[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/07 | Seite 3
53. Jahrgang | Juli/Aug.
Portrait
Keine Kindersärge, keine C-Dur-Idylle
Der Komponist und Pianist Moritz Eggert · Von Andreas
Kolb
Es gab einen Großvater, der war Opernregisseur und Wagnerianer,
und eine Urgroßmutter, die Pianistin war. Dass Moritz Eggert
aus einer Musikerfamilie stammt, kann man deshalb jedoch nicht behaupten.
Sein Vater war der Schriftsteller Herbert Heckmann, seine Mutter
Mara Eggert, bei der er allein aufwuchs, Fotografin. Ihr Sujet:
Musiker. Mara Eggert nahm ihren Sohn zu Konzerten von Miles Davis
und anderen Stars mit, aber auch in die Frankfurter Oper. So schnupperte
Eggert als Teenager in den 80er-Jahren bereits Theaterluft: zur
Zeit als Michael Gielen in Frankfurt Opernchef war und Hans Neuenfels
mit legendären Inszenierungen für Aufsehen sorgte. Eine
der Nachwirkungen dieses Einflusses war diesen Juni in Mannheim
zu erleben: Neuenfels inszenierte Eggerts Oper „Die Schnecke“
und hatte auch das Libretto geschrieben.
Die Schnecke im Kopf? Komponist
Moritz Eggert. Foto: Mara Eggert
Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre dachte der 1965 geborene
Pianist noch nicht ans Komponieren als Beruf und Passion, doch er
stellte schnell fest, dass es neben dem Beethoven- und Chopin-Repertoire
auch anderes Spannendes gab: etwa in Schulbands zu spielen, wo der
hohe Mädchenanteil im Publikum die jungen Musiker anspornte.
„Da merkte ich, dass es mir sehr viel Spass macht, für
diese Bands zu schreiben, und diese Sachen dann auch aufzuschreiben.
Daraus kam eine ganz natürliche Beschäftigung mit dem
Notieren von Musik. Ich dachte, das macht man so, auch die klassischen
Vorbilder Beethoven und Chopin waren in meinen Augen Pianisten,
die komponiert haben.“
Zwischen seinem zehnten und zwanzigsten Lebensjahr besuchte Eggert
das Dr. Hoch’s Konservatorium in Frankfurt, wo er Klavierunterricht
bei Wolfgang Wagenhäuser und Kompositionsunterricht bei Claus
Kühnl erhielt. Kühnl hat Eggert als einen Lehrer mit einer
außergewöhnlichen Begeisterungsfähigkeit in Erinnerung:
„Das, was ihn selber interessiert hat an Neuer Musik, das
hat er seinen Schülern auch überzeugend vermittelt.“
Neben seiner inneren Motivation führt Eggert sein Interesse
an der Moderne auf diesen ersten Kompositionsunterricht zurück.
Als weiteren wichtigen Anreger nennt er Hans Ulrich Engelmann,
der ihn an der Frankfurter Musikhochschule unterrichtete. 1986 geht
er nach München zu Wilhelm Killmayer. Er zählt zu dessen
letzten Studenten vor der Emeritierung und verdankt ihm wichtige
Einflüsse. Heute ist er zur Hälfte als Pianist, zur anderen
Hälfte als Komponist tätig. Obwohl Eggert beinahe alle
Gattungen zwischen Kammermusik und Musiktheater bedient hat, so
blieb die Klaviermusik immer eine besondere Herausforderung für
ihn. Den offenen Klavierzyklus „Hämmerklavier“
begann er 1995 zu schreiben. Inzwischen ist er die populärste
Komposition Eggerts, geradezu sein Markenzeichen. „ ‚Hämmerklavier’
entstand aus der Frustration, dass die Klavierstücke, die ich
bis 1994 geschrieben hatte, geprägt waren von der Musik, die
ich als Interpret gespielt hatte. Ich erkannte, dass ich bevor ich
zu schreiben begann, ein viel klareres Konzept haben musste.“
Die ersten Hämmerklavierstücke waren kurze Charakterstücke,
die sich zum Teil sehr obsessiv auf jeweils ein Thema konzentrierten.
„Inzwischen sind die Stücke freier geworden, aber die
ersten zehn hatten eine eigene Geschichte: Da wollte ich Performance-Elemente
hineinbringen, Sachen machen, die ich noch nie gesehen hatte im
Klavierkonzert, das Klavierspielen selber in Frage stellen.“
Einige Spielanweisungen mögen exemplarisch verdeutlichen, um
was es Eggert geht:
„Hämmerklavier I“ (Schlagen auf Klavierrahmen),
„Hämmerklavier III“ (Stampfen, Spielen mit Kinn,
Aktionen im Flügel), „Hämmerklavier V“ (Rhythmisches
Stöhnen), „Hämmerklavier VII“ (Spielen zusätzlicher
Töne mit dem Radiergummi im Mund), „Hämmerklavier
VIII“ (Verwendung von unter dem Flügel befestigten Klangsirenen,
Spielen im Sitzen unter dem Flügel, Pianist bewegt sich um
den Flügel herum), „Hämmerklavier X“ (Benötigt
kein Instrument – sämtliche Musik wird mit genau definierten
Mundgeräuschen erzeugt), „Hämmerklavier XI“
(60 einzelne Sekundenstücke in irrwitzigem Tempo vorgetragen,
benötigt, evtl. Mundsirene und Muhschachtel).
Beim „Hämmerklavier“ treffen höchster kompositorischer
und auch pianistischer Anspruch mit reinem Vergnügen am Spiel
aufeinander. Eggert kennt weder Scheu vor dem Populären und
Unterhaltsamen, noch vor dem Jazz. „Verständlich sein“
ist ihm als ein Komponist so genannter ernster Musik ein Anliegen,
aber keine Notwendigkeit. Die Grenzlinie zwischen U und E ist dabei
durchaus Provokation und künstlerische Herausforderung. So
forderte etwa der Werkausschuss der GEMA eine Partitur seiner „Sinfonie
für 12 Schreibmaschinen“ an, um die Ernsthaftigkeit des
Werks zu bewerten.
Doch sowohl dieses, als auch die „Symphonie 3.0 für
6 Schiffshörner oder Autohupen“ (UA 2002 in St. Johns,
Neufundland) wurden als E-Musik eingestuft. „Musik muss nicht
immer nur das Eine sein“, formuliert Eggert, „ausschließlich
Kindersärge als Partituren sind eine Sackgasse, ebenso wie
das Komponieren in C-Dur. Soll eine musikalische Sprache funktionieren,
dann muss beides möglich sein. Beethoven konnte auf hohem,
komplexen Niveau schreiben, aber auch ganz einfach. Nehmen Sie die
„Hammerklaviersonate“ und „Für Elise“:
Beides ist seine Musiksprache, es funktioniert beides auf seine
Weise, er macht keine Kompromisse in beiden Stücken. Das finde
ich ein Vorbild.“
Erfüllt Musik Kriterien wie „Klarheit, Faszination,
Inspiration“, dann wird sie sich nach Eggerts Auffassung immer
durchsetzen. Von vornherein zum Scheitern verurteilt hält er
jeden Versuch einen niedrigsten gemeinsamen Nenner anzustreben.
Ein wichtiges Anliegen für den Komponisten Eggert ist die „Präsenz
in der Zeit“. Allerdings legt er gesteigerten Wert darauf,
dies nicht mit modischem Zeitgeist zu verwechseln. Eggerts ästhetische
Positionen haben auch eine handfeste kulturpolitische und monetäre
Seite.
Moritz Eggert ist Gründungsmitglied der Initiative „Pro
Klassik e.V.“, einem Zusammenschluss von Komponisten und Verlegern,
die sich gegen die drohende Entwertung der E-Musik zu Wehr setzen.
Er ist ein geradezu vehementer Gegner der Idee, U und E abzuschaffen.
„Die GEMA muss auch in Zukunft eine Form von Kulturförderung
betreiben.“ Damit dies so bleibt, hält er Reformen für
zwingend notwendig. So solle man für die Abrechnung der Tantiemen
die Komponisten nicht länger in Unterhaltungskünstler
und ernste Künstler einteilen, sondern eine U-beziehungsweise
E-Aufführungssituation anerkennen.
Nicht das „geprüfte“ Werk entscheidet über
seine Zugehörigkeit zu einer Kategorie, sondern der Aufführungsort
und die Aufführungsart. Am Ende eines jeden Abrechnungsjahres
hat jeder Komponist und jeder Verlag ein U- und ein E-Einkommen.
Das mag Kompromisse für manche bedeuten, im Einzelfall sogar
Einbußen, der Gewinn aber ist die Bewahrung der Kultur in
unserer Kultur.