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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 15
53. Jahrgang | Juni
Hochschule
Erfahrungen mit einem neuen Fach
Kirchenmusikpädagogik in Bayreuth: Zwei Jahre Praxis geben
Anlass zu einem Rückblick
Seit dem Sommersemester 2002 existiert in Bayreuth – bundesweit
erstmalig – ein Lehrstuhl für Kirchenmusikpädagogik:
Die Hochschule für evangelische Kirchenmusik hatte ihn ausgeschrieben
um ihr bewusst pädagogisch akzentuiertes Profil fortzusetzen.
Dies soll nach zwei Jahren Praxis Anlass zu einem ersten Rückblick
des Lehrstuhlinhabers sein und Chancen und Grenzen des Ansatzes
aufzeigen:
Die „Kirchen-Musik-Pädagogik“ als Mischung aus
Vorlesung und Seminar mit praktischen Übungen bildet im Umfang
einer Semesterwochenstunde den Abschluss der schon vorher fest verankerten
weiteren pädagogischen Fächer (zwei Semesterwochenstunden
„Allgemeine Pädagogik“, zwei Semesterwochenstunden
„Musikpädagogik“). Darüber hinaus enthält
das Deputat des Lehrstuhls im Gegenüber zu den „künstlerischen
Fächern“ noch eine Großzahl weiterer „wissenschaftlicher
Fächer“: Hymnologie, Kirchenmusikgeschichte, Bibelkunde,
Einführung in musikwissenschaftliches Arbeiten – sowie
wechselnde Angebote für die Fort- und Weiterbildung.
Fächerübergreifend arbeiten
Solch vielfältige Aufgaben beschneiden zwar zum einen die
Möglichkeit, sich „in Forschung und Lehre“ auf
die Konzeption einer „Kirchen-Musik-Pädagogik“
zu konzentrieren, räumen andererseits aber auch die Möglichkeit
ein, bestimmte Aspekte eines solchen Konzeptes besonders sinnvoll
zu realisieren. Gerade die fächerübergreifenden Aspekte
des Fachbereiches Pädagogik, diverse Verzahnungen und Projekte
lassen sich mit relativ geringem organisatorischen Aufwand durchführen.
Die Personalunion des Lehrenden für die pädagogischen
Fächer mit dem für Kirchenmusikgeschichte, Hymnologie
und Bibelkunde Zuständigen ist somit gleichzeitig eine der
großen Chancen des neuen Faches an einer übersichtlichen
Hochschule: Geht es doch weniger um die Einführung von etwas
gänzlich Neuem als um die bewusste Fortführung und Ausgestaltung
von teils schon immer wieder hier und da Betriebenem, teils aber
auch zu Unrecht Marginalisiertem, Vergessenem oder ganz einfach
aus Zeitmangel oder wegen Organisationsproblemen Fortgefallenem.
Schon der Name Kirchen-Musik-Pädagogik signalisiert, dass hier
Verknüpfungen ihr Heimatrecht bekommen, die in besonderer Weise
auf die komplexen Anforderungen der späteren Berufspraxis vorbereiten
wollen. So erweist sich Kirchen-Musik-Pädagogik nicht als eine
qualitativ andere Musikpädagogik, sondern eher als ein Teilbereich
von Musikpädagogik, der für eine bestimmte Berufsgruppe
in besonderem Maß unter die Lupe zu nehmen ist. Es gilt, Kirchenmusik
• als Kunst nach ihren musikimmanenten Gesetzen zu erschließen,
• in ihren besonderen theologischen Bezügen zu sehen,
• als pädagogische „Heraus-Forderung“(!)
wahrzunehmen – indem etwa eine vom Gegenstand her gedachte
Vermittlung sich mit einer vom ausführenden und hörenden
Menschen her gedachten Erschließung verbinden. Die Förderung
der dazu notwendigen „kommunikativen Kompetenz“ wird
immer notwendiger für das Berufsbild des eben auch gemeindepädagogisch
tätig werdenden Künstlers. Wo Kirchen-Musik-Pädagogik
aber in eben diesem Sinne über traditionell anerkannte Standards
hinaus Neuland erschließen will, gerät sie rasch auch
an die Grenzen des hochschulintern Realisierbaren – und dies
nicht nur in Zeiten finanzieller Beschränkungen. Wo Berufsbilder
und Studienordnungen (eben wie die ihnen zugrunde liegende Gesellschaft
selbst) immer komplexer werden – wo am einen Ort ergänzt
wird ohne am anderen Ort Entlastungen zu ermöglichen –
da wird schnell deutlich, dass hier auch ein Entwurf für lebenslanges
beziehungsweise berufsbegleitendes Lernen mitgedacht werden muss
um das Studium nicht zu überfrachten.
Zielgruppen weit gefasst
Viele Teilaspekte gemeindlichen Lebens könnten durch Einbeziehung
in Sache und Kommunikation kompetenter Kirchenmusiker/innen große
Bereicherung erfahren. Entsprechende Seminare (nicht nur aber eben
gerade auch des neu eingerichteten Lehrstuhles) der Bayreuther Hochschule
für evangelische Kirchenmusik wenden sich demzufolge zunehmend
auch als Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen an bereits im Beruf
stehende Kolleginnen und Kollegen. Neben diversen spezifischen (Diplom-)Aufbaustudiengängen
etwa im Bereich „Musikalische Früherziehung“ werden
dazu auch in kürzeren Seminaren Menschen unterschiedlichster
Tätigkeitsbereiche (neben Kirchenmusiker/-innen eben auch Pfarrer/-innen,
Lehrer/-innen, Diakone, Erzieher/-innen, Ehrenamtliche inbesondere
aus der Kindergottesdienstarbeit u.v.a.m.) unter einer kirchenmusikpädagogischen
Zielsetzung zusammengeführt: So liegt es zum Beispiel nahe,
dass die theologisch „bewegenden Inhalte“ einer sich
„in Bewegung befindlichen Kirche“ sich endlich auch
des Bereiches „Musik und Bewegung“ in besonderer Weise
annehmen und ganzheitlich, sinnliches Erzählen etwa durch Liedtänze
nicht auf die Arbeit mit Kindern beschränkt wird – woraus
in Bayreuth Fortbildungsangebote für Multiplikatoren verschiedenster
Tätigkeitsbereiche erwachsen sind und bundesweit wahrgenommen
werden. (Interessenten zum Beispiel an den ein bis drei Blockwochen
der „Gemeindepädagogischen Tanzleitungsausbildung“
wenden sich bitte an die unten genannte Hochschuladresse.)
Zum anderen darf in einer Zeit, in der etwa Schulen sich vermehrt
auf die Suche nach „außerschulischen Lernorten“
machen und nicht nur die Esoterik die Aura besonders geprägter
Orte in Erinnerung ruft, sich die Kirchenmusik als Gestalterin eben
eines solchen Raumes entdecken. Während bundesweit die Öffentlichkeit
Traditionsabbrüche unterschiedlichster Couleur beklagt, vermag
gerade auch die Kirchenmusik ihren Beitrag für ein Verstehen
der Gegenwart als aus Vergangenheit gewordener zu leisten: Unter
dem Stichwort „Kirch-Raum-Pädagogik“ führt
der neu geschaffene Lehrstuhl Theologen, Museumspädagoginnen,
Religionslehrerinnen und Stadtführer mit einer Kirchenmusikpädagogik
zusammen, die weit über traditionelle Orgelführungen hinaus
in gestalteten Kirchraumbegehungen neue Wege sucht, den Stein gewordenen
Glauben des Kirchenraumes wieder zum Leben zu erwecken.
So zeigt sich nach zweijähriger Tätigkeit am neu eingerichteten
Lehrstuhl die Chance des neuen Faches insbesondere in
der weitergehenden Verknüpfung und Akzentuierung vorhandener
Ansätze, die verschiedenen Formen künstlerischen Tuns
auf ihre unterschiedlichen Adressaten hin zu reflektieren,
der behutsamen Erweiterung des Berufsbildes, in dem kommunikative
Kompetenzen immer mehr neben sachlich/künstlerische treten,
diese aber nicht verdrängen, sondern aus ihnen erwachsen
sollen,
der Öffnung der Hochschule über ihre Ausbildungsfunktion
hinaus zu einer Stätte auch der Fort- und Weiterbildung,
an der sich auch berufsgruppenübergreifende Klientele unter
gemeinsamen Fragestellungen versammeln.
Prof. Dr. Siegfried Macht
Lehrstuhl für Kirchen-Musik-Pädagogik
Informationen
Interessentinnen und Interessenten am vielfältigen Angebot
der Hochschule oder dem zugeordneten Institut wenden sich bezüglich
Kirchenmusik-A/B/C-Studium und/oder dem oben angerissenen Seminarangebot
bitte an die Hochschule für evangelische Kirchenmusik, Wilhelminenstraße
9, 95444 Bayreuth. Tel. 0921/759 34-17 (Sekretariat), E-Mail:
info@hfk-bayreuth.de
Unter dem Titel „Kirchen-Musik-Pädagogik“ ist
hier auch eine für Herbst 2004 geplante Publikation zu bestellen,
welche die gleichnamige Vorlesungsreihe zusammenfasst, die zur
Etablierung des neuen Faches in Zusammenarbeit mit zahlreichen
Gastdozenten durchgeführt wurde (Beiträge von Karl-Heinrich
Ehrenforth, Christoph Krummacher, Siegfried Macht, Hans-Martin
Rauch, Christoph Richter, Rolf Schweizer)