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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 24
53. Jahrgang | Juni
Musikvermittlung
Kunst spricht nicht immer für sich selbst
Klaus Zehelein über Neue Musik, Pädagogik und das Authentische
in der Vermittlung
Die Veranstalter des 3. Stuttgarter Musikfestes für Kinder
und Jugendliche, die Stuttgarter Musikschule, die Stuttgarter Philharmoniker
und die Staatliche Hochschule für Musik und Darstellende Kunst,
hatten vom 1. bis 9. Mai ein vielseitiges Programm für alle
Altersgruppen zusammengestellt. Begleitend richtete die Musikhochschule
Stuttgart für Studierende, Musiker und Musiklehrer das Symposion
„Wege zur Neuen Musik – Perspektiven der Musikvermittlung“
aus. Zur Eröffnung sprach der Rektor der Musikhochschule, Werner
Heinrichs mit dem Intendanten der Stuttgarter Staatsoper, Klaus
Zehelein über die Situation der Neuen Musik in Hinblick auf
das Publikum von morgen. Im Folgenden lesen Sie Auszüge aus
den Antworten von Klaus Zehelein.
Wir müssen begreifen, dass wir lernen müssen, zu vermitteln
Die Musealisierung (des Konzertbetriebs) ist nicht nur die der
Werke, sondern auch die des Publikums selbst. Das Problem ist ein
gesellschaftliches, zum Teil aber auch hausgemacht. Die Veranstalter
prahlen gerne mit Auslastungszahlen. Wenn Neue Musik gemacht wird,
ist das mehr oder weniger wie ein Feigenblatt. An Schulen ist es
genau das gleiche. Welcher Musiklehrer setzt sich denn mit Neuer
Musik kompetent auseinander und hat Lust daran? Das Bewusstsein
der Macher selbst muss man also ansprechen.
Neue Musik braucht immer Vermittlungsarbeit. Als wir anfingen,
gingen wir davon aus, dass die Kunst für sich selbst spricht
und wollten nicht eine Art „Volkshochschule“ für
Konzerte und Aufführungen veranstalten. Das hat sich geändert.
Wir müssen begreifen – und das gilt für die gesamte
Kunstszene – , dass wir lernen müssen, was es heißt,
vermittelnd zu arbeiten.
In Stuttgart haben wir 29 mal „Intolleranza 1960“ von
Luigi Nono gespielt. Wir haben vor jeder Vorstellung eine Hinführung
zu dem Stück gegeben, zu der 300 bis 400 Leute kamen. Wichtig
ist, Verantwortliche zu finden, die mit Lust und Gewandheit das
Publikum für Neues interessieren. Neue Musik ist immer schlecht,
wenn sie verantwortungslos aufgeführt wird.
Wir haben eigentlich an der Hochschule gelernt, die Geige so zu
benutzen, dass der Ton und die Technik brillant und fertig für
die große Literatur ist. Jetzt will Lachenmann, dass wir umgekehrt
einen Klang suchen müssen, den er sich vorstellt. In unserem
Orchester gibt es viele, denen es Spaß macht, dem Publikum
zu zeigen, wie schwer es ist, Lachenmann zu spielen. Und das kann
auch dem Publikum Spaß machen. Die Arbeit an der Neuen Musik
kann dazu führen, dass Menschen etwas über sich und über
die Musik erfahren.
Es geht darum, etwas zu entdecken
Bei uns (im Opernhaus) geht es nicht in erster Linie um Pädagogik,
sondern um Kunst.
Wir informieren aber auch Lehrer über unsere Projekte und bieten
ihnen Fortbildungen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit an.
In der Jungen Oper Stuttgart versuchen wir mit Schülern in
einen Prozess einzutreten. Die Junge Oper hat vier Stellen, zwei
für musik- und theaterpädagogische Arbeit. Die Zusammenarbeit
der Jungen Oper mit jungen Sängern der Musikhochschulen entwickelt
eine besondere Nähe zu den Kindern und Jugendlichen. Neu dabei
ist, auch den Prozess des Probens im Musiktheater für Kinder
zu öffnen. Im Instrumentalensemble der ersten Produktion 1996
war der jüngste Teilnehmer 14 Jahre alt und von der Stuttgarter
Musikschule.
Kreativität zu entwickeln ist ein Kernbereich der Schule
Bei der Wissensvermittlung, wie wir sie im Moment betreiben, stimmt
etwas nicht. Der Schule wird heute sehr viel zugesprochen. So soll
auch die Erziehung über die Schule passieren, weil das Misstrauen
gegenüber den Elternhäusern so groß ist.
Ein vernünftiges Land müsste jetzt etwas unternehmen.
Kreativität zu entwickeln gehört zum Kernbereich der Schule.
Aber wir lassen keinen Raum für die Produktiktivität des
einzelnen Kindes. Dafür fehlt eine Lobby.
Deshalb stellt sich die Frage nach dem Musik- und Kunstunterricht
neu. Es hat sich nach der PISA-Studie nichts geändert –
trotz wissenschaftlich eindeutiger Untersuchungen über die
Förderung des Kreativitätspotentials durch die Beschäftigung
mit der Musik, den Künsten generell!
Die Vorbedingung, Kunst und Kultur wieder ins Zentrum zu rücken,
wäre die Veränderung des gesellschaftlichen Bewusstseins:
Die Ökonomisierung unseres Daseins ist leider grundsätzlich.
Wir sind solitäre Gruppen und müssen Verbündete finden,
die dem entgegentreten. Und wir müssen mit der Politik anders
reden.
Zum Schluss zwei konkrete Vorschläge für Konzert- und
Theaterveranstalter bezüglich der Programmgestaltung mit Neuer
Musik:
Glaube nicht, dass das, was dir keinen Spaß macht, anderen
Spaß macht.
Vertrete nur die Kunst nach außen, die du vor dir selbst
auch vertreten kannst.
Nur so überzeugt das Kunstwerk, sowohl in der Produktion,
als auch gegenüber den Zuhörern.