteinander ist denkbar, auch unter
dem Gesichtspunkt, dass das Angebot der öffentlichen Musikschulen
und der privaten Musikschulen in vielen Bereichen sehr unterschiedlich
ist und sehr oft von einer unterschiedlichen Klientel genutzt wird.
Geißler: Es stehen auch berufsständische Fragen
im Raum. Der VDS befürchtet, dass Musikschullehrer in Zukunft
die gleiche Arbeit für weniger Geld machen. Sehen Sie das auch
so?
Mehlig: Nein, das sehe ich nicht so. Die Musikschullehrer
sind für den Klassenunterricht, wie er anhand der Lehrpläne
erteilt werden muss, in der Regel nicht einsetzbar und können
den Unterricht der Musiklehrer der allgemein bildenden Schule nicht
ersetzen. Dadurch, dass Musikschullehrer aber anders ausgebildet
worden sind, können sie den Unterricht der allgemein bildenden
Schulen sinnvoll ergänzen und erweitern: mit Streicherklassen,
Bläserklassen, Percussionsgruppen, Keyboardklassen und anderem
instrumentalen und vokalen Gruppenunterricht. Richtig ist dabei
allerdings, dass auch diese Arbeit der Musikschullehrer besser als
„bisher“ bezahlt werden sollte.
Geißler: Wie halten Sie Ihre Lehrer fit für
den Beruf? Wie reagieren Sie auf neue Herausforderungen?
Mehlig: Auf Länder- und Bundesebene existiert ein
großes Angebot an Lehrerfortbildungen zu aktuellen Themen,
wie Klassen- und Gruppenunterricht, zu Kooperationsmodellen mit
allgemein bildenden Schulen, qualifizierte berufsbegleitende Lehrgänge
für künftige Leitungsaufgaben, zu speziellen Themen wie
Behindertenarbeit, Früherziehung, Erwachsenenunterricht, aktueller
Literatur (wie Neue Kammermusik) und neu, der berufsbegleitende
Lehrgang Popmusik, den der VdM gemeinsam mit der Popakademie Mannheim
und der BAK Trossingen durchführt.
Zu erwähnen sind hier aber auch die Musikschulkongresse des
VdM, die alle zwei Jahre zu aktuellen Themen der Musikschularbeit
stattfinden und qualifizierte Anregungen für die Musikschullehrer
geben.
Geißler: Die Schere klafft immer weiter auf: die
schwierige finanzielle Situation der Kommunen bringt viele öffentliche
Musikschulen in Not, auf der anderen Seite sind die Wartelisten
so voll wie nie zuvor. Was sind Konzepte des VdM in dieser schwierigen
Zeit?
Mehlig: Möglichkeiten bestehen hier etwa in der Verstärkung
des gerade zu Unterrichtsbeginn sinnvollen Gruppenunterrichts oder
neuen Angeboten im Projektbereich, zu denen Sponsorenmittel akquiriert
werden können. Eine Konsequenz kann leider aber auch sein,
aus Kostengründen verstärkt Honorarlehrkräfte einzubeziehen.
Viele von diesen erbringen eine hohe Leistung, werden aber schlechter
bezahlt als ihre angestellten Kollegen, was zu Problemen führt
– auch hinsichtlich ihrer langfristigen Bindung an die jeweilige
Musikschule. Die Kooperation mit den Ganztagsschulen stellt für
die öffentlichen Musikschulen bei diesem Problemfeld auch eine
Chance dar.
Für die Musikschulen ist es daher immer wichtiger, intensive
Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben und dabei auf die Bedeutung
der Musikschularbeit für die Bildung der Menschen und für
die Entwicklung der so genannten „Schlüsselqualifikationen“
hinzuweisen. Damit muss zumindest erreicht werden, dass die öffentlichen
Zuwendungen nicht weiter gekürzt werden.
Aufgrund dieser Probleme hat der VdM für seine Musikschulen
soeben seine Broschüre „Musikschulen in finanzieller
Bedrängnis“ aktualisiert und neu veröffentlicht.
Hierbei handelt es sich um eine Arbeitshilfe, die viele Bereiche
und Aspekte der Musikschularbeit beleuchtet, die erfahrungsgemäß
bei Sparüberlegungen in Betracht gezogen werden. Die dazu dem
VdM vorliegenden Erfahrungen sind darin ebenso zusammengetragen
wie die Argumente, mit denen sich die Musikschulen und ihre Träger
auseinandersetzen müssen.
Geißler: Welche neuen Wege bei Öffentlichkeitsarbeit
und Lobbying will der VdM beschreiten?
Mehlig: Als Beispiele seien hier nur das Fundraising-Konzept
des VdM für seine Mitgliedsschulen erwähnt, die Gründung
eines VdM-Kuratoriums, das sich für die musikalische Bildung
durch die öffentlichen Musikschulen einsetzen wird, der Deutsche
Musikschultag und die Einbindung von Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens, wie sie sehr erfolgreich mit Bundespräsident Johannes
Rau und Innenminister Otto Schilly gelungen ist.
Auch bei der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“
war es der Vorsitzende des VdM, der bei der Expertenanhörung
die Bedeutung und notwendige Sicherung der Musikschularbeit in Deutschland
hervorheben und erläutern konnte.
Geißler: Die Hauptarbeitstagung des VdM steht vor
der Tür: Was steht (zusätzlich zu den genannten Fragen)
auf der Themenliste?
Mehlig: Neben den Themen „Musikschulen in öffentlicher
Finanzierung“ und „Leistungsanreize und Leistungsüberprüfung
an Musikschulen“ werden im Rahmen der Hauptarbeitstagung Arbeitsgruppen
zu den Bereichen „Eltern für Musikschulen“, „Mitarbeitermotivation“
und „Musikschulleiter im politischen Umfeld – Chancen
und Risiken“ angeboten, zu denen wir ausgewiesene Experten
als Referenten gewinnen konnten.