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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 10
53. Jahrgang | Juni
Cluster
Musik-Politik
Man fragt sich ja schon manchmal, warum der gegenwärtige
Zustand der Welt zwischen Krieg, Folter und Lüge die Künstler
nicht stärker herausfordert. Nur wenige kompositorische Arbeiten
nehmen direkten Bezug – vielleicht aus falscher Furcht vor
Politkunst mit ihren harten Rastern. Die Zeit nach der Postmoderne
scheint die Mittel zur Stellungnahme eingebüßt zu haben,
oder man scheut sich vor ihnen. Dass ein solches Unterfangen schief
gehen kann, wenn man nur den guten Willen, nicht aber eine dezidierte
künstlerische Schärfe vorweisen kann, das zeigte deprimierend
Andrea Molinos Versuch, in einem multimedialen Projekt ethnische
und religiöse Konflikte der Gegenwart anzugehen. Es genügt
einfach nicht, wenn man über Satelliten Musiker aus Istanbul,
Jerusalem und Belfast miteinander vernetzt und in einem virtuellen
Konzert aufeinander treffen lässt und dann diese Einsprengsel
der sanft vorgetragenen Versöhnungsgestik vor Ort mit musikalischem
Kitt, Geschichten aus der bildungsbürgerlichen Schublade (etwa
Ringparabel) und verhetzten Betroffenheitsaktionen des Stimmakrobaten
David Moss garniert. Das sind Events, die in ihrer Dramaturgie noch
hinter den genüsslich aufgemachten Schreckensszenarien der
eingebundenen Vor-Ort-Medien zurück bleiben, denen sie gleichwohl
nacheifern. Künstlerische Auseinandersetzung heißt Brechung
der Blickwinkel. Good-Will-Touren verkehren sich schnell ins Gegenteil,
indem sie die Horizonte unserer Information nicht verschieben. Doch
auch eine gute Nachricht: Dass künstlerisches Arbeiten stiller
und zugleich nachhaltiger sein kann, hat der südkoreanische
Komponist Isang Yun durch sein fortgesetztes Wirken in Nordkorea
bewiesen. Jetzt kam zum zweiten Mal auf Einladung des Goethe-Instituts,
das aus diesen Aktivitäten 1990 hervorgegangene Isang Yun Ensemble
aus der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang nach Deutschland.
Außergewöhnliche Musiker bewiesen, dass auch unter extremen
Verhältnissen differenzierte Kunstauseinandersetzung möglich
ist. Und im Gegenzug gelang es dem Goethe-Institut, in Kürze
ein Informationszentrum (unzensiert, freier Zugang wurde zugesichert)
einzurichten.