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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 41
53. Jahrgang | Juni
Bücher
Verweigerung und Selbstbehauptung
Die Geschichte schwarzer Jazzmusiker im Spiegel des Journalismus
Christian Broecking: Respekt!, Verbrecher Verlag, Berlin 2004,
144 S., € 13,-, ISBN 3-935843-38-0
„Rassismus ist ein Produkt der amerikanischen Fabrik. (…)
Man kann nicht ernsthaft über Amerika diskutieren, ohne über
Rassismus zu diskutieren. Als Schwarzer, der in Amerika lebt, ist
man täglich mit diesem Phänomen konfrontiert. Für
Weiße mag das etwas anders aussehen. Sie mögen glauben,
dass die Zeiten vorbei sind…“. Ganz ohne Larmoyanz,
hasserfüllte Ablehnung oder vorwurfsvolles Lamento beschreibt
Steve Coleman in einem Interview mit dem Journalisten, Publizisten
und Dozenten Christian Broecking seine Situation als schwarzer Musiker
in den Vereinigten Staaten. In den 80er Jahren hat der in Chicago
aufgewachsene Altsaxofonist in New York mit seinem M-Base-Konzept
eine Strategie entwickelt, sich abseits der herrschenden Verwertungs-
und Vermarktungsmaschinerie zu behaupten.
Das ist ihm auch gelungen, für andere, wie die Sängerin
Cassandra Wilson, ist es zum Sprungbrett ins Big Business geworden.
Für den Independant-Jazz, der sich eigene Wege zu den Hörern
und Verbrauchern suchen, aufbauen und sichern muss, wurde Coleman
damit zu einer der wichtigsten Figuren. Er steht damit in einer
Tradition um Selbstbehauptung und Anerkennung, die sich wie ein
roter Faden durch die Geschichte der schwarzen Jazzmusik(er) Amerikas
von den Anfängen bis heute hindurch zieht.
Broecking fasst in seinem Band Interviews mit afroamerikanischen
Jazzmusikern aus einem Jahrzehnt zusammen. Darin geht er vor allem
Fragen nach, wie es um die Anerkennung schwarzer Jazzmusiker heute
steht und ihre „unterschiedlichen Strategien der Verweigerung
und Selbstbehauptung in Zeiten größten Respekt-Mangels“.
Broecking untersucht auch, was aus den Revolutionen des Freejazz
der 60er Jahre und den Initiativen von Musikern wie Sam Rivers –
mit seinem Rivbea-Studio – Bill Dixon, Archie Shepp und Max
Roach geworden ist. „Man wird nicht beleidigt“, zitiert
er in einem einleitenden Diskurs Richard Sennett, „aber man
wird auch nicht beachtet, man wird nicht als Mensch angesehen, dessen
Anwesenheit etwas zählt“. Heute sind es vor allem schwarze
Rapmusiker, die musikalisch mit Nachdruck darauf pochen und Respekt
für sich (und ihre Kultur) einfordern. Sonny Rollins, anlässlich
seines 65. Geburtstags 1995 zum „Größten lebenden
Jazzmusiker“ erkoren, sieht den Grund für mangelnden
Respekt im Jazz als einer „sehr schwarzen Musik: Viele Leute
wollen ihn aus ebendiesem Grund einfach nicht respektieren“.
Mit dem Trompeter Wynton Marsalis, Leiter der Jazzabteilung des
New Yorker Lincoln-Centers, ist der Jazz in der obersten Etage des
amerikanischen Kunstbetriebes angekommen. Und dieser Fakt spielt
natürlich in den Interviews eine Rolle, scheiden sich doch
an Marsalis und dessen gezielter Bevorzugung seines neokonservativen
Anhangs die Geister.
Der einstige ,Feuerspeier‘ Archie Shepp, dessen Album „Fire
Music“ ein Synonym für die Aufbruchstimmung der 60er
Jahre ist, und inzwischen bluesgeläuterter Traditionalist schäumt
gegen den „Vorzeigeneger“. Er sieht den Jazz zur „kommerziellen
Idee“ verkommen, „Jazz ist wie Kleenex, Marlboro oder
Coca Cola“. Während der Schlagzeuger Max Roach eher verbittert
wirkt und zur Segregation – getrennte Entwicklung von schwarz
und weiß – zurückkehren möchte, klingen Rollins
und Wayne Shorter auch in ihrer Kritik an den Verhältnissen,
die sich nur sehr wenig oder langsam verändern (lassen), viel
wärmer und offener.
Selbst wenn man einige Interviews aus der taz oder anderen Zeitschriften
kennt, ist „Respekt!“ ein wichtiges und notwendiges
Buch. Broecking fragt seine Interviewpartner nach der verändernden
Kraft ihrer Musik. Die so unterschiedlichen Antworten sind gerade
auch für uns Europäer ungemein förderlich die Verschiedenartigkeit
und Vielfalt innerhalb der schwarzen Musikszene mit neuen Augen
zu sehen (und den Ohren zu hören). Ergänzend zu dem Interviewband
ist bei Impulse/Universal Jazz eine Compilation-CD erschienen, auf
der Broecking viele Stücke von den im Buch zu Wort kommenden
Musikern versammelt hat. Respekt, Respekt, kann ich da nur sagen.