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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 15
53. Jahrgang | Juni
Hochschule
Unnachgiebiges Plädieren für den Dialog
Zum siebzigsten Geburtstag von Peter Becker
Wie macht er das, alle Schulmusikstudenten spätestens nach
ihrer Aufnahmeprüfung mit Namen zu kennen? – Vielleicht
ist es Training aus seiner Zeit als Lehrer an der Niedersächsischen
Heimschule Bad Iburg? – Die Schule, in der auch er selbst
Abitur gemacht hatte, seinen Chor und die Organistenstelle an St.
Clemens verlässt Peter Becker 1970, als er einen Ruf an die
Hochschule für Musik und Theater Hannover erhält. 1975
wird er dort ordentlicher Professor für Musikpädagogik,
von 1978 an Sprecher des Studienganges, für den er schon weit
vor acht Uhr morgens in der Hochschule ist und wegen dessen er das
Gebäude abends nicht selten als Letzter verlässt: Schulmusik.
Peter Becker. Foto: privat
Er kommt zu vielen Klassenvorspielen, sitzt in jeder Abschlussprüfung,
begleitet den Weg jedes Einzelnen, bei einigen noch weit über
die Studienzeit hinaus. – „Di-dak-tik, Di-dak-tik, Di-dak-tik...“,
auftaktig, durchgängiges Metrum, wohl oft auch Metrum für
Peter Beckers Nachdenklichkeit. Seine Blockseminare werden unter
Hannoveraner Studenten zur Legende. Nach einer Woche ist so viel
Material zusammengetragen, ist so weit hinterfragt, ist so viel
angestoßen worden, dass ein halbes Jahr kaum reicht, das alles
für sich zu ordnen, nutzbar zu machen. Nie mehr wird man danach
etwas unterrichten, über das man nicht intensiv nachgedacht
und das man nicht hin- und her wendend danach befragt hat, worin
die Aussage besteht, die gedankliche, die ethisch-moralische, die
künstlerische. – Die vor allem. Über die Aktualität
des Mythos, über das Verstehen, über die Wahrheit (und
Wahrhaftigkeit) nachdenken, das geschieht immer analysierend anhand
von Musik, häufig anhand von Neuer Musik, meist im Kontext
von Sprache, Literatur, Kunst, auch Film. Wer auf solche Weise ästhetische
Kompetenz vermittelt, den kosten die Sitzungen der Fachkommission
im Rahmen der Studienreform (1980–83), die Sitzungen zur Reform
der Musiklehrerausbildung, die Senatssitzungen – Zeit. Kongressbeiträge
im In- und Ausland, Mitarbeit an den „Spielplänen“,
Lehrerfortbildungen, der Vorsitz der AG Schulmusik (1986–90)
mindern keineswegs sein Engagement in der Lehre – im Gegenteil,
es bleibt aktuell, zeitweilig die Tendenz vorausahnend, in die kulturpolitische
Gespräche in der Folge führen werden. Vizepräsidentschaft,
schließlich Präsident der Hochschule – Emeritus
– und nun endlich scheint die Zeit wiederzukommen, um etwas
von dem zu notieren, das so lange im Kopf war und doch immer seltener
zu Papier kam. Unnachgiebig plädieren seine Texte – Vorträge,
Beiträge, Reden – für die Auseinandersetzung mit
Kunst, für den Dialog, der nicht beschönigend verschleiert,
sondern schonungslos fragt: und Du? Der zutiefst humanistisch begründet
ist und ebenso selbstzweiflerisch mahnt, der zu keinem Ergebnis
kommt, weil es in diesem Dialog kein Ende geben darf – geben
kann –. Die (Neue) Musik hat einen Fürsprecher in Peter
Becker, der sich stets seiner Verantwortlichkeit für sie bewusst
ist.