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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 30
53. Jahrgang | September
Jeunesses Musicales Deutschland
Gott des Windes blies im Gärtnerhaus
Uraufführungen für Bläsertrio beim Hohenloher
Musikfest
Äolus, der altgriechische Windgott, stattete dem Musikfest
auf Schloss Weikersheim im Rahmen des Hohenloher Kultursommers am
Samstag, dem 3. Juli, einen Besuch ab. Auf Einladung der Jeunesses
Musicales Deutschland (JMD) brachte das renommierte „Aeolian
Trio“ fünf allerneueste Kompositionen für die seltene,
aber sehr aparte Besetzung von Flöte, Oboe und Fagott zur Uraufführung.
Die Amerikanerin Carin Levine (Flöte), der Neuseeländer
Peter Veale (Oboe) und der Franzose Pascal Gallois (Fagott) zählen
zu den international führenden Interpreten zeitgenössischer
Musik und setzen mit ihrem „Aeolian Trio“ in der Szene
beachtete Akzente.
Zusammen mit der JMD und dem Bärenreiter Verlag Kassel hatten
sie einen internationalen Kompositionswettbewerb ausgeschrieben,
um brandneue Werke für die spezielle Kombination der drei Holzblasinstrumente
zu motivieren. Aus den zahlreichen Einsendungen aus aller Welt wählte
eine Jury die fünf Stücke aus, die nun in Weikersheim
erstmalig öffentlich erklangen. In einem von der JMD ausgerichteten
mehrtägigen intensiven Workshop hatten die Interpretationen
zuvor gemeinsam mit den anwesenden Komponisten ihren letzten Schliff
bekommen. Der SWR zeichnete dieses Konzert in seiner Reihe „ars
nova“ auf (Sendetermin: 16. September, 23 Uhr SWR 2).
Mit dem ersten Stück des Abends huldigte die Koreanerin Joon-Hye
Suk (Jahrgang 1974) dem „Siddharta“. Scheinbar durchgehend
von äußeren Eindrücken inspiriert, entstand ein
ruhiges, metrisch freies Klangbild, in dem zwischen leise hauchenden
Flötentönen, schluchzenden Oboen- und knarrenden Fagottklängen
Assoziationen an Windharfen aufkamen und das weithin auch mikrotonal
verformte Tonmaterial im ständigen Dialog der Instrumente mannigfaltige
„Biegungen“ im Wind der Holzbläser beschrieb.
„Echoes of Light“ von Frank Zabel (Jahrgang 1968)
arbeitete mit erkennbarer „kammermusikalischer“ Handschrift.
Bläserische Spielfiguren, polyphone und akkordische Strukturen,
prägnante Rhythmen und sangliche Solostellen, akzentuierte
„Einsätze“, das Prinzip von Haupt- und Begleitstimmen
– dies alles waren jene „Echos“ von Bekanntem,
die da immer wieder aus einem durchaus befremdlich anmutenden, aber
sehr instrumentenspezifisch aufgefassten Gesamtbild eines großen
Formbogens hervor blitzten.
Sven Ingo Koch (Jahrgang 1974) fand mit seinem Stück „er
schaut die Schlange an“ eine musikalische Beschwörung
jenes lähmenden, aber doch Bewusstseins-wachen Augenblicks
vor dem drohenden Biss. Aggressive Fortissimo-Ausbrüche der
Instrumente, schrille Dissonanzen, multiphonische Klänge, alles
verdichtet zu einem streng geordneten rhythmisch-motivischen Gewebe,
das am Ende resignativ zerflattert.
Dominik Sustek (Jahrgang 1977) führte mit seiner Komposition
„Innenspur“ in ein mosaikartiges Gewebe aus Tönen,
Akzenten, Geräuschen, Aktionen, Mehrklängen, motivischen
„Kulissen“. Auf der immer wieder vergeblichen Suche
nach Beziehungen blieb dem Zuhörer nur das Verfolgen der Spur
durch das Kontinuum, das brüchig wurde und abriss. Danach einsetzende
Staccato-Strukturen ließen den Faden nicht mehr wieder auffinden.
Seine Komposition „Magma/Äther“ bezeichnet der
Ungar Peter Köszeghy (Jahrgang 1971) selbst als „geknetete
Masse“. Ein gewollt hörfeindliches Gesamtbild, gespeist
von kakophonischen Eruptionen, wirren Virtuositäten und qualvollen
Exzessen war das Ergebnis allerhöchster Anforderung an die
Lesefertigkeit und Spieltechnik der Instrumentalisten, die im Mittelteil
in rhythmisch konstruierte Ruf- und Schreiorgien auszubrechen und
am Ende gar instrumentale und vokale Würgelaute zu gestalten
hatten.
Insgesamt künden die fünf Preisträger-Stücke
von der auch im breiteren Gesichtsfeld zu beobachtenden neuen Innerlichkeit
zeitgenössischen Komponierens – übrigens schon an
den Titelgebungen tendenziell ablesbar. Mit Ausnahme vielleicht
des ersten, mehr impressionistisch inspirierten Werkes erzählen
die Komponisten hauptsächlich von sich, geben einer sensiblen
Innenwelt Ausdruck und demonstrieren deren Verletzlichkeit in allen
Nuancen von zartem Säuseln bis hin zum quälenden Angriff
auf die Hörtoleranzen des Publikums.
Sicher war es für manchen Besucher dieses Konzerts, der sich
im Gesamtprogramm des Hohenloher Musikfests auf einen Abend reinen
Musikgenusses eingestellt hatte, eine heftige Begegnung mit der
zeitgenössischen Musik. Doch bot gerade der ästhetische
Kontrast mit dem barocken Gärtnerhaus-Saal im sommerlichen
Schlosspark ungewohnte Sinneseindrücke. Und so werden die Besucher
dieses zweifellos exzeptionellen Konzerts mit solcherart „wind-
und luftgespülten“ Ohren auch Mendelssohns anschließend
im Schlosspark gebotenem „Sommernachtstraum“ zu Shakespeare
Schauspiel ganz anders gehört haben, bevor mit pfeifenden und
jaulenden Raketen und dem Donnerhall vielfarbig aufplatzender Feuerwerkskörper
am nächtlichen Himmel über dem barocken Park Äolus
vollends besänftigt wurde.