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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 39
53. Jahrgang | Juni
Rezensionen
Beheimatet in der großen Weite des Nordens
Das norwegische Label SOFA european improvised music
Der nächste Berg ist hinter Oslo – zumindest von Hamburg
aus gesehen. Fjell, Wasserfälle, Mitternachtssonne, Wanderer
mit großen Rucksäcken und dunkle, tief verschneite Wintermonate,
diese Bilder werden einem Jeden bei dem Gedanken an Norwegen durch
den Kopf gehen. Dazu Musik: schnarrende Hardangerfideln, Griegs
Per Gynt. Doch halt, Norwegen ist weit mehr als eine landschaftlich-musikalische
Idylle. In Norwegen, wie in ganz Skandinavien, existiert eine lebendige
und vielfältige Musikszene, die gerade in ihren experimentellen
und jazzverwandten Ausprägungen nicht zu unterschätzen
und in den gemäßigten Zonen Mitteleuropas zum Teil noch
viel zu wenig bekannt ist.
Noch ein Label mehr? Nun, zugegeben, es ist kein neugegründetes
Label, SOFA existiert seit nunmehr vier Jahren und kann inzwischen
auf eine beachtliche Zahl von 16 Veröffentlichungen verweisen.
SOFA ist in Norwegen beheimatet, in einem der großen weiten
Länder im Norden Europas, in denen Internet und Co nicht von
ungefähr schon recht früh große Verbreitung fanden.
Die skandinavische Musikszene schuf schon vor vielen Jahren eine
Internetplattform als Vernetzungs- und Kommunikationsmöglichkeit
für die zum Teil weit verstreut schaffenden Musiker und Komponisten.
Aber zum musikalischen Austausch gehört mehr. Das Medium CD
hat noch immer Vorrang in der repräsentativen Außenwirkung
und Verbreitung von Musik, von Musikern und Szenen. Und da es schwierig
ist, ein Label für die eigene Musik zu finden, gründeten
die beiden jungen Norweger Ingar Zach und Ivar Grydeland im Jahre
2000 ihr Label SOFA. Unterstützung finden sie bei der norwegischen
Kulturstiftung, allerdings lassen sich nicht alle Produktionen mit
diesen Geldern vollständig finanzieren. Wie so oft ist immer
wieder auch ein Teil Eigenfinanzierung durch die Musiker notwendig.
Doch das Ziel bleibt: unabhängig zu werden und die Produktionskosten
durch das Label selbst auffangen zu können. Eine Utopie oder
ein erreichbares Ziel?
Musik aus Skandinavien, Musik aus Europa, Klänge, deren Wurzeln
in verschiedenen Stilistiken verankert sind. Schwerpunktmäßig
ist dabei die junge der in den 70er-Jahren geborene Generation von
vor allem norwegischen und schwedischen Musikerinnen und Musikern
vertreten. Sie kooperieren mit Kollegen aus England, Deutschland,
aus Griechenland, Frankreich oder den USA. Sie spielen mit Musikerinnen
und Musikern ihrer Generation ebenso wie mit „Altmeistern“
der freien Improvisationsszene, von denen lediglich einige Namen
erwähnt werden sollen: Tony Oxley, Phil Minton, Barry Guy,
Philipp Wachsmann. Die Reihe ließe sich fortsetzten.
Doch welche interessanten Musiker sind es, deren Namen zum Teil
seit Jahren in der Szene geläufig sind, zum Teil auf dem besten
Wege sind, über Grenzen hinweg bekannt zu werden? Wie so häufig
in der improvisierten Musik treffen Musiker unterschiedlicher Herkunft
aufeinander. Diese liegt im Jazz oder der klassischen (zeitgenössischen)
Musik, verzweigt sich hinein in skandinavische Folklore, in Elektroakustik
oder Spielarten populärer Genres, um sich in einem gemeinsamen
Klangraum zu treffen, zu ergänzen und zu inspirieren. Mit der
eigenen musikalischen Entwicklung und Veränderung, so Ivar
Grydeland, lässt sich dabei auch eine stilistisch-ästhetische
Veränderung ausmachen. Das Label wächst sozusagen mit.
Doch Grydeland und Zach wollen nicht nur das Improvisieren verkaufen.
Ihnen liegen Klangqualität und auch ein ansprechendes Coverdesign
sehr am Herzen, wodurch sie sich von einigen anderen Kleinlabels
abzuheben versuchen. Wiedererkennung ist gegeben, in großen
Lettern prangen Titel und Musikernamen auf dem einfarbigen Cover.
Tortendiagramme bilden die Zeitspannen der einzelnen Tracks ab.
Informationen sind je nach CD knapp oder gar nicht vorhanden. Doch
auf der Webseite (www.sofa music.no) erfährt der Suchende Ausführliches
über die Musikerinnen und Musiker, kann einige Kritiken von
CDs nachlesen oder wird auf musikereigene Seiten verwiesen. Die
Liste der Vertriebe und Mailorderkalatolge ist lang. SOFA Records
sind sowohl in verschiedenen Ländern Europas als auch in den
USA/Kanada und Japan zu bekommen. Für Deutschland sei auf www.open-door.de
verwiesen.
„SOFA releases improvised music. We do not sell sofas.“
– so die Auskunft, die man auf der Webseite über das
Label erhält, klickt man den üblichen Button „about“
an. Nein, Sofas gibt es keine zu kaufen, statt dessen lässt
sich das gekaufte Produkt vortrefflich auf dem Sofa genießen
– ob sitzend oder liegend bleibt den geneigten Käufern
dabei selbst überlassen.
Drei Kostproben
You should have seen me before we first met; Ingar Zach, Percussion/Sruti
Box; Ivar Grydeland, Acoustic & Electric Guitars
SOFA 515
Die zweite Duoeinspielung der beiden Labelbetreiber
Ingar Zach und Ivar Grydeland ist SOFA Nr. 515. Zwei Konzertmitschnitte,
bei denen ähnliches musikalisches Material zu hören
ist, auch wenn sie sich charakterlich voneinander unterscheiden.
Die beiden Musiker überlagern statische Grundklänge,
setzten sich zu Flächen verdichtende Aktionen hinzu und weben
organisch wachsende Klangströme.
16 pieces for Organ; Nils Henrik Asheim, Orgel
SOFA 507
Die minuziöse Vorausplanung und Strukturierung
des klassisch geschulten Interpretierens tritt zurück zugunsten
des Zuhörens und Antwortens auf Klang und Geräusch –
so die Spielhaltung des Organisten Nils Henrik Asheim. Für
seine fast blitzlichtartigen Einblicke in die weit aufgespannten
Spektren des Klangraums wählte der Musiker eine Mikrophonierung,
die den Klang in der Zuhörerposition mit demjenigen auf der
Orgelbank mischt. Das Ergebnis ist präzise und durchhörbar,
ohne die Weite der Kirchenakustik zu verfehlen.
No Spaghetti Edition; Real Time Satellite Data
SOFA 513
Saiteninstrumente, Saxophon, Trompete und Elektronik.
Die achtköpfige Besetzung mischt Geräuschflächen
und Farbnuancen zu einem stetig changierenden, sich in ruhigem
Grundtenor befindlichen Klangband, das immer wieder ergänzt
wird durch distinkte, sich absetzende Aktionen.