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nmz 2004/06 | Seite 1-2
53. Jahrgang | Juni
Leitartikel
Die große Gefahr droht aus vielen kleinen Krisen
Weshalb ist die Gründung der Initiative „Pro Klassik“
notwendig? · Von Peter Hanser-Strecker
Peter Hanser-Strecker ist Vorsitzender der
Geschäftsleitung Schott Musik International, Vorsitzender des
Fachausschusses für Ernste Musik im Deutschen Musikverlegerverband,
Aufsichtsrat der GEMA und Vorstandsmitglied des Deutschen Bühnenverlegerverbandes.
Der Autor ist Mitbegründer der Initiative „Pro Klassik“
und gibt im Folgenden Auskunft über Sinn und Zweck der neuen
Vereinigung.
Verantwortung übernehmen statt zu verzagen, Initiative ergreifen!
Das hat der Bundespräsident seinem Volk gerade hinter die Ohren
geschrieben. Er hat sich in seiner Amtszeit besonders für die
klassische Musik eingesetzt. In der Initiative „Pro Klassik
e.V.“ vereinen sich Komponistinnen und Komponisten zum gleichen
Zweck.
I.
Warum gründet man eine Initiative „Pro Klassik?“
Was will sie erreichen? Jeder, der in der Musikszene tätig
oder an ihr interessiert ist, kennt die Antwort. Wir alle wissen,
dass sich die E-Musik in einer Phase größter Bedrohung
befindet. Eine Bedrohung, die verschiedene Gesichter hat, aber immer
denselben Effekt: die Beschädigung eines der größten
und wertvollsten historisch gewachsenen Kulturschätze.
„Pro Klassik e.V.“ hat ein Ziel: sich mit aller Kraft
gegen jede Entwertung der E-Musik zur Wehr zu setzen und ihr jenen
Stellenwert zu erhalten, den sie beanspruchen darf und muss. Unsere
Initiative will die Kräfte von Komponisten und Verlegern bündeln,
um an einer breiten gesellschaftlichen Front gegen den Kahlschlag
im Musikleben anzugehen. Längst haben wir es ja nicht mehr
mit marginalen Kürzungen zu tun, über die man diskutieren
könnte, sondern mit einer Grablegung. Mit der Grablegung des
grundsätzlichen Konsens, dass E-Musik einen unterstützten
und geschützten, von der öffentlichen Hand mitfinanzierten
Raum haben muss, damit sie entstehen, aufgeführt und gehört
werden kann. Leider gibt es Kräfte, die diesen gesellschaftlichen
Konsens lieber heute als morgen zu Grabe tragen wollen. Hinzu kommen
die „Zeichen der Zeit“: allgemeine Sparwut, gesellschaftliche
Depression, Zukunftsangst, wirtschaftliche Zwänge, Missbrauch
neuer technischer Möglichkeiten.
Folge sind schwerste Erosionen unseres Kulturlebens und, damit
verbunden, zurückgehende Einnahmen der E-Musikurheber. Opernhäuser
sind von Schließung bedroht, Orchester schrumpfen, werden
zusammengelegt oder gleich aufgelöst. Immer seltener werden
geschützte Werke aufgeführt, vor allem in ländlichen
Regionen, in denen die Kommunen immer weniger Geld für ihre
Kulturinstitutionen haben. Der Musikalienhandel steckt in einer
tiefen Krise. In Rundfunk und Fernsehen gibt es weniger und immer
schlechtere Sendezeit für Klassiksendungen. Durch all dies
haben immer weniger Menschen die Chance, E-Musik kennen zu lernen
und sich für sie zu interessieren, CDs und Noten zu kaufen,
Konzerte zu besuchen.
Den schlimmsten, weil nachhaltigen Schaden richtet der fehlende
Musikunterricht an den allgemein bildenden Schulen an. Es ist ja
bekannt, dass in manchen Bundesländern bis zu achtzig Prozent
des Musikunterrichts ausfallen oder fachfremd unterrichtet werden.
Nicht jedes Elternhaus kann diesen Mangel ausgleichen. Woher soll
denn die Liebe zur Musik kommen? Wie soll ein Kind die Wunderwelt
der Musik entdecken, wie soll es deren Genuss und Wertschätzung
lernen? Woher soll das Empfinden für den Schaden kommen, den
illegale Downloads anrichten?
II.
Es ist die Summe der oben beschriebenen Phänomene, die uns
größte Sorge bereitet und die wir zum Anlass genommen
haben, neben vielen anderen Aktivitäten den Verein „Pro
Klassik“ mit zu initiieren. Gemeinsam ist uns die Überzeugung,
dass es hier nicht um „bessere“ oder „schlechtere“
Musik geht. Gemeinsam ist uns allerdings der Glaube an eine Kunst,
die abseits von banalen Zwecken, von Quoten und Funktionalität
als geistiger und emotionaler Reflex der Zeit ihren Wert hat. Nicht
allein die jedermann verständliche Popmusik ist, wie manche
glauben, die „adäquate Ausdrucksform unserer Zeit“,
ihr Erfolg spiegelt eher den legitimen Wunsch nach Einfachheit und
Verständlichkeit wider, die viele Menschen in unserer Welt
vermissen. Es muss aber Musik geben, die von solchen Erfahrungen
unserer Welt spricht, die mit unterhaltsamem Wohlklang oder unmittelbar
verständlichen Mitteln nicht zu formulieren sind. Musik, deren
Komponisten viele Jahre in ihre Ausbildung investieren, um über
formale und stilistische Mittel zu verfügen, die solchen komplexen
Inhalten angemessen sind. Wir wollen, dass Menschen, die solche
Musik im Radio oder im Konzert hören wollen, dazu die gleichen
Möglichkeiten haben wie jene, die Pop- oder Rockmusik bevorzugen.
Das ist aber nicht gegeben, wenn diese Sendungen ins Nachtprogramm
verbannt und kurzerhand gestrichen werden – „Pro Klassik“
will dafür eintreten, dass E-Musik wieder „hörbar“
wird.
Manche tun so, als gehe es bei der geschützten E-Musik um
ein paar Werke von Individualisten, die niemand versteht und niemand
hören will. Das ist natürlich Unsinn. Wir reden bei urheberrechtlich
geschützten Werken, für die wir eintreten, von einem zwar
höchst anspruchsvollen, aber weltweit verbreiteten Repertoire.
Von Strauss, Stravinsky, Orff und Hindemith bis Henze, Pärt
und Rihm. Wir reden von einem Repertoire, das auf der ganzen Welt,
von Musikern aller Nationalitäten gespielt und geliebt und
über alle Sprachgrenzen hinaus verstanden wird. Von Werken,
die den Ruf Deutschlands als einer Kulturnation rechtfertigen. Und
reden wir nicht auch von Kunstwerken, deren Studium Generationen
von Popmusikern ein taugliches Ausbildungsfundament gegeben hat?
Die umfangreiche Produktion von zeitgenössischer E-Musik
hat übrigens auch dazu geführt, dass Deutschland als Heimat
der weltweit besten Spezialensembles gilt. Sie sind kulturelle Leuchttürme
wie unsere Opern- und Orchesterlandschaft, und man sollte sich sehr
gut überlegen, ob Deutschland darüber hinaus noch genügend
Attraktionen hat, um sich leisten zu können, unsere Kultur
weiter ernsthaft zu beschädigen.
III.
Noch bevor die Initiative „Pro Klassik“ aktiv in Erscheinung
treten und ihre Ziele vorstellen konnte, wurde ihr schon unterstellt,
sie wolle eine Art Gegentrupp zum „Composers Club“ sein.
Um es ganz klar zu sagen: „Pro Klassik e.V.“ soll und
wird keine Art „GEMA-Aufsichtsratswahlverein“ sein.
Allerdings spielen GEMA-Versammlungen insofern für uns eine
bedeutende Rolle, als die GEMA eine wichtige Institution unserer
Gesellschaft ist und „Pro Klassik“ dort kontinuierlich
und nachhaltig, wie auch in anderen Bereichen des Kulturlebens,
für die E-Musik und ihre Urheber eintreten wird. Das wird ein
Aktionsfeld sein – aber sicher nicht das einzige.
Die Überzeugung, dass Kunstwerke wie die der E-Musik ein
schützenswertes und förderungswürdiges Gut sind,
muss Konsens jeder Kulturgesellschaft sein. Aber nur solidarisches
Handeln ermöglicht Kreativität, deren Wert sich nicht
unmittelbar in Heller und Pfennig niederschlagen muss. Dies alles
muss auch die Basis unserer gemeinsamen Arbeit in einer Verwertungsgesellschaft
für alle Urheber sein. Die GEMA ist eine seit 100 Jahren bewährte
Solidargemeinschaft, die nur funktioniert, wenn sich alle Mitglieder
solidarisch verhalten und Einvernehmen über Ziele und Werte
besteht. Das Gegenteil von Solidarität ist Egoismus, etwa in
der Form, dass das Verteilungssystem ausgenutzt und der Verteilungsplan
missbraucht wird. Die Erfüllung des Auftrages einer Verwertungsgesellschaft
bemisst sich ganz wesentlich nach der Schutzfunktion, die sie für
solche Werke ausübt, die diesen Schutz benötigen und verdienen.
Und noch etwas kommt hinzu: Die über Jahrhunderte bewährte
E-Musik bildet für ein starkes Urheberrecht eine ganz andere
Basis als die vielen Eintagsfliegen in Form von Chartbreakern oder
Werbejingles. Von einem starken Urheberrecht aber profitieren alle
Urheber. Und starke Urheber sind, auch davon sind wir überzeugt,
die beste Gewähr für ein vitales, vielfältiges, zukunftsoptimistisches
Musikleben.