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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 46
53. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Dieser ferne, innere Raum
Das Projekt „space + place“ vom Kammerensemble Neue
Musik Berlin
Längst ist das autonome musikalische Kunstwerk in die Diskussion
geraten; an seinen Grenzen rütteln die Improvisation und die
Performance, die Installation und sogar die Konzertform selbst;
Elektronik, musique concrète, Sampling vernetzen es mit seiner
Umgebung bis zur Ununterscheidbarkeit. Jeder Klang, jedes Alltagsgeräusch
kann zu seinem Material werden, und selbst der Raum, früher
als Gegenpol zur Musik als organisierter Zeit gesehen, erobert es
immer mehr. Wie dringt Raum in die musikalische Struktur selbst
ein, von den Koordinaten der Töne bis hin zur Verteilung von
Instrumenten oder sonstigen Klangquellen am Aufführungsort?
So lautet die eine Frage. Die andere: Wie wirkt sich der Raum, seine
Architektur und Atmosphäre, auf die in ihm gehörte Musik
aus? Mit seinem Projekt „space + place“ ging das Kammerensemble
Neue Musik Berlin systematischer und umfassender als gewöhnlich
solchen Fragen nach. Den komponierten oder improvisierten Räumen
in der Musik selbst („space“) war dabei das traditionelle
Konzerthaus Berlin zugedacht, während den musikalischen Raumgestaltungen
das „Office-Areal“ der brandneuen Oberbaum-City am Friedrichshainer
Spreeufer zur Verfügung stand.
Zum Glück war den schicken Räumen noch einige Patina
der ehemaligen „Narwa“-Glühlampenfabrik –
ein industrielles Aushängeschild der abgewickelten DDR –
anzumerken, die so in reizvollem Gegensatz zur manchmal sterilen
Hochglanztechnik treten konnte. Ein Ort mit Geschichte also, die
am konkretesten die Musik/Bild-Installation „Verlassene Räume“
von Georg Katzer und Rose Schulze thematisierte. An die Wände
der modrigen Tiefgarage projiziert die Fotografin Bilder aus einer
bankrott gegangenen Papierfabrik, die Dramaturgie einer Improvisation
von E-Gitarre, Bass und Percussion gibt ein Vergänglichkeit
und Verfall ansprechender Text von Wolfgang Hilbig vor. So entsteht
ein vielfaches Spannungsgeflecht aus musikalischer Struktur, Farbe,
semantischen Inhalten, das einen weiten Assoziationsraum öffnet.
Wie ein aufschlussreiches Konzept sich selbst ein Bein stellen kann,
zeigte der vorangegangene Abend im Konzerthaus. „Places“
von Alvin Lucier machte in der Konzertpause Treppenhaus und angrenzende
Räume zum anregenden Erkundungsort „akustischer Signaturen“
von Innen- und Außenräumen aus Ostrave (Tschechien),
New York und Middletown Connecticut. Wirklich aufregend aber wurde
es beim konventionellen Zuhören. Werke von Xenakis und Grisey
machten deutlich, welch überlegene Innovations- und Aussagekraft
die „Großväter“ der Moderne gegenüber
den intelligenten Tüfteleien ihrer Nachkommen zu bieten haben.