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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 46
53. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Im Spannungsfeld
Alpenklassik in Bad Reichenhall
...dort, wo die Alpen glüh’n... gibt es künftig
nicht nur Edelweiß und Bergidylle, sondern auch ein neues
Musik-Event – „Alpenklassik“ in Bad Reichenhall
nämlich. Von diesem August an lädt die Kurstadt nun alljährlich
zum Sommer-Festival mit Bergblick… zeitgleich mit den Festspielen
in Salzburg.
v.l.n.r., obere Reihe: Jan
Müller-Wieland, Wolfgang Rihm, Aribert Reimann, Wilhelm
Killmayer. Unten: Moritz Eggert und Manfred Trojahn. Foto:
Elisabeth Aumiller
Ja, Salzburg, das benachbarte Kultur-Massiv, das mindestens ebenso
lange Schatten wirft, wie die umliegenden Zweitausender, die sich
im Festival-Titel wiederfinden. Was kann in seinem Umkreis schon
gedeihen? Was den überzeugten Festspielbesucher dazu bringen,
auf dem Weg zum Musik-Olymp einen Abstecher nach Reichenhall zu
machen... Dicht daneben ist eben doch nur dicht dran – der
Fluch des Standorts. Oder vielleicht doch nicht?
In der kleinen Kurstadt jedenfalls hat man einen Umgang mit dem
Musik-Mekka nebenan gefunden: Ergänzen will man, nicht konkurrieren.
In Reichenhall setzt man auf Kammermusik. Maßgeschneiderte
Programme, junge Künstler und zugkräftige Klassik-Stars.
Ein im richtigen Verhältnis sorgsam zusammengestellter Cocktail,
nach bewährtem Rezept der Intendantin und Festival-Veteranin
Kari Kahl-Wolfsjäger. Nach genau dieser Erfolgsstrategie hatte
sie in den vergangenen 20 Jahren bereits mehrere Festivals gegründet
und vom Klassik-Geheimtipp zum obligaten Festspiel-Termin gewandelt.
Und nun nach Bad Kissingen und Weimar, nun ist also Bad Reichenhall
dran.
„...wenn man Festivals macht, muss man etwas machen, was
nicht jeder andere auch macht, es gibt eine Menge Sachen, die sind
extra für Reichenhall entworfen, die gibt’s nirgendwo
anders...“ und damit spricht Kari Kahl-Wolfsjäger einen
der diesjährigen Programmhöhepunkte an: die „Hölderlin-Liederwerkstatt“,
ein absolutes Vorzeige-Projekt. Ebenso mutig, wie hochkarätig.
Mit Wilhelm Killmayer, Aribert Reimann, Manfred Trohjan, Wolfgang
Rihm, Moritz Eggert und Jan Müller-Wieland haben sich sechs
namhafte, zeitgenössische Komponisten mit jungen Sängern
und Pianisten zu einer Art Workshop zusammengefunden, um ihre eigens
für Reichenhall entstandenen Hölderlin-Vertonungen zu
erarbeiten. An zwei Konzertabenden wurden die neuen Werke dann früheren
Hölderlin-Vertonungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und anderen
von Eisler, Reger und Wolpe gegenübergestellt und durch hervorragend
agierende junge Interpreten uraufgeführt. Mojca Erdmann (Sopran),
Anne-Carolyn Schlüter (Mezzo-Sopran), Jan Kobow (Tenor) und
Jochen Kupfer (Bariton), am Klavier begleitet von Axel Bauni und
Susanne Giesa loteten das Spannungsfeld zwischen textinterner Melodik
und klanggewordener Sprache bis ins Tiefste aus und legten dem jungen
Festival damit ein wertvolles musikalisches Taufgeschenk in die
Wiege. Zeitgenössische Hölderlin-Vertonungen im Entstehungsjahr
zu präsentieren ist aber noch weit mehr als ein anspruchsvolles
Taufgeschenk, es ist die zukunftsweisende Weichenstellung eines
Festivals, das sich in seinem künstlerischen Wert zu profilieren
sucht. Fern einer touristisch angelegten Fast-Food-Kultur, die Salzburg-Reisende
sozusagen en passant noch schnell durchs eigene Konzert-Angebot
schleust, hin zu einem durch musikalischen Anspruch legitimierten,
eigenständigen Kammermusik-Ereignis. Aber da Reichenhall nicht
Donaueschingen ist und Kunst nun einmal kostet, ist es nur zu verständlich,
dass man musikalische Delikatessen, wie das Hölderlin-Projekt
mit einem etwas leichter zu konsumierenden Repertoire-Programm auffängt.
Zu diesem Zweck und um sich dennoch innovativ zu zeigen, greift
die Intendantin tief in die Trickkiste und deutet die in Bad Kissingen
so erfolgreiche Klavier-Olympiade zum Reichenhaller Klavier-Marathon
um.
Klaviermusik nonstop, stundenlang, jedes Stück ein Knaller
und jeder Interpret ein Hoffnungsträger. Das ist neu, das ist
anspruchsvoll und nicht zuletzt, das ist bezahlbar. Denn auch wenn
das Festival zu seinen Hauptsponsoren die Stiftung und Gesellschaft
für musikalische Aufführungsrechte GEMA rechnen kann,
von kollegialen Beziehungen zu Salzburg und den dortigen noch moderaten
Gagenhöhen profitiert, verliert der pekuniäre Aspekt nicht
an Brisanz. Den Rest erledigen Publikums-Magneten wie Rudolf Buchbinder,
Melvyn Tan oder Diana Damrau, die dem Alpen-Festival über den
illustren Kreis vereinzelter Kammermusik-Freaks auch die Akzeptanz
des breiten, eher konservativen Publikums und damit langfristig
den erhofften Nimbus innerhalb der Musikszene versprechen.
Was heuer hauptsächlich mit Klavier- und Liederabenden beginnt,
soll in den kommenden Jahren das gesamte kammermusikalische Spektrum
abdecken, immer jedoch gestützt auf die drei Säulen: Neue
Musik, junge Künstler und dazwischen einige publikumswirksame
Klassik-Stars. Und das Ganze zu erschwinglichen Preisen.
Visionen, Virtuosen und Sponsoren, aber da ist noch etwas. Das
Staatsbad im Alpenkessel besitzt auch die architektonischen Voraussetzungen
zum Festivalstandort. Im alten königlichen Kurhaus Bad Reichenhall
befinden sich vier bis dahin nahezu ungenutzte historische Konzert-Säle
des Jugendstil Architekten Max Littmann. Eine Tatsache, die nicht
unerheblich war für die Gründung der Alpenklassik.
Ob das neue Festival auch langfristig das Zeug zum Gipfelstürmer
hat oder in die Talsohle der Mittelmäßigkeit abrutscht,
wird die Zukunft weisen, ...dort wo die Alpen glüh’n...