[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 47
53. Jahrgang | Juni
Oper & Konzert
Auf dem Weg zur Neunten
Manfred Trojahns fünfte Sinfonie mit den Münchner Philharmonikern
unter SyIvain Cambreling
Bei dem Begriff Symphonie – oder auch Sinfonie geschrieben
– denkt der Musikliebhaber vor allem an die großen Werke
des neunzehnten Jahrhunderts. An Beethoven, Schubert, Brahms, Bruckner,
Tschaikowsky und Mahler. Vor dieser Zeit natürlich auch –
Mozart und Haydn. Als eigentlicher Erfinder der aus der Suite herausgewachsenen
sinfonischen Form allerdings gilt Johann Stamitz, mir war danach
dann Haydn eben der genialere Ausbau-Meister der klassischen Sinfonik.
Komponist Manfred Trojahn.
Foto: Charlotte Oswald
Mit Beginn der neuen Musik trat die tradierte Form in den Hintergrund.
Wer wollte oder konnte noch Bruckner oder Mahler übertrumpfen?
Vollends nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen Komponisten, die
noch Sinfonien schrieben, den Avantgarde-Kollegen ziemlich verdächtig.
In Darmstadt oder Donaueschingen herrschten andere Gesetze, das
Retrospektive wurde verbannt. Hans Werner Henze war das prominenteste
Opfer der seriellen Fundamentalisten: Boulez’ Bannfluch wirkte
in Paris bis zum letzten Jahr nach, bis sich die Musikredaktion
des französischen Rundfunks ein Herz fasste und in einem großen
Zyklus alle zehn Sinfonien Henzes erstmals in Paris präsentierte.
Es wurde ein Riesenerfolg und geriet gleichzeitig zu einem überzeugenden
Plädoyer für die Vitalität der sinfonischen Großform,
sofern nur der „Richtige“ sich ihrer bedient.
Hans Werner Henze ist auch für den 1949 in Cremlingen bei
Braunschweig geborenen Manfred Trojahn ein gewichtiges Vorbild.
Trojahns Komponieren hat sich nie doktrinären Vorbildern unterworfen,
sondern stets geschichtliche Kontinuität im Blick behalten.
Warum sich nicht überlieferter Formen bedienen, deren Elastizität
meist größer ist als gedacht, wenn man für sich
überzeugt ist, dass sich in diesen Formgestalten Neues und
Eigenes ausdrücken lassen? So hat Manfred Trojahn nicht nur
zwei eigenständige Literatur-Opern geschrieben. ,,Enrico”
nach Pirandello und ,,Was ihr wollt“ auf Shakespeares Komödie,
sondern in größeren zeitlichen Abständen auch Sinfonien,
deren fortlaufende Nummerierung jetzt bei der Ziffer Fünf angelangt
ist.
„Der Mensch soll gespürt werden, nicht das musikalische
Objekt“ – dieses Credo hat Manfred Trojahn einmal noch
als junger Komponist formuliert. Die Äußerung bedeutet
nicht mehr oder weniger als ein klares Bekenntnis zu einer ungebrochenen
Ausdrucksmusik. Persönliches soll in der Musik mitschwingen,
Empfindungen, Sehnsüchte, Leiden, eingefasst in musikalische
Gestalten, Gesten, Klänge, Rhythmen. Trojahns Liebe zu Italien,
eine sehr deutsche Vorliebe, fand ihren entspannten, ausgeglichenen
Ausdruck in der dritten Sinfonie (1985), in der sich viele Zitate
aus der Musik romanischer Länder finden, unter anderem ein
„springender“ Saltarello – Trojahns Musik ist
in diesem Werk auch eine stille Huldigung an den „Italiener“
Hans Werner Henze.
Während Trojahns „Erste“ den Einfluss Ligetis
nicht verhehlt, die „Zweite“ die starke Affinität
des Komponisten zu Gustav Mahler aufzeigt und die 1992 entstandene
„Vierte“ als „Notturno“-Vorausklang auf
eine nicht geschriebene „Merlin-Oper“ zu erahnen ist,
wirkt Trojahns „Fünfte“ in ihrem kompositorischen
Gestus und sinfonischen Ausdruck entschieden autonomer, freier,
in der Strukturierung speziell im Mittelsatz des dreiteiligen Werkes
komplexer und komplizierter: eben symphonischer ausgearbeitet. Der
zweite Satz, als lntermezzo annonciert, ist alles andere als ein
Zwischenspiel: eine subtil entwickelte, vielfach durchbrochene Textur
aus extremen dynamischen Kontrasten zwischen dreifachem Piano und
dreifachem Forte, fein gezogenen Kantilenen und einer wie von weit
herbeischwebenden Klanggrundierung der Posaunen – alles äußerst
dicht komponiert, von innen heraus erhört und übersetzt
in ein farbreiches Wechselspiel der Instrumente. Trojahns Komponieren
erreicht hier ein hohes Reflexionsniveau, mit der er – er
möge es verzeihen – selbst in Donaueschingen für
Furore sorgen könnte. Dieses Intermezzo verspannt gleichsam
auch die beiden Ecksätze der Sinfonie: den rhythmisch akzentuierten,
vor Energie strotzenden Kopfsatz und den leicht dahinfließenden,
kantablen Finalsatz mit seinen wirkungsvollen Farb- und Stimmungswechseln.
In gewisser Weise bündeln sich in Trojahns fünfter Sinfonie
viele Charakteristika der vorangegangen sinfonischen Werke, mit
denen sich dann das „Intermezzo“ quasi als Aufbruch
in eine neue, erweiterte Komponierwelt heraushebt.
Die fünfte Sinfonie entstand im Auftrag der Münchner
Philharmoniker, die das Werk jetzt in ihren Abonnementszyklen dreimal
in der Gasteig-Philharmonie aufführten. Der Dirigent Sylvain
Cambreling erwies sich dabei als kompetenter Sachwalter des Komponisten.
Cambreling versteht es meisterhaft die Strukturen einer Komposition
offenzulegen, sie ganz leicht und schwebend dahinfließen zu
lassen, Details scharf zu belichten, instrumentale Farben aufleuchten
zu lassen und dann alle diese wundersamen Einzelheiten mit einer
kraftvollen Gebärde symphonisch zusammenzuraffen.
Die Münchner Philharmoniker schwangen sich dabei zu einem
engagierten Musizieren auf, glänzten mit delikaten instrumentalen
Details, entfalteten auch an den dafür vorgesehenen Stellen
eine enorme Klanggewalt. Da auch das weitere Programm mit Paul Dukas‘
„La Peri“ und Henri Dutilleux‘ „Metaboles“
die eingefahrenen Bahnen eines Abo-Konzerts verließ, durfte
man von einem ungewöhnIichen Konzert und einem großen
Abend sprechen. Das Philharmoniker-Publikum schien davon sogar leidlich
angetan.