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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 8
53. Jahrgang | Juni
Medien
…und weiter geht es mit Musik…
Radiomacher und Musikindustrie diskutieren über „Musik
und Rundfunk“
Im Radio spielt die Musik: 300 Radiosender – öffentlich-rechtliche
und private – gibt es in Deutschland. Und aus allen Kanälen
dudelt es unablässig. Eigentlich könnte die Plattenbranche
froh sein über so viel „Werbezeit“, für die
sie auch noch Geld bekommt – wegen der von den Sendern zu
zahlenden Leistungsschutzrechte. Doch im Gegenteil: Seit Jahren
fordert die Musikindustrie eine „Quote für Deutsche Produktionen“,
wirft den Radiomachern vor, nur noch die bekannten Hits abzunudeln,
anstatt den Nachwuchs zu fördern, und seit kurzem zieht sie
nun auch das „Sendeprivileg“ des Rundfunks in Zweifel.
Am 27. April lud die Bayerische Landeszentrale für Neue Medien
(BLM) in München zu einem Treffen von Radiomachern und Plattenmanagern.
Trotz einiger Kontroversen
herrschte Einigkeit darüber, dass ohne Radio nichts
geht (v.l.n.r.): Peter Zombik (BPI), Jeff van Gelder (VirginMusic),
Karl Bruckmair (Popjournalist) Christoph Becker (Medienberater).
Foto: BLM
Pünktlich zum 80. Geburtstag des Radios in Deutschland brachten
die Feuilletons nur Missklangs-Ständchen: „Dudelfunk“,
„Blödmedium“, „Einheitsbrei“…
Gemeint ist natürlich vorwiegend das „Formatradio“.
Doch auch die in letzter Zeit reformierten Kulturwellen der öffentlich-rechtlichen
Sender werden immer öfter mitgescholten. Und jetzt schießt
sich auch noch der Hauptlieferant von „Radiocontent“
auf das Medium ein: Die Plattenindustrie. Das seit Jahren immer
wieder diskutierte Thema „Quote für Deutsche Titel im
deutschen Radio“ ist vor kurzem auch bei Bundestagspräsident
Wolfgang Thierse angekommen – der sich prompt auch dafür
aussprach.
„Das Radio ist natürlich nicht schuld an der Krise
der Plattenfirmen“, beteuert Peter Zombik vom Bundesverband
der Phonographischen Wirtschaft mit Dackelblick. Dennoch: Zombik
zündelt gerne und formuliert pointiert: „Das Radio macht
keine Hits mehr, sondern spielt sie tot.“ Andererseits würden
neue Titel von Sendern häufig abgelehnt, weil sie nicht ins
„Format“ passten. „Es gibt keine Musikredakteure
mehr, son-dern nur noch ‚Entscheider’, die ihre Musikplaylisten
anhand von Markforschungslisten zusammenstellen“, kritisiert
Zombik . In der Tat: Die Vorstellung, dass ein Radiomoderator seinen
Zuhörern heute noch seine Lieblingssongs spiele ist so naiv
wie obsolet. Seit 20 Jahren besorgt „Kollege Computer“die
Musikauswahl. Das letzte Wort aber habe immer noch der Mensch, beteuern
Programmchefs unisono. Die Software diene lediglich dazu, lästigen
Verwaltungskram wie GEMA- und GVL-Abrechnungen zu automatisieren
und Dubletten zu vermeiden. Gleichwohl lassen sich über solche
Musikplanungssoftware Titel ganz gezielt ins „Powerplay“
einschieben – nämlich dann, wenn ein Hit „gemacht“
werden soll, durch häufigen Einsatz im Programm.
Doch wann dafür der optimale Punkt erreicht ist oder wann
der „Burn-out“-Effekt eintritt, darüber sind die
Meinungen geteilt. Walter Schmich von Bayern3 spricht vom „Im-eigenen-Saft-schmoren“:
Wenn der Musikredaktion ein Titel allmählich schon zum Halse
raushängt, würde er draußen beim Hörer erst
richtig ankommen, berichtet Schmich und verweist auf die Hörerwünsche,
in denen immer wieder nach eigentlich längst Abgedroschenem
gefragt werde. Peter Zombik hingegen will oft beobachtet haben,
dass Titel in der „kritischen Verkaufsphase vor dem Durchbruch“
durch zu häufiges Abspielen wieder kaputt gemacht würden.
Doch es gibt auch Gegenbeispiele, wo Radio und Plattenfirmen gemeinsame
Sache zum gemeinsamen Wohl machen: Durch „heavy rotation“
im „Airplay“ wurde die deutsche Band Reamonn mit ihrem
Song „Supergirl“ vor drei Jahren zu einem Top-Act gepusht.
Walter Schmich erzählt gerne die dazugehörige Geschichte:
Ein Promoter der Plattenfirma stand eines Tages mit einer Demokassette
in der Bayern3-Redaktion. Schmich selbst fuhr dann nach Freiburg,
besuchte die Band im Übungsraum und diktierte der Plattenfirma
wie der Song zu produzieren sei, damit man ihn im Radio spielen
könne. Gesagt – getan.
Früher habe diese Form von „Symbiose“ öfters
funktioniert, erinnern sich altgediente Musikredakteure und A&R-Manager
der Plattenbranche mit fast schon feuchten Augen. Heute hingegen
kenne man sich kaum noch. Denn zwischen sie habe sich eine dritte
Branche gedrängt: Die „Musik-Berater“. Firmen,
die mit Marktanalysen die Hitchancen von Titeln im Radio erst einmal
ausloten. Dem üblichen „repräsentativen Querschnitt“
werden am Telefon „Music Hooks“ vorgespielt, acht bis
zwölf Sekunden lange Schnipsel, und dann gefragt, wie’s
gefällt.
Die Geschäftsführer vorwiegend privater Formatsender
erhalten so quasi sozial-wissenschaftlich fundierte Ergebnisse an
die Hand, nach denen sie ihre Hitlisten ausrichten können.
Immer die angepeilte Zielgruppe fest im Blick, um sie nur nicht
mit einem unpassenden Musiktitel zu verschrecken, und um so für
die Werbekunden das optimale Programmumfeld zu schaffen. Musik diene
halt nur noch dazu, Werbung zu verkaufen, meint Peter Zombik lakonisch
dazu. Dass auch die Plattenfirmen selbst derartige Markterhebungen
machten, weist Zombik zurück: „Ansonsten wären viele
‚kantige’ Künstler ja nie produziert worden!“
Radiomacher und Medienfachleute halten dagegen, dass die Musikindustrie
lange Zeit „immer schön am Markt vorbei produziert“
hätten. Erst jetzt allmählich würden auch deutsche
Produkte in entsprechender Qualität erscheinen. Und der Vorwurf,
für Newcomer nichts zu tun, sei schlichtweg falsch, kontert
Walter Schmich: Seit drei Jahren laufe auf Bayern3 die „Newcomer-Show“
und die „Bavarian Open“ letzten November im Münchner
Funkhaus wären der Versuch, zusammen mit den Kollegen vom „Zündfunk“
die Szene zu erweitern.
Immer deutlicher wurde während der Diskussion in der BLM,
dass bei Radio und Plattenfirmen Musik zwar als „Geschäftsmodell“
zu Grunde liegt, dass aber „Radiomusik“ nicht „Plattenmusik“
ist. Sprich: Was im Radio gut läuft, muss sich nicht unbedingt
auch gut verkaufen. Oder anders gesagt: Radiohörer sind nicht
unbedingt Plattenkäufer und umgekehrt. Da seien zwei „Titanics“
unterwegs, wurde mehrfach eine altbekannte Metapher bemüht:
Zwei Medien, die ohnehin vor sich hinkriseln und sich jetzt auch
noch gegenseitig das Leben schwer machen. Die Musikbranche –
bekanntermaßen – wegen CD-Brennerei, Internet und mp3
–; das Radio, weil es kaum mehr junge Zuhörer an die
Lautsprecher lockt. Wie sollte es auch, meint der Radioveteran Rainer
Eichhorn, der in den 70er-Jahren bei RTL Luxemburg angefangen, dann
deutsche Privatsender aufgebaut hat und heute im Beratungs- und
Radiosoftwaregeschäft tätig ist. Außer vielleicht
in Berlin gebe es nirgendwo in Deutschland Radiostationen für
Jugendliche, die deren Musikgeschmack widerspiegeln. „Die
wollen halt nicht Tina Turners ‚Simply the best‘ hören.
Wir treiben sie geradezu zu mp3 und Internet“, beobachtet
Eichhorn an seiner eigenen 15-jährigen Tochter und gibt zu,
dass auch er selbst sich seine Musik auf seinem Apple-iPod zusammenstellt
– weil er keinen Sender nach seinem Geschmack finde.
Alles ein „Formatproblem“, meint daher der Berliner
Medienberater Klaus Goldhammer: Zwar gebe es 300 Radiosender, doch
das seien nicht genug. Anderswo in Europa, in Frankreich, Italien,
Spanien, aber vor allem in den USA, sei die Radiolandschaft viel
kleinteiliger. Goldhammer belegt seine These dadurch, dass 68 Prozent
der Sender in Deutschland auf das Format AC – Adult Contemporary
– setzen: eingängige Pop- und Rockmusik der letzten drei
Jahrzehnte, für all, die für Neues kaum mehr zu begeistern
sind. „Radio für Mittdreißiger, gemacht von Mittdreißigern“,
wie das Rainer Eichhorn nennt. Auf Platz 2 der Liste käme dann
CHR – Contemporary Hit Radio –, mit 15 Prozent, analysiert
Goldhammer: eher für Twens, aber dennoch kein Jugendradio.
Große Sender wie Bayern3, SWR 3, Antenne Bayern oder FFH versuchten
sogar, beide Formate zu bedienen – je nach Tageszeit. Die
Folge: erst ein fünfter Sender eines Gebiets könnte mit
dem Gedanken spielen, ein neues Format zu bedienen und nicht bloß
zu versuchen, seinen Konkurrenten Marktanteile abzuluchsen.
Goldhammer rechnet weiter und kommt zu dem Schluss: Gäbe
es in Deutschland 1.000 Sender, dann würde sich auch fast jeder
mit seinem Musikgeschmack wiederfinden. Doch da ist einerseits die
Medienpolitik aber in erster Linie die technische Entwicklung vor:
Das UKW-Netz in Deutschland ist dicht. Zwar funkt seit Jahren schon
das Digitalradio DAB, indem viel mehr Sender Platz hätten,
doch bislang wird es von den Radiohörern so gut wie nicht genutzt
und daher will kein Sender mehr darin investieren.
Alle Jahre wieder taucht das Gespenst „Sendeprivileg“
in der Diskussion auf. Allzu gerne würden die Plattenfirmen
den Rundfunkbetreibern nämlich die vor 40 Jahren erteilte Erlaubnis,
alles was auf Platte erschienen ist, auch spielen zu dürfen
(gegen Zahlung von Gebühren für die Leistungsschutzrechte
natürlich!), wieder entziehen. Eine Diskussion übrigens
die es seit Bestehen des Radios schon mehrfach gegeben hat. Erst
vor zehn Jahren wetterte der damalige Vorsitzende der Phonoverbände
Norbert Thurow heftig und gerne gegen die Radio- und TV-Sender,
die „unser Programm“ ausbeuteten. Kurz darauf entstand
dann Viva – ein gemeinschaftliches Tochterunternehmen der
deutschen Plattenindustrie – justament um Newcomer und deutsche
Acts zu promoten. Wie das VivaProgramm stattdessen aussieht, kann
man sich 24 Stunden am Tag reinziehen…
Die Zeiten als der unlängst geschasste Chef von Universal
Deutschland, Tim Renner, den Satz gesagt haben soll „Wir brauchen
das Radio nicht mehr“ sind also vorbei. Hingegen welchen Stellenwert
künftig nationale, respektive deutsche Acts in einer weiter
von Fusionsträumen getriebenen Musikbranche haben werden, bleibt
– allen Beteuerungen der Topmanager dieser Unternehmen zum
Trotz – weiter ungewiss.
Dennoch: Fast hätte intensive Lobbyarbeit der Plattenbranche
letzten Herbst einen großen Coup gelandet, als die Bayerische
Staatsregierung bei der Novellierung des Rundfunkgesetzes dem Bayerischen
Rundfunk Quotenvorgaben für Deutsche Titel vorschreiben wollte.
Heftige Proteste im Rundfunkrat, der die Programmautonomie in Gefahr
sah, wendeten das in letzter Minute ab. Die Staatsregierung machte
einen Rückzieher, schaffte es aber immerhin, eine Protokollnotiz
in der Ministerratskonferenz unterzubringen, wonach die öffentlich-rechtlichen
Anstalten eine „Selbstverpflichtung“ eingehen sollten,
künftig mehr neue deutsche Titel und Produktionen zu spielen.
Zugleich sah sich Bayerns umtriebiger Medienminister Erwin Huber
auf den Plan gerufen und etablierte im Sommer letzten Jahres einen
„Runden Tisch“, damit sich Radioverantwortliche, Künstler
und Plattenmanager wieder näher kommen. Und während gesprochen
wird, geht’s weiter mit Musik.....