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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 43
53. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Allerhöchste Maßstäbe werden angelegt
Ein Bericht zu den „Menuhin-Preisen 2004“ in London
Mit einem Wettbewerb, etikettiert mit dem Namen Yehudi Menuhin,
ja von diesem Genius vor über 20 Jahren selbst begründet,
verbindet sich ebenso hohe Verpflichtung wie Verantwortung. Voran
ging – vor mehr als 40 Jahren – die Gründung und
Etablierung jener Yehudi Menuhin School nahe London, in die möglicherweise
noch mit einem Stipendium aufgenommen zu werden, zum Traum-Start
außergewöhnlicher geigerischer Begabungen gehörte,
einer Boardy-School für Teenies, in der allerdings die üblichen
allgemeinbildenden Fächer ebenso zum Pflichtkanon des Unterrichts
gehört wie natürlich vor allem die musikalische Intensivbetreuung
durch den Genius selbst und sein Pädagogen-Team. Wer hier möglicherweise
durch seine persönliche Wahl im Rahmen der weltweiten Reisen
für einige Schuljahre fern der Familie Aufnahme fand, der durfte
sich zu den höchsttalentierten Streichern rechnen, auf die
man große musikalische Erwartungen setzte.
Guter Geist des Wettbewerbes:
Namensgeber Yehudi Menuhin. Foto: Charlotte Oswald
Das führte konsequenterweise zur Einrichtung eines eigenen
Wettbewerbes mit dem Ziel, weltweit junge und jüngste Geigentalente
aufzuspüren. Weltweit in der Tat: Denn woher kamen und kommen
diese höchsttalentierten jungen Geigerinnen und Geiger, jene
in den bisherigen zehn Wettbewerben seit 1983 über 100 ausgezeichneten
Preisträger? Ein Fünftel aus Nordamerika, je zwei Fünftel
aus dem Fernen Osten und Europa, Ost und West, darunter einige in
der Szene bemerkenswerte Namen wie Isabelle van Keulen aus den Niederlanden,
Tasmin Little aus England, Sylvie Sentenac aus Frankreich, Birgit
Kolar aus Österreich, Gabriela Demeterova aus Tschechien, Elisabeth
Glass, Julia Fischer, Sophie Moser und Markus Tanneberger aus Deutschland,
Birgit Kolar aus Österreich, Nikolaj Szeps-Znaider aus Dänemark.
Die aus 29 Ländern stammenden 186 Bewerber dieses Jahres
führten nach der von einer Minijury getroffenen Vorauswahl
letztendlich zur Teilnahme von 42 Kandidaten, wovon ein Drittel
aus dem Fernen Osten anreisen durfte, ein Drittel aus Osteuropa,
während vom dritten Drittel sieben Kandidaten aus den USA,
drei aus Australien und nur fünf aus Westeuropa die Zulassung
erhielten. So ist nach einer bereits zehnmaligen Durchführung
in zweijährlichem Turnus der Anspruch unverkennbar, bei der
Beurteilung weiterhin allerhöchste Maßstäbe anzulegen.
Das Vorspielprogramm zwischen Bach, Klassiksonaten, Piecen der Romantik
und dem notwendigen virtuosen Vorzeigeprogramm ist mit jeweils einigen
Wahlmöglichkeiten strikt vorgegeben. Zeitgenössisches
gefordert war nur in der Älteren Sektion in einem von BBC in
Auftrag gegebenen, von den Kandidaten allerdings nicht besonders
geliebten, im musikalischen Verständnis anspruchsvollen Duo
mit Klavier von dem Britten-Fellow Robert Keeley – anspruchsvoll,
weil im Zusammenspiel rhythmisch kompliziert, ungewohnte Techniken
und Klangeffekte abverlangend. Ein weiteres kammermusikalisches
Engagement – bemerkenswerte Vorgabe in diesem Solistenwettbewerb!
– wurde mit dem ersten Satz aus Kodalys Duo op. 7 mit Violoncello
erwartet, von den jüngeren Kandidaten eine Händel-Passacaglia-Variation
im Duo mit Viola. Die zehn Junior-Finalisten hatten die Chance sich
mit dem ersten Satz einschließlich Kadenz aus den Mozart-Konzerten
KV 216 oder 218, begleitet vom Royal Academy Studenten-Orchester
vorzustellen. Für die vier Senioren-Finalisten mit einem Konzert
von Vieuxtemps, Lalo, Saint-Saëns oder Paganini hatte sich
BBC Concert Orchestra zur Verfügung gestellt.
So blieben der Jury unter dem Vorsitz von Leopold de Rothschild
22 Kandidaten in der Junior-Sektion (bis zu 15 Jahren) und 20 Kandidaten
in der Senior-Sektion (bis zu 21 Jahren), für die Preise im
Gesamtwert von über 20.000 £ (zirka 30.000 T) zur Verfügung
gestellt waren, vier Preise limitiert traditionsgemäß
für die Senioren, fünf für die Junioren.
Den ersten Preis und den für Chamber Music verdiente sich
Joel C. Link (15 Jahre) aus Chicago/USA, den zweiten Preis Danbi
Um (14) vom Curtis Institute Philadelphia/USA). Zwei dritte Preise
wurden Ray Chen (15), ausgebildet am Sydney Conservatory/Australien,
und Yoo Jin Jan (13) von der Korean National University of Arts
Seoul zugestanden, der fünfte Preis der vierzehnjährigen
Esther Kim aus Upland/Californien/USA, die schon in der Preisträgerliste
2002 als bemerkenswertes junges Geigentalent auftauchte und zur
Zeit in Wien ihre geigerische Betreuung erfährt. Sie erhielt
zusätzlich den „Art for Music-Prize“ der Europäischen
Union of Music Competitions for Youth (EMCY), der dieser Wettbewerb
mittlerweile als Mitglied angehört.
Der erste Preis der Senioren ging an Hye-Jin Kim (18) aus Korea,
der vor vier Jahren schon unter den Preisträgern rangierte,
der zweite Preis an den ebenfalls früheren inzwischen 20-jährigen
Menuhin-Preisträger Daniel Khalikov aus Usbekistan, beide zur
Zeit am Curtis Institute Philadelphia studierend. Mit dem dritten
Preis bedacht wurde mit Je-Hye Lee (18) ein weiterer Koreaner, der
an der National University of Arts in Seoul in Ausbildung ist. Vierter
Preisträger ist der Japaner Yusuke Hayashi (19), der zur Zeit
in Wien eine Ergänzungsausbildung erhält. Für die
beste Darstellung des Senior-Pflichtwerkes, die Auftragskomposition
„On the Tiles“ von Robert Keeley, wurde mit dem Composer-Preis
Daniel Khalikov, mit dem Kammermusikpreis Anthony Sabberton (21),
Student der Royal Academy of Music London, gewürdigt.
Von neun Auszeichnungen gehen auch diesmal fünf an Geigentalente
aus dem Fernen Osten. Beachtenswert aber, dass alleine fünf
der Preisträger ihre Ausbildung in den USA erhalten, zwei in
Korea, einer in Australien. Immerhin studieren derzeit zwei (zeitweise)
in Wien. Dass sich in London keiner der fünf Kandidaten aus
europäischen Ländern als preiswürdig erwies, mag
für das Konzept der Instrumentalausbildung in Europa ein Alarmzeichen
sein, umso mehr als auch weitere Wettbewerbe für den Geigennachwuchs,
so zum Beispiel die in Schöntal, Lublin und Usti nad Orlici
kein wesentlich anderes Ergebnisbild lieferten. Kein Zweifel: den
Geigen- und vielleicht überhaupt den Musikernachwuchs von morgen
und übermorgen werden Amerika und der Ferne Osten stellen.
Nicht weil diese jungen Menschen vielleicht musikalischer sind als
die Europäer. Sondern andere Ausbildungsstrukturen und -traditionen
und ein anders geartetes Umfeld geben dazu offensichtlich bessere
Voraussetzungen. Nährboden ist die spezielle Für- und
Vorsorge, welche junge Musiktalente frühzeitig erfahren. Sei
es durch enorme Opfer der Familie, wenn sie nicht gerade zu den
Hochbetuchten zählt, oder dank Sponsoren als Paten und gewährter
Scholarships. Das ermöglicht musikalisch Hochbegabten hochkarätige
Mentoren in den dafür bekannten Superinstituten Amerikas. Notwendige
Allgemeinbildung, so bestätigen viele Preisträger, erhalten
sie in der home school, sodass auch weite Rösselsprünge
zum begehrten Lehrer im anderen Kontinent kein Hindernis darstellen.
Dass gerade den aus dem Fernen (und auch aus dem Nahen) Osten aufsteigenden
Superstars mitunter mehr durch technische Brillanz und frappierende
Virtuosität, ja manchmal Paganini-hafter Hexerei überzeugen
als durch musikalische Herzenswärme und Tiefe der Empfindsamkeit,
ist ein nicht nur bei diesem Geigen-Wettbewerb gewonnener Eindruck,
er gilt ähnlich auch für den pianistischen Nachwuchs.
Der Wettbewerb, dessen nächste Ausschreibung 2006 erfolgt,
war Teil des Internationalen Violin-Festivals „Genius of the
Violin“, der sozusagen die Atmosphäre dieses Wettbewerbes
abgab. Bemerkenswert die Zusammenarbeit mit BBC Radio 3 und der
Zeitschrift „The Strad“, ebenso die zahlreichen beispielgebenden
Konzerte, Education Conferences und der Fortbildung und Orientierung
gebende Master Classes. Beispielhaft für andere Wettbewerbe
der kostenlose Gastfamilien-Aufenthalt für alle Kandidaten,
die ja nicht ohne betreuende Begleitung angereist kamen, und das
für die Gesamtdauer des Wettbewerbes. Das sollte dem Wettbewerb
zusätzlich den Begegnungs- und Fortbildungscharakter geben,
das Dabeisein, Vergleichen, das Erfahren aller drei Vorspielrunden
ermöglichen, ebenso die Wahrnehmung angebotener Orientierungs-
und Beratungsgespräche mit den Juroren. Neben einer Instrumenten-Auktion
war es vor allem ein neuer Internationaler Geigen- und Geigenbogen-Wettbewerb,
der Musikern, Lehrern wie Schülern die Möglichkeit einräumte,
nach Lust und Laune einige hundert ausgestellte Objekten aus 30
Ländern zu testen und mitzubewerten.