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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 12
53. Jahrgang | Juni
Nachschlag
Schlaglichter
Was verbindet den Dirigenten Christian Thielemann mit dem Frankfurter
Kulturdezernenten Hans-Bernhard Nordhoff? Scheinbar gar nichts?
Oder doch? Beide haben im weitesten Sinne mit Kultur zu tun: Ersterer
dirigiert Orchester, der zweite ein Kulturamt. Beide suchen nach
Geld, das sie nicht finden. Und auch nicht kriegen. Während
aber der erste, den eigenen Welterfolg vor Augen, mutwillig von
seinem Amtssessel in der Deutschen Oper Berlin aufspringt, dabei
womöglich das klassische Zitat vom „Dreck“ murmelnd,
den die anderen gefälligst alleine machen sollen, klebt der
zweite förmlich an seinem Stuhl, lacht, insgeheim zitternd
vor Angst vor drohender öffentlicher Bedeutungslosigkeit, unbändig
über eine wackere prominente Hundertschaft aus Politik, Wirtschaft
und Kultur aus Stadt und Land, die ihn mit einem Protestbrief aus
seinem Deutschordenshaus (dort residiert der Frankfurter Kulturdezernent)
zu verjagen versuchte – weiß er doch aus allgemeiner
Erfahrung, dass ein wackelnder Stuhl umso fester steht, je mehr
die politischen Damen und Herren einer wackligen Mehrparteienkoalition
darauf achten müssen, dass ihnen ihrerseits nicht die unsicheren
Stühle durch Neuwahlen sozusagen unter dem Hintern weggezogen
werden. Das wäre ja noch schöner, nur der Kultur und eines
unwichtigen Kulturdezernenten wegen das eigene Pöstchen zu
riskieren. Da wählt man doch lieber das größere
Übel und belässt den Kulturamtsdirigenten an seinem Schreibtisch
zum Kügelchenspielen auf dem Rechenschieber: Was kostet Kultur?
Auf jeden Fall zu viel.
Nun haben wir fast die Eingangsfrage ein wenig aus den Augen verloren:
Was den Dirigenten und den Dezernenten verbindet, könnte man
als die Missachtung der Kultur insgesamt und ihrer gesellschaftlichen
Bedeutung bezeichnen. Christian Thielemann ist zwar nicht ganz zu
Unrecht darüber verärgert, dass der Konkurrenz in Barenboims
Lindenoper aus Bundesmitteln ein oder knapp zwei Millionen Euro
für das Orchester zufließen, „seinem“ Orchester
an der Deutschen Oper dagegen gar nichts. Ihm liefen wegen Schlechterstellung
schon die qualifizierten Musiker weg, sagt Thielemann. Erstaunlich,
dass er das überhaupt bemerkt hat, steht er doch in dieser
Saison nur neunzehn Mal vor „seinem“ Orchester, das
er angeblich „liebt“. Wenn ein Chefdirigent sein Orchester
im Jahr nur neunzehn Mal trifft, dann kann es sich nicht um einen
Chefdirigenten handeln, bestenfalls um einen Einspringer, der zu
allem Überfluss auch noch eine fast ungebührlich hohe
Jahresgage bezieht. Dass Thielemann eine Neigung zu selbstherrlicher
Unanständigkeit besitzt, wussten vor den Berliner Kulturverantwortlichen
allerdings schon die Nürnberger Kollegen. Aber in der Hauptstadt
liest man zu eigenem Schaden wohl keine Provinzzeitungen. Wer in
dieser für die Kultur so schwierigen Zeit die Verantwortung,
in diesem Fall für ein Orchester und den Musikbereich eines
Opernhauses, so mutwillig, wie ein ungezogener Junge das Spielzeug,
fortwirft, beweist damit nur, dass er keine Ver- antwortung für
ein Theater oder Orchester übernehmen kann: Thielemann sollte
sich auf seine ganz persönliche Karriere konzentrieren, für
die Chefposition in einem Opernhaus ist er charakterlich ungeeignet.
Nur fordern und hinschmeißen ist ein bisschen wenig Qualifikation.
Thielemann behandelt den sensiblen Gegenstand Kultur eben- so grobianisch
wie die oft gescholtenen Politiker. Das sensibilistische Gehabe
am Dirigierpult erscheint nur mehr als pures Täuschungsmanöver.
Daneben erscheint der Fall Nordhoff eher harmlos. Frankfurt gibt
pro Kopf der Einwohner und auch absolut immer noch sehr viel Geld
aus für die Kultur, mehr als alle anderen deutschen Städte.
Hans-Bernhard Nordhoff ist wohl ein ordentlicher Kassenwart, der
penibel auf seinen Etat schaut. Von einem Dezernenten für Kunst
und Kultur erwartet man aber dann doch etwas mehr: Enthusiasmus,
kreative Phantasie, das Wissen, wie wichtig Kultur für eine
Civitas, eine versammelte Bürgerschaft ist. Entsprechende Vorwürfe
an Nordhoff treffen aber nicht allein seine Person, sondern auch
diejenigen, die ihn aus politischem Opportunismus (wieder-) gewählt
haben. Den Schaden trägt allein die Kultur davon. Bequemlichkeit,
Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit sind ihre schlimmsten Feinde
neben der rücksichtslosen Ausbeutung durch sogenannte Kunstschaffende,
die sich wie Fußballer oder Großaktionäre benehmen,
die nur auf die Dividende sehen.