[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 47
53. Jahrgang | September
Oper & Konzert
Spiel mit Obertönen und Interferenzen
Ein Bericht zum Klavierfestival Ruhr 2004
Es gibt Fragen, die besser ungestellt bleiben. Eine davon ist
die nach der Meinung des Klavierstimmers zum Konzert von Thomas
Larcher und Wolfgang Mitterer, die beim Klavierfestival Ruhr offenbar
testen wollten, was ein Flügel so alles hergibt an Lautstärke
und Verfremdungseffekten. Wer solche Experimente für einen
alten Hut hält, hat die aufregende Performance der beiden Tiroler
nicht erlebt, die dem Innenraum des Instruments mit großen
Steinen und mit Tischtennisbällen zu Leibe rückten, leere
Plastikflaschen knacken ließen, mit Hämmern auf Metallplatten
schlugen und die Tastatur brachial mit Armen und Fäusten traktierten.
Es war eine lärmende Geräuschkulisse, die das teilweise
improvisierte Gemeinschaftswerk „Tastatura“ für
zwei präparierte Klaviere und Elektronik entwickelte: Ein Kritiker
verglich ihre Maschinenhaftigkeit gar mit George Antheils berühmten
„Ballet mécanique“. Diesen durchaus verstörenden
Bemühungen um das x-fache Fortissimo folgte das Publikum im
Duisburger Wilhelm-Lehnbruck-Museum indes ebenso aufmerksam wie
Larchers kurzem Klavierstück „Antennen... Requiem für
H.“, Mitterers „Uluru“ für präpariertes
Klavier und Tonband und den Klavierstücken op. 11 von Arnold
Schönberg.
Benjamin Schmid (Violine)
und Ariane Haering (Klavier) gestalteten das Auftaktkonzert
zum diesjährigen Mozartzyklus des Festivals. Foto:
A. Köhring
Auf genau diese Aufgeschlossenheit setzt Franz Xaver Ohnesorg bei
seinen Bemühungen, die zeitgenössische Musik beim großen
Pianisten-Treffen an der Ruhr nicht außen vor zu lassen. Seit
er 1996 die Leitung des Festivals übernahm, finden sich stets
ein bis zwei Uraufführungen im Reigen der Konzerte, in denen
das gängige Klavierrepertoire von Haydn bis Liszt naturgemäß
den Ton angibt. Der sensationelle Auftritt von Jewgenij Kissin in
der Essener Philharmonie, den das Klavierfestival im 16. Jahr seines
Bestehens erstmals verpflichten konnte, brachte Werke von Chopin,
Medtner und Strawinsky, während der Pole Krystian Zimerman
sich am gleichen Ort ganz auf Chopin konzentrierte. Auch Arkadi
Volodos und Anne-Sophie Mutter nebst Ehemann André Previn
setzten auf Bekanntes. Dem Länder-Schwerpunkt Österreich
und einem gerade begonnenen Mozart-Zyklus zum Trotz erstarrte das
Festival aber nicht in rückwärts gewandter Mentalität:
Es brachte auch Raritäten und Crossover-Projekte, die das Konzertgeschehen
der Sommermonate lebendig hielten.
Zu den selten aufgeführten Werken gehörte die monumentale
Concorde-Sonate von Charles Ives, die Pierre-Laurent Aimard in Duisburg
bezwang, das Klavierkonzert von Wilhelm Furtwängler, das Gerhard
Oppitz mit den Essener Philharmonikern interpretierte, und das Konzert
für die linke Hand von Erich Wolfgang Korngold, dem sich David
Lively und die Bochumer Symphoniker widmeten. Bei der literarisch-musikalischen
Hommage „Ernst Jandl for ever“ wurden Grenzen zwischen
Jazz und Neuer Musik ebenso leichtfüßig überschritten
wie durch das Klavierduo Eduard & Johannes Kutrowatz. Die Brüder
spielten Musik von Joseph Haydn ebenso vorzüglich wie Stücke
von Arvo Pärt und Dave Brubeck.
Vom Pech verfolgt waren die Kompositionsaufträge des Festivals,
die in diesem Jahr an drei Österreicher gingen. Die neuen Stücke
hätten im Dortmunder Harenberg City-Center uraufgeführt
werden sollen. Aber es kam ein wenig anders als geplant. Der Brendel-Eleve
Till Fellner, der eigentlich „Polygon II“ von Johannes
Maria Staud spielen wollte, musste auf Schuberts Sonate Nr. 14 a-Moll
zurückgreifen, weil Staud wegen der Münchner Uraufführung
seiner Oper „Berenice“ nicht termingerecht mit der Komposition
fertig geworden war. Und Olga Neuwirth konnte wegen eines Motorrad-Unfalls
nicht die Feuertaufe ihres Stücks „Marsyas“ erleben,
das nach einer Satyr-Gestalt der griechischen Mythologie benannt
ist. Immerhin führte Beat Furrer, der sich nach langer Zeit
wieder einem Werk für Solo-Klavier zuwandte, das Publikum persönlich
in seine drei etüdenhaften Studien ein. Der Pianist Markus
Hinterhäuser, der im Vorfeld eng mit Furrer zusammengearbeitet
hatte, spielte mit Obertönen und Interferenzen, aber auch mit
dem asiatisch anmutenden Klangspektrum des präparierten Instruments,
das der Amerikaner John Cage für seine „Sonatas und Interludes“
fordert.
Unter der hohen Zahl der Debütanten – immerhin 21 der
54 Pianisten aus 18 Nationen traten erstmals beim Klavierfestival
auf – wagte sich mancher in Richtung Moderne vor. Da wurden
Werke von Bartók, Kurtág, Ligeti, Pärt und Schnittke
mit großer Selbstverständlichkeit in die Programmgestaltung
einbezogen. Das „Nischendasein“ der Neuen Musik, das
der Pianist Markus Hinterhäuser einen Tag vor seinem Auftritt
beklagte, spiegelte sich in den vergleichsweise kleinen Veranstaltungsorten.
Doch es war ebenfalls Hinterhäuser, der sich nach seinem Auftritt
im Harenberg City-Center angenehm von der Aufmerksamkeit der Zuhörer
überrascht zeigte. Die großen neuen Konzerthäuser
in Dortmund und Essen wurden natürlich als Spielorte einbezogen,
und es ist wohl ihnen zu verdanken, dass die Besucherzahlen des
Festivals nach Angaben der Veranstalter um zehn Prozent höher
liegen als im Vorjahr. Wenn Alfred Brendel, der in diesem Jahr mit
dem Preis des Klavierfestivals Ruhr ausgezeichnet wird, das Abschlusskonzert
in der Mülheimer Stadthalle spielt, haben rund 41.000 Besucher
60 Veranstaltungen in 14 Städten erlebt.