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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 9
53. Jahrgang | Juni
Portrait
Mit Ally McBeal an die Spitze der Charts
Vonda Shepard veröffentlicht Live-CD und DVD als „Greatest
Hits“- Rückblick
„Warte doch bitte einen Moment“, haucht Vonda Shepard
mit sanfter Soul- Balladen Stimme und für 9.00 Uhr morgens
– Ortszeit Los Angeles – ins Telefon, um sofort eine
Erklärung hinterher zu schicken: „Ich hole mir noch einen
Kaffee und setz’ mich auf die Terrasse“. Man möchte
vor Neid platzen. Erstens, weil Vonda Shepard in Los Angeles Kaffee
trinkt und zweitens, weil sie ihn alleine trinkt. Der Traum geht
weiter: Am frühen kalifornischen Morgen mit Vonda Shepard bei
Smog, Autokarawanen und in unmittelbarer Nähe zu Hollywood
über ihr im Juni erscheinendes Livealbum „Vonda Shepard
Live – A Retroperspective“ und die zugehörige DVD
zu parlieren. Denn ein „best of“ Album nach gefühlten
acht Alben (zählt man ihre Soundtrackarbeiten zur Gerichtsserie
„Ally McBeal“ mit) zu veröffentlichen, entspricht
einer längst ausgestorbenen Phono-Tradition.
Hat sich ihre „Star-Reife“
hart verdient: Vonda Shepard. Foto: Edel
Schließlich gibt es Künstler, die sich nach zwei Alben
völlig verausgabt haben und mit dem dritten Album ein „best
of“ feilbieten. Gehört Vonda Shepard zum alten Eisen,
dem man nach acht Alben eine Kompilation zugesteht? „Ich verstehe,
was Du meinst“ lacht sie, „aber wie Du bereits erwähnt
hast, kommt es darauf an, wie man die Alben zählt und lässt
man die ‚Ally McBeal’- Alben weg, wären es fünf.
Und nachdem ,Ally McBeal’ als Serie beendet wurde, dachte
ich, es wäre Zeit für einen Rückblick. Es hat sich
jede Menge Songmaterial angesammelt, das musste ich mal ordnen.
Dabei möchte ich das Album nicht als Rückblick einstufen.
Für mich ist es ein Ausschnitt dessen, was ich bisher geleistet
habe“. Wobei Vonda Shepard betont, dass „der Zeitpunkt
absolut passend war, die ,Greatest Hits’ heraus zu geben“.
„Am deutlichsten wird das auf der DVD“, erklärt
sie, „denn wenn ich sehe, mit wie vielen Künstlern ich
gearbeitet habe, kommt mir meine Karriere verdammt lang vor“.
Eine Karriere, die fast nicht zu Stande gekommen wäre, hätte
Vonda Shepard nicht Alles Ersparte zusammen gerafft, ihr Soloalbum
im Alleingang aufgenommen, den Produzenten der Serie ,Ally McBeal’
kennen gelernt und nicht eine Rolle als schauspielernde Bar-Musikerin
bekommen. Über diesen Umweg wurde die Phonindustrie aufmerksam
und über die Serienrolle liefen plötzlich ihre vorherigen
Soloalben. „Ja, das mit Ally McBeal wird immer ein komisches
Gefühl bleiben“, meint eine nachdenkliche Vonda Shepard.
„Einerseits muss ich mit diesem ,Markenzeichen’ zu Recht
kommen, andererseits hat mir die Serie eine Karriere in vielen Ländern
ermöglicht. Aber ich kann Dir versichern, dass ich ständig
in einem Konflikt stecke, weil ich so mit der Serie personifiziert
werde, dass es mich eine Menge Mut kostet, die Konzertbesucher aufzufordern,
von dieser Assoziation abzurücken. Darin habe ich Fortschritte
gemacht und es geschafft, das Publikum für meine Musik außerhalb
,Ally McBeals’ zu gewinnen. Dieser Zwiespalt ist nach wie
vor verwirrend“. Verständlich, wenn die Plattenfirma
jedes Soloalbum mit dem Hinweis „The star from ,Ally McBeal’“
brandmarkt.
Eng verbunden mit den positiven Erfahrungen ihrer Karriere ist
das düstere Gedankengut der „was wäre wenn“
Abteilung. Wie oft dachte Vonda Shepard nach, was ohne ,Ally McBeal’
geschehen wäre? Kann sie sich an den schlimmsten Gedanken erinnern?
„Sehr wohl“, antwortet Vonda Shepard nach kurzem Zögern.
„Ich hatte Angst unglücklich und unausgefüllt zu
sein, funktionierte es nicht mit der Musikkarriere. Dennoch bin
ich eine Kämpferin und hätte eine Aufgabe gefunden. Leicht
wäre es mir nicht gefallen. Als ich die Rolle in,Ally McBeal’
bekam, war ich 32. Ein Alter, in dem man nicht noch mal zur Schule
gehen möchte.“ Ein Kapitel, das Vonda Shepard erspart
blieb.
Dabei wäre es jetzt, da sie sich den Starruhm verdient hat
und Künstlern als Vorbild dient, wichtig als Vonda Shepard
und mit Kollegen an Schulen zu gehen. Dort könnte man den Kindern
aufzeigen, wie schwer ein Start in diesem Business fällt. „Da
hast Du Recht. Deswegen versuche ich in Interviews fest zu halten,
dass ich die Casting Geschichte nicht unbedingt gut heiße
und gebe Einblick in meine harten Anfangsjahre. Für einen Künstler
bedeutet dies die Zeit, in der er sich durchbeißen muss und
die Grundlagen der ,Star-Reife‘ erwirbt“. Basiskenntnisse,
die Vonda Shepard noch täglich hinterfragt. „Ich arbeite
gerade an neuen Songs und immer wieder entwickelt sich dieser Teil
zur größten Herausforderung. Sind die Songs gut genug
und was mache ich da überhaupt? Erst wenn man diese Fragen
über Jahre besteht, kann man zum ,Star‘ gemacht werden“.
Wobei Vonda Shepard diese Auseinandersetzungen mit dem eigenen
Ich nicht nur auf ihre Retro-Perspektive der letzten Musikerjahre
bezieht, sondern auch für die Zukunft an erster Stelle sieht.
„Ich möchte noch ein reines Piano/Vocal- Album machen.
Und außerdem stelle ich live jedes mal fest, dass mir Up-Tempo
Songs, die ich selbst geschrieben habe, im Repertoire fehlen. Das
sind die zu bestehenden Aufgaben der Zukunft“. Fast bescheidene
Ziele der Vonda Shepard in Los Angeles. Ohne Allüren, ohne
Pauken und Trompeten. Und: Das alles ohne „Ally McBeal“.
Kein Einspruch, Euer Ehren.