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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 44
53. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Stilleben mit Putschgeneral
Uraufführung der Oper „Der Herbst des Patriarchen“
von Giorgio Battistelli
Der Roman „Der Herbst des Patriarchen“ von Gabriel
García Márquez drängt sich nicht gerade als Vorlage
fürs Musiktheater auf, denn diese Abrechnung mit dem lateinamerikanischen
Diktatoren-Unwesen bietet keine Handlung mit sich entwickelnder
Figuren-Konstellation; stattdessen einen perspektivisch wechselnden
Bewußtseinsstrom ohne lineare Zeitebene: Leben und Tod des
hier „Patriarch“ genannten Caudillo, Vergangenheit und
Gegenwart des imaginären, aber ortbaren Landes sind von Anfang
an als zeitloses, doch bildmächtiges Tableau präsent.
Aber das moderne Musiktheater hat sich längst vom mechanischen
Handlungsdenken emanzipiert, wie ein Workshop mit verschiedenen
Komponisten, Librettisten und Dramaturgen sowie Musikausschnitten
als Begleitprogramm zu dieser Uraufführung bewies. So fanden
der italienische Komponist Giorgio Battistelli (Jahrgang 1953) und
sein Librettist Gotthart Kuppel eine geeignete Form, um dem Auftrag
des Bremer Theaters nachzukommen. „Der Herbst des Patriarchen“
erfuhr eine szenisch wie musikalisch durchaus annehmbare Realisierung;
spiegelt aber doch eine Problematik wider, die schon der Vorlage
inhärent ist und in Battistellis Oper sogar noch verstärkt
wurde.
Die unmittelbar ineinander übergehenden sechs Bilder zeigen
stets den Präsidentenpalast jener imaginären „Bananenrepublik“,
in dem der alternde, senile, aber immer noch lebens- und herrschsüchtige
Diktator mal lebt, mal vegetiert und mal stirbt – um sogleich
wieder aufzuerstehen. Im Bühnenbild von Carl Friedrich Oberle
mit drei Ebenen, einer stilisierten Pracht-Architektur und einem
durch das Oberlicht hereinscheinenden Urwald-Blättergewirr
führen eine Konkubine (Birgit Eger) und ein Soldat (Mihai Zamfir)
wiederkehrend die Zuschauer jeweils in die neue Szene ein.
Die Begegnungen des Patriarchen (Karsten Küsters stimmlich
wie darstellerisch glänzend) mit seinem Double, mit Militärs,
Huren, mit Botschafter, Erzbischof und schließlich dem Tod
finden fast ausschließlich auf der mittleren Ebene statt (die
vordere, die Rampe, wurde in Rosamund Gilmores ansonsten spannungsreicher
Inszenierung ein wenig verschenkt), während daneben und oben
ein quasi historischer Strom des Volkes ständig vorüberzieht,
mal autoritätshörig, mal rebellierend; wie viel davon
nur Traum und Erinnerung des sterbenden Patriarchen ist, bleibt
absichtsvoll offen. In diesem surrealen Personenkarussell boten
Loren Lang (Tod, Double) und Marco Lazzara (Berater Saenz de la
Barra, Erzbischof, Offizier) in Sinn machenden Doppelrollen die
überzeugenden Partner, die aus einem scheinbar unwandelbaren
Zustand doch lebhafte Aktion schlugen.
Die im Roman schon ständig präsenten, den Palast mit
bevölkernden und Gardinen wie Teppiche beknabbernden Kühe
sind auch hier als Plastikmodelle auf der Bühne. Sie zeigen
einerseits den Verfall der Herrschaft und die Schrulle des Milch
verteilenden Patriarchen, andererseits symbolisieren sie die Herrschaftsbasis
des Vieh züchtenden Großgrundbesitzes, ein Konglomerat
aus Hacienda und McDonald, eine Assoziation, die hier allerdings
verschenkt wurde.
Der Patriarch erscheint auftrumpfend, aber wiederum auch an seinem
(vom Tonband her) „singenden“ Hodenbruch leidend, er
hängt infantil an seiner Mutter Bendición Alvarado,
deren Platz später die Geliebte Leticia Nazareno übernimmt
(eine Doppelrolle für die in solchen Charakteren stets überzeugende
Eva Gilhofer) – Freud’sche Inzestfantasien lassen grüßen...
Er „menschelt“ erheblich in diesem Musiktheaterwerk,
er tat es auch schon bei García Márquez, aber wo der
noch den Drahtseilakt zwischen Entlarvung des Terrors und Ästhetisierung,
zwischen realistischem Sittenbild und gefährlicher Nähe
zur Verharmlosung schaffte, bleibt die Oper doch zu sehr in jenem
Stadium haften, wo man sich fragt, warum wir eigentlich Verständnis
haben sollen für die allzu menschlichen Charakterzüge
eines Monsters, das sich in der Politik wie ein ungezogenes Kind
beträgt, nur dass hier nicht Spielzeuge zertrümmert, sondern
Menschen abgeschlachtet werden.
Battistelli postierte – neben dem Orchester im Graben –
zwei Schlagzeug-Ensembles zu beiden Seiten der Bühne; eine
weitere Raum-Ebene ergab sich durch Tonband-Einspielungen.
Das war dramaturgisch geschickt und schürte die Spannung, zumal
die Musiker der Bremer Philharmoniker unter Stefan Klingeles souveränen
dirigentischen Impulsen die Klangpalette der Partitur farbig ausreizten;
doch blieb die Musik insgesamt recht konventionell. Der punktuelle
Einsatz zu Beginn – wie die Exposition einer Zwölftonreihe
–, der am Ende wiederholt wird, um das Ganze fast akademisch
abzurunden, die gelegentlich am Kitsch entlangschrappende Melodik,
ein schicksalsdräuendes Zitat aus Johannes Brahms‘ Erster
Sinfonie – das sind Momente, die, zusätzlich zur Szenerie,
aus dem Politgangster einen fast schon wieder sympathischen Opernhelden
machen. Ob das im Sinne des Romanciers war, darf mindestens gefragt
werden; ob im Sinne der auf Argentiniens Müllkippen „Verschwundenen“
oder in Chiles Stadion Niedergemetzelten, ist entschieden zu verneinen.