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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 46
53. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Bester Ort für Elan, Engagement und Experimente
Das Bebersee Festival in der Schorfheide nahe Berlin
Neben der Musik goutieren die Besucher sommerlicher Musikfestspiele
außergewöhnliche Spielstätten. Brandenburg wird
außerhalb der lokalen Berichterstattung leider und zu Unrecht
immer noch als recht provinzielles Kulturland wahrgenommen. Dabei
hat sich hier mit den Jahren ein abwechslungsreicher Festspielsommer
von bemerkenswerter Qualität etabliert.
Ausgezeichnete Konzerte an ungewöhnlichen Orten locken jährlich
immer mehr Besucher in die Schlösser, Klöster, Scheunen
und Industriedenkmäler der Mark. Kein Ort, wo es sich nicht
musizieren ließe.
Fasziniert von dem uckermärkischen Biosphärenreservat
Schorfheide-Chorin rund um das Dörfchen Bebersee war auch der
junge Pianist Markus Groh. Inmitten der ländlichen Idylle liegt
der ehemalige sowjetische Militärflughafen Groß Dölln.
Er wurde in den fünfziger Jahren gebaut und war ein strategisch
wichtiger Vorposten der Sowjet-Armee nahe der Demarkationslinie
des Ost-West-Konflikts. Nach dem Abzug der Russen 1994 machten private
Investoren das Gelände der Öffentlichkeit zugänglich
und ermöglichten neben der kommerziellen Nutzung auch künstlerische
Aktivitäten. Die Schorfheide war einst Hermann Görings
bevorzugtes Jagdrevier. Sein Forsthaus überdauerte den Krieg
und wurde später zum Gästehaus der DDR. Am 13. August
1961 unterrichtete Walter Ulbricht hier den Staatsrat über
den Mauerbau. Am selben Ort traf sich Erich Honecker mit Helmut
Schmidt. Heute ist das Haus Tagungs-, Wellness- und Festivalhotel,
wo sich die Künstler nach dem Konzert und beim gemeinsamen
Frühstück zum privaten Gespräch treffen.
Markus Groh, den familiäre Bande nach Bebersee führten,
brachte Freunde zum privaten Musizieren hierher. Als aufmerksame
und angetane Zuhörer gesellten sich bald Hotelgäste dazu,
ein Freundeskreis fand sich und wuchs: 1999 war das Festival geboren.
Ab 2001 hat Groh die Hangars des Flughafens zu Konzertsälen
der besonderen Art umfunktioniert. Ein gewagtes Unterfangen. Doch
nach drei erfolgreichen Jahren kann man das Experiment geglückt
nennen. Bebersee hat sich in der Festspiellandschaft Brandenburgs
etabliert. Es steht – wenn auch in viel kleinerem Format –
in einer Reihe mit den Sommerfestivals von Lockenhausen, Stavangar,
Delft oder Moritzburg, die musikalisch von ihren Gründern geprägt
sind. Nach Bebersee reisen keine festen Ensembles. Alle Kammermusikformationen
werden neu zusammengestellt und haben so teilweise noch nie miteinander
gespielt. Routine kann dabei nicht aufkommen, die Atmosphäre
bleibt trotz höchster Konzentration zwanglos, der Kontakt zwischen
Künstlern und Zuhörern ist enger als bei konventionellen
Konzertveranstaltungen.
In diesem Jahr bildet das Thema „Dirigierende Komponisten
– komponierende Dirigenten“ einen Programmschwerpunkt.
Ausgewählt wurden Werke von Mahler, Strauss, Mendelssohn-Bartholdy,
Zemlinsky und Furtwängler, dessen Todestag sich 2004 zum 50.
Mal jährt. Das Eröffungskonzert am 24. Juli porträtiert
die wechselvolle Geschichte der französischen Société
Nationale de Musique, die im Hause von Henri Duparc 1871 gegründet
wurde. Die thematische Brücke von Frankreich zur „Weltmusikstadt“
Wien wird mit dem Klavierabend des schwedischen Pianisten Hans Leygraf
geschlagen mit Werken von Debussy, Schubert und Mozart.
Für Markus Groh ist die Wechselbeziehung zwischen Sprache,
Gesang und Musik Basis seiner Programm-Dramaturgie. Immer wieder
werden Konzertstücke durch das gesprochene oder gesungene Wort
ergänzt. 2004 verwirklicht das Bebersee Festival mit dem Bewegungstheater
des Centrifugue Ensembles aus New York erstmals den Brückenschlag
zu einer weiteren künstlerischen Ausdrucksform. Die beiden
abschließenden Konzerte am 31. Juli und am 1. August werden
zusammenfügen, was zusammengehört: Musik und Tanz –
wenn auch in eher ungewöhnlichen Formen, wie Obertongesang
und circensischen Tanzelementen. Noch steht das Bebersee Festival
am Anfang, dem besten Ort für Elan, Experimentierfreude und
Engagement, und ist dadurch ein Geheimtipp für Kenner.