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Ausgabe 2004/06
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nmz 2004/06 | Seite 37-38
53. Jahrgang | Juni
Rezensionen

So fein, so reizend

Kammermusikalische Raritäten

Anton Reichas zwei Dutzend Quintette für Flöte, Oboe, Klarinette, Horn und Fagott lagen 1820 geschlossen vor; der Altersgenosse Beethovens hatte in dieser neuartigen Besetzung in etwa dasselbe geleistet wie Haydn für das Streichquartett. Leider folgten nur wenige seinem Vorbild – darunter Franz Danzi, dessen neun Bläserquintette in kurzer Folge zwischen 1820 und 1822 entstanden und unter den Opusnummern 56, 67 und 68 erschienen. Da es außer dem auf Reicha spezialisierten Quintett von Virtuosen in Paris nicht allzu viele Instrumentalisten gab, deren Fähigkeiten zur befriedigenden Aufführung dieser Kleinodien genügt hätten, blieb der nachhaltige Erfolg aus, und der bereits knapp sechzigjährige Danzi starb kurz darauf, im selben Jahr 1826, als auch Reicha selbst seine kompositorische Tätigkeit einstellte.

Wer mit Kammermusik für Bläser anspruchslos vor sich hin plätschernde Freiluftmusiken assoziiert, wird jedoch weder den Errungenschaften Reichas noch Danzis gerecht: Selbstverständlich schmeicheln die Motive und Rhythmen dem Ohr, doch die klangliche Feinarbeit Danzis wird auch den anspruchsvollen Kammermusikfreund zum Schmunzeln bringen; er darf von den Viersätzern jedoch nicht die Fülle an Einfällen und die Sorgfalt thematischer Entwicklung erwarten, die er von Reicha kennt. Die beglückenden Aufnahmen des nach seinem historischen Vorgänger getauften Reicha’-schen Quintetts entstanden 1995–97 auf Nachbauten zeitgenössischer Vorbilder und sind nun gesammelt greifbar.

Wie Danzi schuf der ebenfalls im Süddeutschen wirkende Johann Evangelist Brandl (1760–1837) etliche Werke auf Bestellung des leidenschaftlichen Amateurfagottisten Jacques Hartmann. Von Brandls Quintetten mit Fagott erschienen bei MD+G jetzt weitere drei, diesmal in der Besetzung mit Streichtrio und Klavier. Das Calamus-Ensemble serviert uns die gegen 1800 im Stil der Wiener Klassik entstandenen, liebenswürdigen Werke opus 61 bis 63 mit zupackender Verve. Das Klavier, welches mit zahlreichen, an Mozarts Konzerte erinnernden Solopassagen bedacht wird, erklingt oft alternierend zu den übrigen Instrumenten, das Fagott ersetzt die Bläsergruppe, Geige, Bratsche und Cello den Rest des Orchesters. Nicht zuletzt dank Rainer Schottstädt, der das Fagott aus der Kuriositätenecke befreit, ein Genuss ohne Reue.

Der Wiener Anton Eberl (1765–1807) erhält seit einigen Jahren wieder stärkere Aufmerksamkeit; das Playel-Trio (sic!) legt hier bereits die zweite Folge seiner Kammermusik vor. Neben den zwei Trios op. 10, welche eine Begleitung durch obligate Geige und ein Bassinstrument ad libitum vorsehen, haben die St. Petersburger einen Variationszyklus für Klavier und konzertierendes Cello sowie die große Sonate in g-moll (ein Fund!) reanimiert. Der ganz eigene Klang des Hammerklaviers harmoniert wunderbar mit den auf Darmsaiten spielenden Streichern. Das Playel-Trio hält ein 75-minütiges, flammendes Plädoyer für einen wie sein frühes Vorbild Mozart jung verstorbenen Tonsetzer, der uns emotionalen Wechselbädern aussetzt und zuletzt weit in romantische Regionen vorstößt.

Brahms soll einmal geäußert haben: „Fuchs ist doch ein famoser Mensch, alles ist so fein, so gewandt, so reizend erfunden! Man hat immer seine Freude daran.“ Die vor wenigen Jahren bei MD+G veröffentlichten Streichquartette ließen mich grübeln, ob diese Einschätzung nicht augenzwinkernd gemeint war; nun sind bei Thorofon zwei weitere Kostproben seiner Kammermusik erschienen, beide unter Mitwirkung Oliver Triendls, und sie endlich machen Brahmsens Begeisterung nachvollziehbar: Die erste Folge mit drei von insgesamt sechs Violinsonaten paart Triendl aufs Glücklichste mit Ursula Maria Berg, der jungen Konzertmeisterin des Gürzenich-Orchesters, während die beiden Klavierquartette ihm – mit ebenso überzeugendem Ausgang – das Adorján-Trio an die Seite stellen. Die speziellen Qualitäten des Robert Fuchs (1847–1927), der in Opusnummern zwischen 15 und 95 kaum stilistischen Wandel erkennen lässt, waren jedoch zugleich dafür verantwortlich, dass seine klassizistische Musik, die sich der Dekadenz der Spätestromantik verweigerte, der totalen Vergessenheit anheim fiel – und dies, obwohl er in Wien als Kompositionslehrer etwa von Wolf, Schreker, Korngold, Zemlinsky und Sibelius gewirkt hatte. Heute dürfen wir seine gar nicht kleinmeisterlichen, sondern inspirierten und hervorragend gearbeiteten Opera ohne ideologische Scheuklappen neu entdecken – mit so schlackenlos und klangschön musizierenden Interpreten wie Berg und Triendl, die eine echte Affinität zu diesen Stücken entwickeln, eine ungetrübte Freude.

Die schwedische Firma BIS ist mittlerweile bei Folge 52 ihrer Sibelius-Gesamtausgabe angelangt. Bei der erst allmählich zum Vorschein kommenden Fülle an Musik wird es im Nachhinein begreiflicher, weshalb der Finne im letzten Drittel seines langen Lebens nichts mehr komponierte. Die erste Folge sämtlicher Klaviertrios enthält sage und schreibe 72 Minuten unveröffentlichter, zum Teil nie zuvor erklungener Musik für Geige, Cello (gelegentlich auch zwei Geigen) und Klavier, die in ihrer Gesamtheit zwischen 1883 und 1886, also noch vor Beginn von Sibelius’ Kompositionsunterricht in Helsinki, zum Hausgebrauch innerhalb seiner hochmusikalischen Familie entstand. Den teils nicht anspruchslosen Geigenpart schrieb sich der eine Virtuosenkarriere anpeilende Jungkomponist auf den Leib. Der Pianist und Bookletautor Folke Gräsbeck, Spiritus rector des Unternehmens, hatte zweifelsohne seine liebe Mühe, in sich schlüssige, aufführbare Lesarten der drei mehrsätzigen Trios und der sieben teils Fragment gebliebenen Einzelsätze zu erstellen; dazukomponiert oder verbessert hat er nichts. Der zwanzigjährige Sibelius hat von den Komponisten, deren Musik er bis dahin selbst gespielt hatte, offensichtlich schnell gelernt: Nicht nur die Wiener Klassik, Schubert oder Mendelssohn lugen des öfteren um die Ecke, manchmal kann (oder will) sich Sibelius nicht zwischen Salon und Tanzboden entscheiden. Dass sich die Trios nicht auf der Höhe der Zeit bewegen, stört in keiner Weise, da sie sehr sanglich geraten sind und durchgehend ehrlich empfunden wirken. Die springlebendigen Interpretationen von Gräsbecks Trio gerieten wie die Präsentation schlechterdings ideal.

Obgleich zehn Jahre jünger als Sibelius, ging das 19. Jahrhundert im Bewusstsein des Reynaldo Hahn niemals zu Ende. So gut wie alle Anzeichen der heraufziehenden Moderne, darin war er sich mit seinem engen Freund Marcel Proust einig, waren Hahn ein Graus: Er blieb dem Lebensgefühl der Belle Epoque treu. So sehr war sein Name mit Liedern assoziiert, dass seine hervorragenden Beiträge zur Kammermusik (als einer gehobenen Salonmusik) erst allmählich entdeckt werden. Der Pianist Stephen Coombs hat sich vor kurzem mit dem Chilingirian Quartet für das Klavierquintett eingesetzt; nun widmet er sich – ebenfalls für Hyperion – mit dem neuen Ensemble Room Music vermischten Besetzungen. Neben der an den bewunderten Fauré erinnernden Violinsonate in C – die letztens aus gutem Grund öfter zu hören ist – bekommen wir köstliche Duo-Petitessen für Geige, Bratsche oder Cello und Klavier sowie das dritte, ein Jahr vor Hahns Tod 1946 komponierte Klavierquartett serviert. „Le style c’est l’homme“, so könnte in Anbetracht seines überfeinerten Geschmacks und der üppig wuchernden, aber nach außen hin stets die Contenance wahrenden Gefühlswelt der Leitsatz dieses Komponisten lauten – nicht umsonst ließ er von den Gleichaltrigen bloß Ravel gelten.

Philippe Gaubert (1879–1941) hat sich mit einer solchen Exklusivität seinem Instrument, der Flöte, verschrieben, dass er eigentlich nur Flötisten ein Begriff ist – und diesen nur durch die Duos mit Klavier. Um diese Kenntnislücke zu schließen, hat sich der auf Ausgrabungen (zum Beispiel von Koechlin – soeben bei Helios wiederveröffentlicht) spezialisierte Amerikaner Fenwick Smith bei Naxos nun Gauberts gesamte Flötenkammermusik vorgenommen. Die erste Folge enthält überwiegend Trios, die in wechselnden Kombinationen eine zweite Flöte, Oboe, Geige, Cello, Harfe, einen Sopran und meist ein Klavier (Sally Pinkas) vorsehen. Sie evozieren, dem Charakter der Flöte und den zart aquarellierten Klängen des Impressionismus gemäß, ein heidnisches, von Schäfern, Nymphen und Faunen bevölkertes Arkadien, das trotz Titeln wie „Divertissement grec“ oder „Médailles antiques“ mit der realen Antike wohl ähnlich wenig zu tun hat wie die frühe Oper mit dem klassischen Drama. Dennoch: Fürs Bukolisch-Verträumte (zum Glück nie Deutsch-Tiefsinnige), das unverhofft ins Tänzerische umschlägt, kann ich mir kaum einen geeigneteren Komponisten (oder bessere Interpreten) vorstellen. Sparsam dosiert ein Hochgenuss!

Die Mitglieder des Maggini Quartet, die für Naxos nach und nach das gesamte britische Quartettschaffen bis hin zu den „Naxos-Quartetten“ von Peter Maxwell Davies einspielen, berücksichtigen für ihre CD-Programme auch verwandte Besetzungen. Auf der ersten Folge der Bliss-Serie (2002) waren dies die originellen, den direkten Einfluss der „Six“ verratenden „Conversations“ für Flöte, Oboe und Streichtrio, während der nun vorgelegte zweite Band der Kammermusik die Bratschensonate von 1933, das Oboenquintett von 1927 und das frühe Klavierquartett enthält. Arthur Bliss (1891–1975) war sich wie mancher Inselkomponist nicht zu schade dafür, Filmmusiken zu schreiben – was sein „seriöses“ Schaffen jedoch keineswegs beeinträchtigte. Gerade das dreisätzige Klavierquartett des 24-Jährigen scheint mir als Einführung in Bliss gut geeignet: Ein mit Vehemenz aufmarschierendes Klavierthema (Bliss diente zu jener Zeit als Soldat auf dem Festland) und eine Folkloremelodie wie aus Dvoráks amerikanischer Periode werden im ersten Satz aufeinander losgelassen, die knappe Mazurka scheint von quirligem Vogelgesang inspiriert, und das Allegro furioso lässt trotz seines „wütenden“ Charakters noch Raum für versöhnlichere Klänge. Das Oboenquintett – mehr ein Oboenkonzert en miniature – bildet eine willkommene Erweiterung des schmalen Repertoires für dieses Instrument, während mit der großen Bratschensonate ein substanzielles, etwas widerborstiges, auch den Pianisten stark forderndes Stück vorliegt.

Der dänische Sinfoniker Rued Langgaard hat eine Reihe hochinteressanter Kompositionen für Violine und Klavier hinterlassen; eine erste, vor drei Jahren erschienene Folge enthielt die Ersteinspielung der schon meisterlichen, beinahe 40-minütigen Sonate Nr. 1 des gerade 22-Jährigen; in der zweiten und letzten Folge beschäftigen sich Serguei Azizian (Violine) und Anne Øland (Klavier) – von einer jugendlichen Miniatur abgesehen – mit dem Spätschaffen für ihre Beset- zung, und wiederum erklingen fast nur Katalogpremieren. Der unangepasste Einzelgänger hatte sich früh Feinde geschaffen und damit eine Karriere innerhalb des Musiklebens verhindert, sodass sich seine wahre Größe erst Jahrzehnte nach seinem Tod (1952) abzuzeichnen begann. Die kurz vorher noch einmal aufgeflammte Begeisterung für die Besetzung Violine & Klavier wurde durch die Freundschaft mit einem Geiger angeregt, mit dem Langgaard im Süden Jütlands, wo er mit 47 endlich eine Organistenstelle gefunden hatte, privat Franck, Schumann und eigene Werke musizierte. Der Platz reicht hier leider nicht aus, um die raffinierten Verfahren zu beschreiben, mit denen Langgaard den scheinbar traditionellen Rahmen einer „Sonate im romantischen Stil“ auf bereits postmodern anmutende Weise sprengte und unterminierte. Trotzdem (oder gerade deswegen): herrliche, zuweilen irritierende Musik, mit spürbarem Engagement gespielt.

Mátyás Kiss

Diskografie

Franz Danzi: Sämtliche Bläserquintette. Das Reicha’sche Quintett. NCA/Naxos 60126-377 (3 CDs)

Johann Evangelist Brandl: Quintette für Fagott, Klavier und Streicher, Vol. 2. Calamus Ensemble. MDG/Codaex 603 1175-2

Anton Eberl: Sonaten (Trios) op. 10, 1 & 2; Variations sur un thème russe pour le Pianoforte et Violoncello concertant op. 17; Grande Sonate pour le Piano-Forte op. 39. Playel-Trio St. Petersburg. Christophorus/Note 1 CHR 77259

Robert Fuchs: Sämtliche Violinsonaten, Vol. 1: Nr. 1 fis-moll op. 20; Nr. 4 E-Dur op. 77; Nr. 6 A-Dur op. 95. Ursula Maria Berg, Violine; Oliver Triendl, Klavier. Thorofon/Klassik Center CTH 2511
ders.: Die Klavierquartette g-moll op. 15 und h-moll op. 75. Oliver Triendl, Klavier; das Adorján-Trio. Thorofon CTH 2454

Johan Sibelius: Sämtliche Klaviertrios Vol. 1. Jaako Kuusisto und Satu Vänskä, Violine; Marko Ylönen, Violoncello; Folke Gräsbeck, Klavier. BIS/Klassik Center CD-1282

Reynaldo Hahn: Violinsonate C-Dur, Klavierquartett Nr. 3 G-Dur etc. Room Music (Stephen Coombs et al.) Hyperion/Codaex CDA67391

Philippe Gaubert: Sämtliche Werke für Flöte, Folge 1. Fenwick Smith, Flöte; Sally Pinkas, Klavier u.a. Naxos 8.557305

Arthur Bliss: Kammermusik, Vol. 2: Klavierquartett, Bratschensonate, Oboenquintett. Maggini Quartet; Nicholas Daniel, Oboe; Peter Donohoe, Julian Rolton, Klavier. Naxos 8.555931

Rued Langgaard: Violinsonaten Vol. 2: Sonaten Nr. 3 & 4; Kurze Violinsonate; Aubade; Ecrasez L’infâme; Andante religioso. Serguei Azizian, Violine; Anne Øland, Klavier. Dacapo/Naxos 8.226006

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