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Ausgabe 2004/06
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nmz 2004/06 | Seite 16
53. Jahrgang | Juni
Forum Musikpädagogik

Mache ich mir damit die Technik kaputt?

Einschätzungen und Anregungen zu Jazz und Popularmusik im Streicherbereich · Von Gunther Tiedemann

Sind Sie Cellist oder Cellistin und haben immer vorsichtig oder bestimmt abgelehnt, wenn Musiker aus dem nichtklassischen Bereich Sie für eine Zusammenarbeit gewinnen wollten? Haben Sie Schüler, die leuchtende Augen bei dem Gedanken bekommen, ein E-Cello zu besitzen, die aber wenig eigenes Engagement zeigen, sich in dafür plausiblen Stilbereichen zu bewegen?

Die Cello Big Band der Rheinischen Musikschule Köln unter der Leitung von Ulrike und Gunther Tiedemann bei einer Probe für ihren Auftritt in der Kölner Philharmonie. Foto: U. Tiedemann

Die Reaktionen von Kolleginnen und Kollegen zum Thema Jazz-Rock-Pop auf dem Cello erlebe ich sehr unterschiedlich. Natürlich gibt es die, die es selber machen. Dann gibt es die, die Respekt davor zeigen, trotz grundsätzlichen Interesses aber noch keinen Zugang gefunden haben. Viele haben auch ihre Interessen- und Tätigkeitsgebiete in den Sparten der E-Musik gefunden und aufgrund mangelnder Berührungspunkte ein neutrales bis desinteressiertes Verhältnis zu Formen der Popularmusik (immerhin ein Oberbegriff, wenn er auch immer für eine Diskussion gut ist). Und dann gibt es die Skeptiker, die ästhetische Bedenken anführen und Angst vor Schäden an einer ordentlichen Cellotechnik äußern. Natürlich sind diese vier Gruppen nicht immer scharf vonein- ander zu trennen.

Mit Eindrücken aus Unterricht, Kursen und der Cello Big Band möchte ich den Interessierten Anregungen für die eigene Arbeit in künstlerischer und pädagogischer Hinsicht geben und den Bedenken der Skeptiker etwas entgegensetzen. Ein Desinteressierter, der den Artikel liest, hat diesen „Status“ ja bereits verloren.

Pop kontra Motivationsloch

Ist Popularmusik eine Möglichkeit, Schülern mit Motivationsloch cellistisch wieder auf die Beine zu helfen? Gegen Motivationslöcher helfen nun einmal Unterrichtsinhalte, die den betreffenden Schüler motivieren. Somit hängt es vom Schüler ab, welche Musik oder welche Form von Popularmusik ihn anspricht. Leider ist das cellistisch aufbereitete Material nicht umfangreich. Wenn man hier etwas findet, das beim Schüler zündet, hat es funktioniert. Aber was macht man danach? Um nicht regelmäßig Tonträger abhören und Stücke notieren zu müssen, ist es nicht verkehrt, den Umgang mit Leadsheets (Melodie mit Akkordsymbolen) zu trainieren. Diese gibt es meistens zu den Jazz-Rock-Pop-Klassikern und zu Charttiteln. Hier bietet sich eine gute Praxisschule für das Lesen von oktaviertem Violinschlüssel oder für Daumenlage in Originalhöhe. Wie man das dem Schüler mit Motivationsloch verkauft, ist eine andere Frage. Damit bin ich bei den Vorzügen der Beschäftigung mit Popularmusik, die über die Funktion der reinen „Bespaßung“ von Schülern oder sich selbst hinausgehen.

Bei notierten Stücken ist die oft rhythmisch komplexere Struktur ein gutes Training. Das Adaptieren bestimmter charakterlicher oder vortragstechnischer Eigenarten des Originals schult die Wahrnehmung und die Fähigkeit zur Umsetzung von Höreindrücken. Akkordsymbole bieten einen praxisorientierten Einstieg in die Harmonielehre. Das regelmäßige Trainieren, dem Cello beim Begleiten verschiedene Funktionen zukommen zu lassen (Bass, Akkorde, Seitenlinien), bildet die Fähigkeit aus, sich solche Begleitungen relativ schnell zurecht zu legen oder ad hoc zu improvisieren. Das eigene Erarbeiten von Begleitungen fördert wiederum das Periodenempfinden und Verständnis formaler Zusammenhänge.

Damit möchte ich nicht behaupten, dies alles sei im traditionellen Cellounterricht nicht zu leisten. Popularmusik bietet sich nun einmal für diese Herangehensweise an, ähnlich, wie es das Generalbassspielen täte (wobei die Funktion des Cellos aber auf den vorgegebenen Bass beschränkt ist). Mit der Popularmusik bewegt man sich häufig näher an der Lebenswirklichkeit vieler Schüler. Wenn Musikschulen verstärkt auf das Bedürfnis nach Beschäftigung mit Popularmusik im Streicherbereich eingehen, wird eine diesbezügliche Qualifikation bei der Besetzung von Stellen relevant. Dabei geht es nicht um eine Degradierung des bewährten Cellounterrichts oder der Celloliteratur. Es wird aber nötig sein, dem eine weitere Farbe hinzuzufügen, was wieder Überlegungen zur Instrumentallehrerausbildung nach sich ziehen sollte. Professionelle Popularmusiker vermissen an klassisch ausgebildeten Musikern oft Flexibilität in Stilistik (inklusive Spieltechniken) und im selbständigen Finden ihrer Funktion im noch offenen Arrangement, sowie Timing und Improvisationsfähigkeit (jeweils im stilistischen Kontext). Das Fach Jazzgeige wird immerhin an Hochschulen in Deutschland und etwa Holland angeboten. Es fällt auf, dass in Jazz-, Rock-, Pop-, Chanson- und anderen Produktionen zunehmend Cellisten auftauchen, die sich aber häufig über einen klassischen Gestus nicht hinaus bewegen.

Im künstlerischen und pädagogischen Popularbereich gibt es bereits eine steigende Zahl von Musikern und Cello- oder Streichensembles, die sehr individuelle Wege gehen – fernab von der meist einseitigen Streicherfunktion in einem großen Teil der Popmusik. Dies geschieht oft auf technisch und musikalisch sehr hohem Niveau (Nicht die traditionelle Instrumentaltechnik wird verdorben, es werden nur weitere Spieltechniken hinzugefügt, die im Übrigen mit einer ineffizienten „klassischen“ Technik schwer zu bewältigen wären). Diese Entwicklung wirkt sich zur Zeit noch zögerlich auf Umfang und Art der Veröffentlichung von Unterrichts- oder Ensembleliteratur aus. Es gibt eine Reihe von Spieltechniken, die für unterschiedliche cellistische Entwicklungsstadien realisierbar sind und meistens auch Schülern viel Spaß bereiten, die sich bisher mit ihrem klassischen Cellounterricht zufrieden zeigten. Andere habe ich tatsächlich mit Tap-, Slap-, Walking- und Akkord-Techniken zum Üben verleiten können, war aber immer auf „orale Tradierung“ oder eigene Arbeitsblätter angewiesen. Freude bereitet außerdem die Integration perkussiver Elemente in rhythmisch gezupfte oder gestrichene Passagen. Darüber hinaus gibt es eine Menge Inspiration von allen möglichen anderen Instrumenten, deren klangliche Eigenarten man übertragen kann. Dafür muss man sich mit seinem Cello vielleicht so verhalten, wie man es vorher noch nicht getan hat. Dies kann man dann auch Spieltechnik nennen.

Zu begrüßen ist der Trend zu Playalong-CDs, die das Üben für Schüler sehr erleichtern können. Leider ist die Qualität noch zu oft unbefriedigend, so dass ich ästhetischen Einwänden in solchen Fällen nichts entgegen zu setzen weiß und auch Vermeidungsstrategien bei Schülern beobachte. Die Preisentwicklung und vielleicht auch die Entwicklung wirkungsvoller Kopierschutzverfahren wird Verlage hoffentlich dazu ermutigen, in sinnvollen Fällen auch ergänzende Lehrvideo-DVDs zu veröffentlichen.

Eine Spezialisierung auf Popularmusik von Schülern im Cellounterricht wird sicher zunächst die Ausnahme bleiben. Begleitende Ensembleprojekte sind eine gute Ergänzung und können einen Einstieg bieten. Seit zehn Jahren führe ich jährliche Projekte für Cello Big Band und Cello Combo durch. Für die Cello Big Band werden die Arrangements und Kompositionen auf die heterogene Gruppe zugeschnitten. Ein Teil des Programms bietet Leere-Saiten- beziehungsweise 1.-Lage-Stimmen, so dass Anfängern von vorne herein die Möglichkeit geboten wird, Teil eines großen Ensembles (zurzeit zirka 40 Mitglieder) zu sein, das im Ergebnis qualitativ deutlich über ihrem spieltechnischen Niveau liegt. Eine Motivationswirkung lässt sich durch alle Alters- und Leistungsstufen beobachten (die Altersstruktur bewegte sich bisher zwischen 5 und 60 Jahren). Stilistisch beschäftigen wir uns mit Jazz und vielen Abteilungen der Popularmusik, wobei im Laufe der Jahre häufig Wünsche der Teilnehmer berücksichtigt wurden.

Innere Vorstellung trainieren

In kleinerer Besetzung geht es in der Cello Combo mit fortgeschritteneren Schülern konkreter um die Vermittlung von Spieltechniken, Improvisation und die dafür nötige Theorie. Die „Schmerzgrenze“ liegt bei den Schülern unterschiedlich hoch, wenn es darum geht, zunächst Skalen und Akkorde auf dem Griffbrett zu verteilen und dieses Material dann in Musik umzusetzen. Hier zeigt sich schnell, wer sich lieber in den zu einem schnellen Ergebnis führenden Pfaden bewegt und fertige Noten abspielt. Der Pfad von den Augen zu den Händen scheint ausgetretener zu sein als der von einer inneren Vorstellung aus. Und eine solche erst einmal zu haben oder wahrzunehmen will auch trainiert sein.

Im vergangenen Jahr habe ich im Rahmen des Internationalen Kunstsommers Arnsberg einen Jazz-Rock-Pop-Cello-Kurs gegeben, der im Wesentlichen das Konzept der Cello Combo mit Spieltechniken, Theorie, Improvisation in Kombination mit Ensemblespiel verfolgte. Aufgrund der offenen Struktur im Arrangement bietet die Popularmusik Differenzierungsmöglichkeiten für Teilnehmer mit unterschiedlicher Vorbildung, also bezüglich der Fragen „Was kann ich?“ und „Was will ich?“ und „Wie viel Energie will ich investieren?“. Die Bandbreite bewegte sich zwischen Schülern mit bisher rein klassischer Erfahrung, solchen, die schon einmal an Cello-Combo-Projekten teilgenommen hatten, und im Popularbereich erfahrenen Cellisten. Es haben sich neben der Arbeit in der Gruppe mit allen elf Teilnehmern relativ homogene kleinere Arbeitsgruppen gebildet.

Über das Spielen in reinen Cellobesetzungen hinaus sind gemischte Ensembles für interessierte Cellistinnen und Cellisten erstrebenswert. In diesem Jahr (3. bis 5. September) wird das Konzept um die Jazz-Rock-Pop-Kurse von Sebastian Reimann (Violine/Viola) und David Plate (Gitarre) ergänzt. Neben der getrennten Kursarbeit wird ein Schwerpunkt im Bilden auch von übergreifenden Ensembles verschiedener Größe bestehen, von bunt zusammengesetzten Trios bis zum Streichorchester mit Gitarren-Ergänzung.

Eine solche Herangehensweise mit Popular-Kammermusik – parallel zur etablierten Jazz- und Rockband oder klassischen Kammermusik – halte ich als Ergänzung zum Cellounterricht für attraktiv. In finanzschwachen Zeiten ist die Bewilligung solcher Projekte an Musikschulen sicher schwerer zu erreichen als die von größeren Ensembles, bei denen mehr Schüler „versorgt“ werden.

Als Anregung für den Cellounterricht möchte ich die gelungenen Unterrichtswerke von Gabriel Koeppen (1) anführen, in denen stilistisch vielfältige und gut arrangierte Duos zu finden sind. Durch Akkordsymbole und die Playalong-CD bieten sich die Stücke von „Hot Cello 2“ besonders dazu an, über das Notierte hinauszugehen. Die CD empfinde ich eher als Übehilfe und sehe die musikalische Stärke in der Duoausführung. Auch im Jazzbereich gibt es natürlich eine große Auswahl an guten Playalongs mit „echten“ Musikern und Instrumenten (nicht selbstverständlich). Dabei macht häufig das Spielen des notierten Themas schon Spaß, auch, wenn man sich an improvisierte Soli noch nicht wagen will. Besonders etabliert hat sich die Aebersold-Reihe (2).

Wem dies zu unübersichtlich ist, dem empfehle ich Fred Lipsius’ „Reading Key Jazz Rhythms“ (3) in der Ausgabe für Posaune. Hier werden rhythmische Bausteine exemplarisch zu 24 gut klingenden Jazz- und Latin-Etüden in je zwei Schwierigkeitsgraden zusammengesetzt.


Die erfreuliche CD bietet Playalongs mit und ohne Solostimme. Weitere Anregungen mit einem Ausschnitt aus meiner Diplomarbeit „Jazz und Popularmusik im Cellounterricht“ sind in Linda Langeheines Methodik-Buch „Saitenspiele“ (4) im Kapitel über Popularmusik zu finden.

Weitere Informationen unter www.gunther-tiedemann.de.

Anmerkungen

1 zum Beispiel Position Fun, Hot Cello 2; Edition Gabricelli
2 Advance Music (für Deutschland)
3 Advance Music
4 Zimmermann, Frankfurt 2000

 

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