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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 5
53. Jahrgang | Juni
Kulturpolitik
Das Freiheits- und Friedenspotenzial der Musik
Der Dirigent Daniel Barenboim erhielt den Wolf-Preis in Israel
Am 9. Mai erhielt der Dirigent Daniel Barenboim in Israel den
Wolf-Preis. Dabei handelt es sich nicht um einen Preis für
musikalische Verdienste, der Preis wird seit 1978 jährlich
an herausragende Wissenschaftler und Künstler in Anerkennung
ihres Einsatzes im Dienste der Menschheit und für freundschaftliche
Beziehungen unter den Völkern vergeben.
Musik ist die Kunst des
Vorstellbaren: Daniel Barenboim. Foto: Ch. Oswald
Diesen Preis hat Barenboim nicht zuletzt durch seine zwischen Israelis
und Palästinensern vermittelnden musikalischen Aktivitäten
erhalten. Das Preisgeld wird Barenboim Musikerziehungsprojekten
in Israel und Ramallah stiften. Dennoch blieb die Preisverleihung
selbst eine pikante Angelegenheit. Seine Dankesrede hielt er vor
der Knesset, dem israelischen Parlament. In seiner Rede verwies
er ausdrücklich auf die Erklärung der Unabhängigkeit
Israels. Daraus zitierte Barenboim: „Der Staat Israel wird
sich der Entwicklung des Landes zum Wohle aller seiner Bewohner
widmen. Er wird auf Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne
der Visionen der Propheten Israels gestützt sein. Er wird all
seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht
soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird
Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung
und Kultur gewährleisten.“
Ferner meinte Barenboim, dass er nie geglaubt habe, dass es eine
militärische Lösung des jüdisch-arabischen Konfliktes
geben werde, ebenso keinen moralischen oder strategischen. Die Reaktionen
in der Knesset waren unterschiedlich und reichten von Zustimmung
bis Ablehnung. Der israelische Staatspräsident Katzav meinte,
Barenboim verdiene eine Verurteilung nicht nur wegen der „unpassenden“
Ansprache, sondern auch dafür, dass er sich nicht bei Holocaust-Überlebenden
für eine frühere Aufführung von Wagner-Musik entschuldigt
habe. Erziehungsministerin Limor Livnat entgegnete Barenboim, dass
Israel in erster Linie als Heimstätte des jüdischen Volkes
gegründet wurde, und dass dieser Staat die Minderheiten, die
in ihm leben, anerkenne. Ein Mitglied der Wolf-Preis-Jury, Menachem
Alexenberg, hielt während des Vortrags ein Schild mit der Aufschrift
„Musik macht frei“ (in Anlehnung an den Satz über
dem Eingang des Konzentrationslagers Auschwitz „Arbeit macht
frei“) dem Vortragenden entgegen.
Natürlich machen weder Musik noch Arbeit frei, nur Freiheit
macht frei. Barenboim und sein „alter Freund“ Edward
Said haben einen Workshop für junge Musiker des mittleren Ostens
entwickelt: für Juden, Christen und Araber und folgt damit
auch den Prinzipien der israelischen Unabhängigkeitserklärung.
Das ist gelebte israelische Verfassung, die in der Tat eins ist
mit mit der Auslobung des Wolf-Preises. „Musik ist die Kunst
des Vorstellbaren par excellence, eine Kunst, befreit von allen
Beschränkungen, angeregt durch Worte, eine Kunst, die an die
Tiefe der menschlichen Existenz rührt. Die Kunst der Klänge
überschreitet alle Grenzen. Solche Musik kann die Gefühle
und Vorstellungen von Israelis und Palästinensern zu neuen
unvorstellbaren Sphären führen,“ heißt es
am Ende von Barenboims Dankesrede. Seine Ansprache verdient Achtung
ob ihres Muts, an eigentlich selbstverständliche Umgangsformen
sittlichen Handelns zu erinnern. Barenboim war bereit, sich seine
Finger zu verbrennen, nicht aber durch die gegenseitige Zuweisung
von Schuld, sondern durch seinen Rekurs nicht nur auf die israelische
Unabhängigkeitserklärung sondern auf die Erklärung
der Menschenrechte an sich.
Schon wenige Tage zuvor, am 21. April, hat Daniel Barenboim in
der Süddeutschen Zeitung in wenigen Worten zum jüdisch-arabischen
Konflikt pointiert Stellung genommen. „Ich bin prinzipiell
immer gegen gezielte Tötungen [die offizielle israelische Sprachregelung
lautet übrigens „gezielte Vereitelung“; M.H.] gewesen.
Das ist erstens unmoralisch, zweitens unverantwortlich und drittens
dient es nicht den langfristigen Interessen Israels. Dass man sich
andauernd nur auf Extremisten und auf Hass einstellt, das kann doch
nicht der Weg sein!“ Und er führte weiter aus: „Das
jüdische Volk hat nur ein einziges Kapital, das moralische.
Israel verschenkt es. Wenn wir das nicht bewahren, dann haben wir
wenig zu sagen in der Welt. Dass George Bush dabei mitmacht, zeugt
von seiner Kurzsichtigkeit. Und zeigt einmal mehr, dass die amerikanische
Regierung nicht in der Lage ist, für die Lösung des Konflikts
im Nahen Osten mit Verstand vorzugehen. Die meisten Politiker besitzen
keine eigene Meinung, keine individuelle Position. Auch Bush nicht,
dessen Blauäugigkeit gefährlich ist.“
Prägnante Worte eines Musikers, der sich bereit zeigt, politische
Verantwortung auf sich zu nehmen. Mahnung und Ansporn zugleich,
Aufgabe und gelebte Vision in seiner künstlerischen Tätigkeit.