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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 38
53. Jahrgang | Juni
Rezensionen
Aus einem Bley-Guss
Carla Bley: The Lost Chords
WATT32/ECM 981 7953
Carla Bley sei weit über ihren Zenit hinaus, von ihrer Musik
gingen keine neuen Impulse und Ideen aus, stand vor einigen Wochen
in einem Artikel in der Jazzzeitung (April 2004, Dossier „familien-bande“)
zu lesen. Dabei belegen gerade die beiden jüngsten (Konzept-)
Alben der Bley, dass sie sehr wohl am Puls der Zeit ist. Die Big
Band Aufnahme „Looking for America“ ist eine dezidiert
politische Musik, die sich nicht an Tagesereignissen aufhält
oder ideologisch anwendbar sein will. Das Nachfolgealbum „Lost
Chords“ – in Quartettbesetzung mit Lebensgefährte
Steve Swallow am Bass, Andy Sheppard, Saxophon, und Billy Drummond
am Schlagzeug, ist ein für Carla Bley typisches, nur scheinbar
simples Spiel mit Jazz- und Rockklischees und zugleich amüsante
Reflexion über die nicht immer einfachen Lebensbedingungen
von zu lebenslangem Reisen verurteilten Musikern. Auch der Plot
des Albums – die „Lost Chords“ sind dessen kompositorische
Grundidee – geht auf die Situation eines Kreativen ein, der
zwischen Aufbau und Konzert ein paar geniale Ideen festhält,
nach denen er schon lange, eigentlich Zeit seines Lebens gesucht
hat: Carla Bley kritzelte Akkordskizzen auf die Rückseite eines
Konzertprogramms. Später, nach dem Konzert, merkte sie zu ihrem
Schrecken, der Zettel war unwiederbringlich verloren. War es auch
die Musik? Vielleicht die speziellen Akkorde, die sie notiert hatte
– geblieben war der Antrieb für eine künstlerische
Suche, an deren Ende mehrere suitenartige Kompositionen, ein ausgereiftes
Konzertprogramm und ein neues Carla Bley-Album stehen. Nicht innovativ,
neu oder anders, sondern mindestens so gut wie viele seiner Vorgänger.