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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 46
53. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Das blutige Kreischen Gottes
Adriana Hölszkys „Der Gott von Manhattan“ bei
den Schwetzinger Festspielen
Die rumäniendeutsche Komponistin Adriana Hölszky hat
es dem Hörer noch nie leicht gemacht. Das Getrieben-Sein, die
Angst des Individuums vor der Gesellschaft, war für sie schon
immer ein substanzielles Ingredienz ihres musikalischen Schaffens.
Die Auswegslosigkeit der Giftmischerin Geesche Gottfried in „Bremer
Freiheit“, das Gefühl der Umlagerung in „Die Wände“,
das sich gegenstandslos ausbreitende Gefühl der Angst in „Tragödia“
waren Stationen in einem unbarmherzig vorangetriebenen Prozess.
Im 57. Stock: Jan (Andreas
Scheibner) und Jennifer (Ann-Katrin Naidu) im Bett, umlagert
vom Chor. Foto: Monika Rittershaus
Doch man muss sich fragen, wo die Kante ist, an der diese Prinzipien
kippen? Bei den Schwetzinger Festspielen bekam man nun davon eine
Ahnung. Höszky hatte auf das Hörspiel „Der gute
Gott von Manhattan“ von Ingeborg Bachmann (bearbeitet von
Yona Kim) zurückgegriffen. Es zählt literarisch vielleicht
nicht zu den intensivsten Texten Bachmanns, was den Prämissen
der Umsetzung für den Funk geschuldet ist. Aber er ist durchtränkt
von geradezu lapidarer Gnaden- und Illusionslosigkeit: Eine Frau
(Jennifer, Ann-Katrin Naidu) spricht an der New Yorker Central Station
einen Mann (Jan, Andreas Scheiner) an. Das ewige Räderwerk
von Lust und Liebe, die Melange aus Herausforderung und Zurückweisung
hebt an. Eichhörnchen, Gesandte des obskuren „Gottes
von Manhattan“ bringen Kassiber vorbei, die den Fortgang der
Dinge voraus sagen. Vom ersten Stock des Stundenhotels wechselt
man die Zimmer des Liebesakts in immer höhere Etagen. Auf der
höchsten zieht Jan endgültig wieder ab, der am Schluss
schließlich desillusioniert eingreifende Gott von Manhattan
bringt Jennifer eine Bombe, die die Frau und die nebulösen
Gefühle von Liebe in die Luft jagt. Es ist der Liebestod der
Moderne: hoffnungslos, schäbig, leer.
Die Stimmführung der beiden Protagonisten überraschte.
Denn Hölszky behandelte sie weithin konventionell, in einer
Art von modernem, expressivem Parlando, wie wir es von vielen neuen,
unambitionierten Opernproduktionen zur Genüge kennen. Das bläser-
und schlagwerkdominierte Orchester, das das Publikum umlagert, gewissermaßen
in die Zange nimmt, stellte in permanenter Geste des Dreinfahrens,
des erschreckten Nachklingens harte Zwischenschnitte her. Ein achtstimmiger
Chor, gekleidet als Reisende, als gymnastiktreibende Bodybesorgte,
als Hotelgäste, als Verkäufer, als Mönche, als Hotelpersonal
(somit einen Querschnitt der Wählermasse symbolisierend) schuf
dazu herbe, klanglich exaltierte Zonen, die einst in der attischen
Tragödie allgemeine, besinnende Kontemplation meinten, hier
aber zum Common sense der inhaltlichen Öde verkommen sind.
Hölszky ging an Grenzen stimmlicher Behandlung, aggressiv unterminiert
von Mundraum-Verrenkungen und Deklamationsrhytmen, vom Klatschen
der Hände, von brachialen Steppeinlagen. Die Eichhörnchen,
stimmlich außerordentlich kühn geführt, fiepten
und zwitscherten in schrillen, von den Orchesterklängen prolongierten
Lagen dazwischen.
Es war ein Zustand permanenter Überdehnung, in die der Hörer
versetzt wurde. All dies, nochmals bis zum Zerreißen gedehnt
in einer Puppentheatereinlage der Eichhörnchen (hier hautnah
zeitbezogen als amerikanische Gefängniswärterinnen), in
denen die großen Liebespaare der Geschichte (Orpheus und Eurydike,
Romeo und Julia et cetera) auf die Kategorien von Kuss, Kopulation
und Vernichtung reduziert wurden, schuf ein Klima überreizter
Ausweglosigkeit.
Doch gerade hierin hatte Hölszkys neues Musiktheater seine
Schwächen. Die Zonen von verhetzter und gleichzeitig grauer
Tristesse blieben in ihrer drastischen Nervosität letztlich
eindimensional. Alles siedelte auf gnadenloser Klippe, verkommene
Enge war gemeint, in ihr aber bewegte sich letztlich auch in nur
repetitivem Gestus die Musik. Die permanente Überspannung setzte
der Musik Grenzen, ihre Mittel drohten sich zu egalisieren, was
denn auch über weite Strecken des Stücks der Fall war.
Das Enigmatische von Bachmanns Hörspiel, das mit medizinischer
Genauigkeit nach- einander jede Illusion extrahiert, wandelte sich
hier zu einer in seiner Subtilität beschnittenen Ästhetik
am Anschlagspunkt. Die schonungslose Zeichnung kann sich, und das
geschah hier, auch in ihrer Schonungslosigkeit verstricken: Die
Attitüde der Überreizung, die sich selbst genügt
und weitgehend auf der Schiene einer leeren Konversation transportiert
wird, egalisiert sich letztlich selbst.
Freilich war diese Ausgangsposition mit Bedacht gesetzt. Hölszky
eine viel zu versierte Frau des Musiktheaters, als dass ihr solches
einfach unterlaufen könnte. Konzeption war, mit einem extrem
überdehnten Zustand zu beginnen, und diesen dann nochmals zu
überdrehen. Das wurde klar, als in den letzten zehn Minuten
des 90-minütigen Stücks der Gott von Manhattan ins Geschehen
trat. Er bringt der allein gelassenen Jennifer die Bombe der Vernichtung,
er selbst aber ist im Grunde die Bombe. Denn die Behandlung seiner
Singstimme brach jegliche Konvention. Kreischen, Brüllen, schrille
Überdehnungslagen zerschlugen hier jeden ästhetischen
Vorhang (unglaublich drastisch mit stupender Technik: Daniel Gloger).
Der Gott exhibitioniert sich zum Obszönen, zum Schlächter
der eigenen Stimme, zum ohnmächtig von der Welt gefolterten
Wesen. Die Musik durchbrach hier alle Schranken der künstlerischen
Distanz, der Gott wühlt in den eigenen Gedärmen ehemaliger
Entwürfe, er zeigt nichts, will nicht betrachtet werden, sondern
schreit wie ein zu Tode Gepeinigter. Kein noch so unschöner
„schöner Schein“ steht dazwischen, die Libido der
Vernichtung stand blutig nackt auf der Bühne. So wurde noch
keine Person, ob Mensch oder Gott, in Szene gesetzt.
Hölszky überschritt mit diesem Stück Grenzen. Das
hatte seinen Preis. Es war der hohe der subtilen Differenzierung.
Die Musik schlug auf den Hörer ein, Schmerzbereiche extremer
Pfeifgeräusche wie bei Rückkoppelungen wurden bewusst
wie Elektroschocksonden eingesetzt. Unbehagen war einkalkuliert,
aber es wendete sich auch wie zur Selbstverteidigung gegen das Stück.
Die Regie (Stephan Kimming) war von diesem fraglichen Entwurf gnadenlos
überfordert und reduzierte das Geschehen auf die matten Bilder
eines expressiven Realismus mit weitgehend hilf- und einfallsloser
Personenführung. Auch die musikalische Umsetzung (Leitung:
Alexander Winterson) konnte im Grunde nur mitmachen. Die scharfen
Klangkaskaden machten differenzierende Distanz oft nicht möglich.
Das war die Vorgabe des Stücks, das war aber auch sein Manko.
Letztlich wurde Bachmanns illusionslose Analyse auf einen existenzialistischen
Aufschrei heruntergefahren.