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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 46
53. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Im bunten Spielzeugland von Ken und Barbie
David Alden inszeniert Alban Bergs „Lulu“ am Münchner
Nationaltheater
Ein roter Mund, ein sündiger Blick, so stellt man sie sich
vor: Lulu, die femme fatale des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Doch
wenn der Amerikaner David Alden in München inszeniert, dann
weiß das Publikum, was es erwartet. Neben den großen
Barockopern Händels hat Alden auch den letzten Ring an der
Bayerischen Staatsoper auf die Bühne gebracht und immer war
es bunt, grell und poppig.
Auch bei seiner jüngsten Produktion blieb Alden sich treu
und servierte dem Publikum Lulu als große Mädchenpuppe,
freilich nicht verrucht und sinnlich, sondern ganz aus Plastik,
wie Kens Freundin Barbie. Nun ist die auf Frank Wedekinds Dramen
„Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“
basierende Lulu keineswegs so vordergründig, wie der schnell
erzählte Handlungsstrang es vermuten ließe. Dass da ein
junges Mädchen mehrere Männer auf dem Gewissen hat, die
soziale Leiter bis auf die Straße hinunter fällt und
zu guter letzt durch die Hand eines Freiers stirbt, könnte
leicht einen schlüpfrigen Beigeschmack haben. Was aber dem
wilhelminischen Deut- schland noch verbietenswert erschien, ist
heute auf jedem Kinderkanal angesagt.
Wie nähert man sich also dieser letzten, unvollendeten Oper
Alban Bergs? Musikalisch hatte sich Michael Boder für die von
Friedrich Cerha vervollständigte dreiaktige Version entschieden.
Und mit Margarita De Arellano stand eine Sängerin zur Verfügung,
deren Ausdruckskraft und äußere Erscheinung eine idealtypische
Lulu in Szene setzte. Nun also wieder einmal Pop Art und grelle
Farben, deutliche Sexszenen und Hemmungslosigkeit. Aber der Berg’schen
Lulu bekommt diese Entschlackungskur. Die Obsessionen werden zeitloser,
weil unverständlicher. Alden will nicht erklären und nichts
beschönigen. Er erzählt den Handlungsstrang in plakativen
Bildern und das Bühnenbild (Giles Cadle) ist beeinflusst von
amerikanischen Realisten, wie Denis Hopper oder Gregory Crewdson.
So wird das Unausweichliche des Untergangs bereits zu Beginn deutlich,
wenn der Regisseur die Szene im mittleren amerikanischen Westen
spielen lässt. Die Voyere sind überall und da ist es nur
konsequent, aus dem Maler (Will Hartmann) einen zweiten Andy Warhol
zu machen, der Lulu mit der Videokamera verfolgt und die besten
Szenen als Pop-Art verkauft.
Neben all den aufgeladenen Männergestalten wirkt der Dr.
Schön des Tom Fox seltsam gelassen. Selbst den größten
Erniedrigungen steht er distanziert gegenüber, alles in allem
ein psychologischer Technokrat. Menschliche Empfindungen gestattet
Alden ausnahmslos seiner Gräfin Geschwitz (Katarina Karnéus),
die sterbend ihrer Geliebten Lulu ein innig-rührendes „Ich
bin dir nah! Bleibe dir nah, in Ewigkeit!“ zuruft.
Durch Aldens kühlen Blick auf das Geschehen und die handelnden
Personen hebt er die Gleichförmigkeit der Beziehungsstränge
hervor. So gelingt ihm, vieles von dem Wedekind’schen Panoptikum
einzufangen: eine Moritat unserer Tage.
Musikalisch war die Oper bei Michael Broder in den besten Händen.
Nach „Ubu Rex“, „Was ihr wollt“ und „Das
Schloß“ bewies er in München mit Bergs Lulu erneut
seine Versiertheit im zeitgnössischen Repertoire. Das Bayerische
Staatsorchester nahm auch die Tücken des nachträglich
orchestrierten dritten Aktes mit Bravour. Margarita De Arellano
war die Lulu des Abends, eine Sängerin, die jeden in Bann schlug
und der das Publikum mit stehenden Ovationen lautstark für
ihre grandiose Leistung dankte.