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2004/06 | Seite 24
53. Jahrgang | Juni
Musikvermittlung
Neue Musik braucht Vermittlung
Symposium „Wege zur Neuen Musik“ beim 3. Stuttgarter
Musikfest für Kinder und Jugendliche
Die Musikhochschule Stuttgart hatte im Rahmen des in Breite und
Vielfalt beeindruckenden „3. Stuttgarter Musikfest für
Kinder und Jugendliche“ erneut zu einem mehrtägigen Symposion
eingeladen. Von den Symposien 2000 und 2002 waren wichtige Impulse
für die Kinderkonzertpraxis in Deutschland ausgegangen. Nun
das Thema: „Wege zur Neuen Musik. Perspektiven der Musikvermittlung“.
Ein Blick in das Programm und die Eröffnungsrede durch den
Rektor Werner Heinrichs zeigten unübersehbar, dass der Begriff
„Musikvermittlung“ nun auch in Stuttgart inflationär
und beliebig verwendet wird. Er steht nicht mehr vor allem für
Vermittlung in Konzerten, sondern für alle Formen der Vermittlung
in Schule, Musikschule und Hochschule, in Medien und Konzert; er
wird überdies unausgesprochen mit dem höchst fragwürdigen
Anspruch verknüpft, vorwärtsweisende und effektive neue
Möglichkeiten zu eröffnen. Wenn es dann wie in Stuttgart
bei Vorträgen und Berichten konkret wird, erweist sich, wie
schwierig es ist, die Breite zu Perspektiven zu bündeln und
Ansprüche einzulösen. Vorzüglich spielte Ryo Fukuhara
zu Beginn „Interieur I“ von Helmut Lachenmann, eine
längere Komposition für Schlagzeug solo. Doch gab es trotz
des Tagungsthemas weder vorher noch nachher eine Einführung
oder eine Diskussion über die Musik. Ist Musik so gut, dass
sie keine Vermittlung braucht? Das Gegenteil forderte Klaus Zehelein
in dem sich anschließenden außerordentlich überzeugenden
Gespräch mit Werner Heinrichs: „Neue Musik braucht immer
Vermittlungsarbeit!“. Viele der Aussagen von Zehelein könnten
Leitlinien für die Vermittlung Neuer Musik sein: „Kunst
ist da, damit man etwas über sich erfährt.“ „Mache
nur etwas, was dir Spaß macht“. „In der Vermittlung
geht es um die ganze Musik.“ Er erinnerte mit Recht an die
Arbeiten von Gertrud Meyer-Denkmann. Der Verlauf der Tagung zeigte,
dass und wie aus Arbeit Meyer-Denkmanns an „neuer musik im
unterricht“(1972) noch immer Anregungen für morgen zu
gewinnen sind. Anschließend wurde am 1. Tag von Projekten
berichtet. Catherine Milliken schilderte kompetent die Aktivitäten
des Ensemble modern über die Konzerte hinaus: die Weiterbildung
junger Musiker in einer eigenen Akademie, über offene Programme
für Komponisten, über Response-Projekte. Sehr lebendig,
anschaulich konnte Anke Eberwein in einzelnen Vorhaben wie „stadt-klang-fluss“
oder „stadtklänge“ vorwärtsweisende Möglichkeiten
der Vermittlung Neuer Musik darstellen und Einblicke geben in die
Aktivitäten des „Büro für Konzertpädagogik“.
Schließlich beschrieb Marion Demuth Musiktheaterprojekte aus
Hellerau/Dresden. Für wen aber sollten die Projektbeschreibungen
gut sein? Für Studierende? Für Experten, die vieles kannten?
Für Musiklehrer/-innen? Die unzureichende Ausrichtung auf eine
bestimmte Adressatengruppe hätte gut aufgelöst werden
können, wenn nicht allein „fertige Produkte“ vorgestellt
worden wären, sondern die Zuhörer „in Prozesse verwickelt“
worden wären, wie es Zehelein eingangs gefordert hatte. In
dem dicht gefügten Programm gab es aber keinen Raum für
solche Diskussionen und Prozesse. Denn es ging sofort weiter ins
Konzert „Ist ein Klang in’n Brunnen g’fallen.
Schülerinnen machen Musik“.
90 begeisterte Schüler/-innen aus den Klassen fünf und
sechs drängten sich in dem lang gestreckten Raum, dazu Eltern,
die Teilnehmer/-innen am Symposion. Eine erwartungsvolle Stimmung.
Im Konzert wurde spürbar, wie wichtig es ist, Neue Musik selbst
zu musizieren, Neue Musik selbst zu erfinden ( und „dabei
etwas über sich selbst zu erfahren“) und ihr Sinn zu
geben. Und es wurde erkennbar, wie unterschiedlich dies geschehen
kann. Im ersten Teil variierten Schüler/-innen das Lied „Ist
ein Mann in´n Brunnen g’fallen“ auf Monochorden,
Glockenspielen und Blasinstrumenten; die Melodie wurde permutiert
in einem selbst entwickelten Verfahren, ein wenig vergleichbar mit
den Rationalen Melodien von Tom Johnson. Im zweiten Teil führte
eine fünfte Klasse mit Gläsern, wassergefüllten Dosen,
Stimme und Tüten eine eigene „Wassermusik“ vor.
Klangphase an Klangphase reihte sich aneinander. Das, was bei den
Schüler/-innen zu Recht Entdeckerfreude und Begeisterung weckte,
war für den in der Neuen Musik erfahrenen Lehrer zurückführbar
auf Modelle der 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts. Hierin
spiegelt sich ein Dilemma der Rezeption Neuer Musik: Sie hat bis
heute keinen selbstverständlichen und festen Platz in der Ausbildung,
im Unterricht in Musikschule und Schule gewonnen – trotz der
Bemühungen seit fast vierzig Jahren. Sie lebt mancherorts nur
als Workshop. Der Rückblick als Perspektive?