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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 45
53. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Bohemian Rhapsody
Das Queen-Musical „We Will Rock You“ in London
Erst wurde es belächelt, dann als Kommerz beschimpft und mittlerweile
geht das Queen-Musical „We Will Rock You“ in seine dritte
ausverkaufte Londoner Spielzeit. Dazu kommen Dependancen in Las
Vegas, Sydney, Moskau und ab Dezember 2004 in Köln. Stets beteiligt:
Regisseur und Autor Ben Elton, Queen-Gitarrist Brian May sowie Queen-Schlagzeuger
Roger Taylor als musikalische Leiter. Zusammen mit einem fantastischen
Team (Schauspieler, Produktion und Band) haben sie im altehrwürdigen
Londoner Dominion Theatre ein perfektes Musical auf die Beine gestellt,
das sich als mit den konventionellen Musical-Klischees wenig solidarisch
erweist.
Da wäre vorderhand die Story. Oft abgeschmackt, unablässig
schwülstig, beschränkt modern. Hauptsache mit pomadiger
Romanze. Das Queen Musical wurde da gegenwartsnah und progressiv
inszeniert: Britischer Humor. Derbe Seitenhiebe auf die Industrie.
Witzige als Text eingebaute Songzitate von den Beatles über
die Rolling Stones bis hin zu Cliff Richard, der in der Gesamtstory
eine Menge aushalten muss. Und leidenschaftliche Hauptfiguren namens
„Britney“, „Pop“ oder „Khashoggi“
sorgen für den ein oder anderen britischen Brüller. Natürlich
geht es mitunter um eine Liebesgeschichte. Zwischen Musik und Hörer,
aber auch zwischen dem Protagonisten Galileo (leicht wahnsinnig,
auf der Suche nach der letzten Gitarre des Planeten und immer wieder
mit als Queen-Songs getarnten Gehirnwäsche-Flashbacks) und
seiner Partnerin Scaramouche (Typ: ausgeflippte Cyndi Lauper). Eine
Geschichte, die in der Zukunft stattfindet, die visionär aufzeigt,
wie es aussehen wird, wenn die Globalisierung durch ist und alle
gleich sind. Es ist eine GaGa-Welt auf dem Planeten „Mall“.
Doch es gibt Rebellen. Rockmusik-Rebellen. Die „Bohemians“.
Sie leben im Untergrund und erinnern sich sehr gut an das Goldene
Zeitalter, in dem Bands ihre Songs noch selbst komponierten. Sie
nennen diese Zeit „The Rhapsody“.
Vor diesem Hintergrund taucht das Ensemble in London den Zuseher
für fast zweieinhalb Stunden in eine Welt aus zirka 30 Queen-Hits
(von einer brillanten Band gespielt), in eine Vision aus moderner
Theaterkultur (herkömmliche Bühnen- und Szenenwechsel),
eine Achterbahnfahrt aus Technicolor Klein-Bildschirmen, überdimensionale
Videoleinwände und quer durchs Theater fahrbare Bühnenteile.
Die befürchteten Massen-Choreographien bleiben aus, lediglich
eine kleine, gut abgestimmte Tanztruppe bewegt sich überschaubar
und nicht zu überkandidelt zur queen’schen Rockmusik.
Die Musik ist laut, aber herzlich. Das Publikum lässt sich
vom ersten Song an („Innuendo“ als Intro gefolgt von
„I Want To Break Free“) berauschen, sitzt zumindest
auf den Parkett-Plätzen selten und klatscht selbstverständlich
den „We Will Rock You“-Rhythmus wie mit einer Hand zum
vorläufigen Finale, das lediglich durch die „Bohemian
Rhapsody“ übertroffen wird, die oft während des
Musicals akzentuiert, aber bruchstückartig angedeutet und nun
endlich absolutiv von vorne bis hinten als Endstation der Rockreise
gespielt wird.
Der Vorhang wird fünfmal geöffnet und geschlossen. Damen
kreischen, Herren wollen die nach oben gerissenen Arme nicht mehr
senken. Und wenn man das Theater verlässt, verarbeitet man
mehr emotional als rational die Menge und Qualität an Hits,
die Queen in ihrer Karriere abgeliefert haben und welch visionäre
Gedanken in Freddie Mercury schlummerten. Ein Stück Rockgeschichte
wurde in London aufgearbeitet und mit genug Platz zum Nachdenken
inszeniert. Das ist vor allem einer klugen Story und einem modernen
Zeitgewand zu verdanken. Die Vorfreude auf die Premiere in Köln
(Dezember 2004) darf langsam gedeihen.
Die nmz hatte zudem die Gelegenheit in London mit Brian May und
Roger Taylor über die bevorstehende Musical-Premiere in Köln
und die Entstehung des Musicals (unter anderem auf Initiative von
Robert de Niro) zu sprechen. Ausführliche Interviews dazu können
Sie in der kommenden Oktober-Ausgabe lesen.