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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 44
53. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Ohne Fortsetzung, ohne Folgen
Kompositions-Wettbewerb der „Gläsernen Manufaktur“
in Dresden
Es klingt nach San Marco in Venedig, ist aber geschrieben für
eine Industrie-Kathedrale der Gegenwart: Filippo Peroccos Komposition
„Riflesso sottile“ (zarte Schimmer), uraufgeführt
in der Gläsernen Manufaktur in Dresden. Dieses riesige Haus
des VW-Konzerns unweit des reizvollen Großen Gartens ist ein
Gebäude von Rang, typisch für die Glasorientierung in
der Architektur des letzten Jahrzehnts. In erster Linie ist dieser
Bau eine hocheffektive Fertigungsstädte für besonders
teure Automobile. Doch mit gewissem Geschick versucht eine als Forum
für Kultur und Wirtschaft bezeichnete Gesellschaft, aus der
Gläsernen Manufaktur einen attraktiven Faktor im kulturellen
Leben der Stadt zu machen.
Dirigent Jonathan Stockhammer
und Dresdner Sinfoniker vor Werkstattkulisse. Foto: Gläserne
Manufaktur Dresden
Die kirchenähnliche Akustik des zentralen Präsentationsraums
ließ den Gedanken aufkommen, hier auch Musikveranstaltungen
abzuhalten. Man begann vor einiger Zeit mit konzertanten Opernarien
und einem Klavierwettbewerb. Die nun erstmals realisierte Idee,
eigens für diesen Raum geschriebene Kompositionen aufführen
zu lassen, ist verglichen damit weitaus innovativer und spezifischer.
Realisiert wurde sie durch einen eigens dafür gegründeten
internationalen Kompositionswettbewerb. Dass sich der Wolfsburger
Autokonzern dafür bereit erklärte, ist eine in dessen
Bilanz kaum wesentlich auffallende gute Tat, von der man sich erst
recht wünschte, sie würde Schule machen.
Der Venezianer Filippo Perocco war einer der sechs Teilnehmer,
die in diesem Wettbewerb für die öffentlich ausgetragene
Schlussrunde ausgewählt waren. In zwei als Halbfinale bezeichneten
Konzerten wurden ihre Stücke präsentiert, bevor dann die
Hälfte von ihnen nochmals im „Finale“ gegeneinander
antreten durfte. Peroccos Stück war das einzige der sechs Semifinalisten,
das nur in relativ geringem Maße mit traditionellen Gestaltungselementen
auftrumpfte. Doch diese Bescheidenheit half nichts, der junge Italiener
musste die Plätze im Finale anderen überlassen, zwei deutschen
und einer Spanierin. Denn man wollte hier – wie sich eines
der Jurymitglieder ausdrückte – Musik mit besonderer
„Hörerfreundlichkeit“ honorieren. Ausdrücklich
war, um diesen etwas schwammigen Faktor zu präzisieren, in
der Ausschreibung darauf hingewiesen worden, es sei erwünscht,
dass in den Partituren der Teilnehmer Elemente aus der U-Musik nicht
ausgespart würden. Dazu gab es auch noch eine thematische Akzentuierung
des Wettbewerbs: die kompositorische Ausgestaltung des riesigen,
in mehrere Ebenen aufgefächerten Glaspalastes. Alle Teilnehmer
hatten, um dies zu belegen, zunächst schriftliche Erläuterungen
ihrer Konzepte vorgelegt. Erst im nächsten Schritt wurden dann
auch Partituren verlangt.
Wer an die Werke der sechs vorgestellten Endrundenteilnehmer Maßstäbe
eines der renommierten Festivals für zeitgenössische Musik
anlegen wollte, würde sofort enttäuscht sein: wirklich
originell oder gar auf dem Weg zu atemberaubend neuen Gestaltungsideen
wird man keines von ihnen nennen können. Fast alle konzentrierten
sich darauf, erprobte Stilmittel der großen symphonischen
oder oratorischen Tradition abzurufen. Ideen der epochalen offeneren
Raummusikkonzepte der letzten Jahrzehnte etwa von Luigi Nono blieben
vollends ausgespart. Doch auch der in der Ausschreibung formulierte
Gedanke, Impulse anderer Musikrichtungen aufzugreifen, versandete
zumeist. Und keiner der Ausgewählten wagte auch nur einen Hauch
von Widerborstigkeit gegen die auftrumpfende Selbstdarstellungstendenz
dieses Ambientes. Einzig der 38-jährige Kölner Komponist
Bernd Redmann, der am Ende Zweiter wurde, bezog punktuell auf plausible
Weise Elemente heutiger Unterhaltungsmusik ein. Redmanns Komposition
„L’usine imaginaire“ (imaginäre Fabrik) reagierte
freilich nicht so sehr auf die räumliche Seite des Aufführungsortes,
sondern mehr auf dessen Funktion, mit ausdrücklichen Bezügen
zur Tradition mechanischer Musik des frühen 20. Jahrhunderts.
Auch nach mehrmaligem Hören – außer den Finalrunden
gab es auch noch Reprisen in zwei folgenden „Galakonzerten“
– wirkt dieses Werk ein wenig harmlos, dennoch dürfte
es dazu geeignet sein, einzelne Wiederaufführungen durch große
symphonischer Klangkörper im Rahmen von traditionellen Konzertveranstaltungen
zu erhalten.
Als Sieger ging letztlich der 34-jährige Karlsruher Matthias
Ockert aus diesem Wettbewerb hervor, einer von mehreren Komponisten
dieser Endrunde, die auch ausgebildete Architekten sind. Ockert
ließ sich in seinem Werk von philosophischen Erwägungen
des Raum-Denkens beflügeln. Sein Werk mit dem Titel „Diaphaneity“
zeigt ein solides handwerkliches Können, wirkte gleichwohl
ein wenig angestrengt ambitiös, nicht zuletzt in der wenig
zwingenden Einbeziehung von Texten von Joyce und Mies van der Rohe,
die in eine seltsam nostalgische Aura eingehüllt erschienen.
Die Dresdner Sinfoniker unter Jonathan Stockhammer, teilweise
assistiert von einer Dresdner Sängergruppe mit dem Titel „Ensemble
vocal modern“, bemühten sich bei den sechs Uraufführungen
redlich, hatten dennoch in der diffizilen Akustik des Aufführungsortes
mitunter Probleme, jenen pauschalen Einheitssound zu vermeiden,
wie man ihn von Aufführungen in halligen Kirchenräumen
kennt. Ganz unkirchliche akustische Nebensignale gab dabei nicht
nur die Klimatisation einer großen, begehbaren Werbe-Kugel,
sondern vor allem die VW-Spätschicht: Man sah und hörte,
wie direkt hinter der riesigen Glasscheibe gearbeitet wurde –
was in diesem Hause weniger nach Anstrengung als nach fast klinischer
Perfektion und einem eher geringen Arbeitnehmer-Bedarf aussieht.
Übrigens war zu vernehmen, dass dieser Dresdner Wettbewerb
wohl keine Fortsetzung finden wird. Das ist bedauerlich, erklärt
aber vielleicht auch das etwas äußerliche Gehabe, mit
dem man den Wettbewerb zu einem singulären Großereignis
zu stilisieren suchte. Bezeichnend dafür das im Programmheft
zelebrierte Hochjubeln bislang relativ unbekannter Endrunden-Teilnehmer
zu renommierten Persönlichkeiten. Immer hin, vom Publikum angenommen
wurde diese Finalrunde in beachtlichem Maße. Und würde
man dem Ganzen in Zukunft eine profiliertere dramaturgische Ausrichtung
geben, könnte so etwas auch und gerade für eine Stadt
wie Dresden eine wirkliche Bereicherung werden. Denn im Grunde gibt
es in Deutschland nichts Vergleichbares.