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nmz-archiv
nmz 2004/06 | Seite 42
53. Jahrgang | Juni
Noten
Erstaunliches vom Rande des Klaviers
Ausgaben mit leichteren Stücken, die im Unterricht noch
kaum entdeckt sind
Johann Christoph Bach: Werke für Klavier,
Edition Breitkopf 8730
Nach umfangreichen, engagiert betriebenen Recherchen ist es
Pieter Dirksen gelungen, eine quellengetreue Ausgabe der wenigen
überlieferten Klavierwerke J.Chr. Bachs zu erstellen. Der
Onkel Johann Sebastian Bachs (auch als „Eisenacher“
Bach bekannt) wurde von den eigenen Nachfahren, die ja fast allesamt
auch Musiker waren, hoch geschätzt. Die hier veröffentlichten
drei Variationswerke, darunter wohl als bekanntestes die „Aria
Eberliniana variata“, durchzieht ein fast sportlich anmutender
Musiziereifer. Präludium und Fuge in Es-Dur stehen ganz eigenständig
vornan. Während das Präludium improvisierenden Charakter
hat und dem imitatorischen Prinzip folgt, zwingt die Fuge wegen
ihres chromatischen Themas innerhalb des Quintraumes zu mäßigem
Tempo. „Zusammengenommen bieten die vier Werke ein schönes
Zeugnis mitteldeutscher Klavierkunst am Ende des 17. Jahrhunderts“
(Vorwort). Vor dem Einstudieren sollte man unbedingt das Vorwort
mit den Hinweisen zur Aufführungspraxis lesen.
C.M.Barthélemon, eine der Komponistinnen des 18. und
19. Jahrhunderts, die der Tonger-Musikverlag in seiner Reihe „MusicaLady“
vorstellt, entstammte einer angesehenen Musikerfamilie. Sie ermöglichte
ihr schon in ganz jungen Jahren eine umfassende musikalische Ausbildung,
die sie bald zum Erfolg führte. Schließlich gehörte
Joseph Haydn wärend seines Aufenthalts in London 1790 bis
1792 zum Freundeskreis der Familie. Ihm ist auch die vorliegende
Sonata (Allegro vivace, Adagio, Rondo alla Hornpipe) gewidmet.
Der ausladende tänzerisch-frische Kopfsatz versprüht
einen durchaus feminin anmutenden jugendlichen Elan, bei dem die
Komponistin bezüglich der Spieltechnik alle Register zieht.
Der ruhig wiegende zweite Satz in Es-Dur (6/8-Takt) spart nicht
mit Verzierungen und Arpeggien und lebt vom Kontrast. Auch im
dritten Satz ist Barthélemons Vorliebe für aufgelöste
Akkorde im Thema klar erkennbar. Übermütig und spritzig
kommt dieser Tanz im schnellen Tempo daher und braucht ab und
zu Verschnaufpausen, um dann wieder mit aller Kraft loslegen zu
können.
Stephen Heller: Notenbuch für Klein und Groß, Band
1, Universal Edition UE 3516
Stephen Heller lebte von 1813 bis 1888, also fast zeitgleich
mit Liszt. Er entstammte einem Elternhaus, welches mit dem musikalischen
Talent des Sohnes nicht recht umzugehen wusste. Die Gräfin
Brunswick sowie später Graf Fugger bemühten sich um
seine musikalische Ausbildung. Die Nähe zu Schumann, mit
dem ihn eine anhaltende Korrespondenz verband, beeinflusste sein
Wirken entscheidend. Bis heute bleibt Hellers Klavierwerk sicher
zu Unrecht vom Konzertbetrieb ausgespart. Lediglich im Unterricht
werden seine zahlreichen Etüden gespielt. Sein op.138, die
„25 melodischen Stücke“ (in zwei Bänden
herausgegeben) haben den gleichen Bezug und ähneln thematisch
dem „Album für die Jugend“ Schumanns. Ungeahnt
facettenreich, in allen Schattierungen wandelbar, mit romantischer
Empfindsamkeit, kraftvoll virtuos stehen diese kleinen Stücke
da und versetzen in Erstaunen. Sie können mit den ohnehin
spärlich gesäten anderen leichten Stücken der Romantik
gut mithalten.
Edvard Grieg: Leichte Klavierstücke und Tänze, Bärenreiter
BA6575
Mit großer Sorgfalt trug Michael Töpel mehr als zwanzig
Klavierstücke des norwegischen Komponisten zusammen. Die
Ausgabe verdient Anerkennung auch deshalb, weil sie nicht nur
einen repräsentativen Querschnitt durch das Schaffen Griegs
zeichnet, sondern dem Klavierschüler auch Auskunft gibt über
den Ursprung und die Spezifik seiner Melodien. So erscheinen hier
erstmals zwei Klavierstücke, die Grieg in jungen Jahren in
Leipzig komponierte. Der zeitliche Bogen spannt sich bis zum Jahr
1905, dem Entstehungsjahr von „Resignation“. Die mit
Eifer und Akribie in den entlegensten Gegenden seiner Heimat aufgefangenen
Melodien finden ihren Niederschlag in jedem seiner Stücke;
die meisten seiner Zyklen haben einen bewusst norwegischen Bezug.
So gibt es neben drei Lyrischen Stücken (aus op.12 und 54)
und dem „Allegro man non troppo“ aus den „Poetischen
Tonbildern“ vorwiegend Volksweisen, Gebirgsmelodien und
Bauerntänze. Ihre einzigartige Rhythmik macht sie auch spieltechnisch
interessant. Kraftvolles Spiel, Melodieempfinden, weiche Tongebung,
die Leichtigkeit der zahlreichen typischen Vorschläge, genaue
Artikulation und Akkordtechnik sollten schon beherrscht werden.
Jean Sibelius: Kyllikki, Breitkopf & Härtel, EB8140
Geht man davon aus, dass Sibelius das Klavier nicht besonders
mochte, so ist schon erstaunlich, welchen Stellenwert die Klaviermusik
im Gesamtwerk einnimmt. „Kyllikki“ op.41 wurde im
Jahre 1904 komponiert und der Komponist bezeichnete sein Werk
„...lyrisches Stück in drei Sätzen“. Tatsächlich
trägt die Erstveröffentlichung bei Breitkopf & Härtel
1906 den Untertitel „Drei lyrische Stücke“. Das
erste Stück wird mit einem kurzen Largamente eingeleitet
und fährt forsch im Allegro fort, mit tragenden, spannungsgeladenen
Melodiestimmen eingebettet in einen figurativen und technisch
anspruchsvollen Klaviersatz. Das zweite Stück, Andantino,
beginnt etwas melancholisch im mehrstimmigen Satz und leitet in
einen absolut virtuosen und vollgriffigen Satz über. Anfangs
leicht verspielt bauen sich im Verlauf des dritten Stücks
Kontraste auf, die Tonarten wechseln, das Metrum verschiebt sich,
am Schluss wird Teil A wieder aufgegriffen und verklingt leise
mit einer flüchtigen hingespielten Floskel. Studienliteratur.