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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 30
53. Jahrgang | September
Jeunesses Musicales Deutschland
Scheiredrescher, Sandlicht – und Satie geleast
ConceptArt-Konzert der Weikersheimer Stadtkomponistin Babette
Koblenz
Die Uraufführung eines einzigartigen Werkkontextes und eine
neue Dimension des Hörens erlebte im Juli das Publikum der
Stadthalle Weikersheim. Für die insgesamt über 50 Musiker,
die Babette Koblenz für ihr ConzeptArt-Konzert begeistert hatte,
war bereits der musikalische Entwicklungsprozess ein einziges Abenteuer
gewesen. Sommerregen verhinderte, dass die Performance wie geplant
im Schlosshof stattfand, wo der Förderdreiklang von Land Baden-Württemberg,
Stadt Weikersheim und Jeunesses Musicales Deutschland, der das Projekt
Stadtkomponist ermöglicht, deutlicher sichtbar geworden wäre.
Der erste Ton kam von der Big Band, unsichtbar im Hintergrund:
Eingangsperformance aus der Tiefe des Raumes, Bläserdialog
dann von vorn, von hinten. Aus Hermann Lücks Musical „Gnome“
spielten die BIZ-Oldies den ersten musikalischen Gruß aus
Weikersheim, gefolgt von Nat King Coles singender „Route 66“,
die den Weg zu den vielfältigen musikalischen Klangorten wies.
In seiner ganz eigenen, leisen pianistischen Klangart antwortete
Eric Satie – ausgeführt von Maria Miller-Pflüger,
worauf wiederum Babette Koblenz mit der Komposition „Sandlicht“
reagierte: Das aparte Duo von Viola und Akkordeon ließ ein
Leuchten über die Schlossmauern sirren, da fängt sich
Licht im Weinberg, im Spinnwebgeflecht des Hexengartens, zwischen
Renaissance, Barock und Gegenwart ein Alchimistenlicht, Sandwind
über quirlendem Markt, Asphalt, Split, Industrie und Handwerk.
Dann klingt Historie: Archangelo Corelli, „Largo affettuoso“:
Melanie Tolk und ihre Schüler führen in so klar erscheinende
Vergangenheit – und wechseln nahtlos über zum Kartengruß
der Gegenwart von Babette Koblenz, zur intensiven Gegenrede der
Komponistin an den Komponisten, die im Dialog mit Satie gleichsam
eine Doppelbelichtung losschickt, deren Versen Manfred Birkhold
als Bariton seine Stimme leiht, von Beate Opphold an der Klarinette
virtuos unterstützt. Dann „Sandlicht“ zweiter Teil
– dicht gepackte Klangwelt der Komponistin, die den Ausführenden
viel abverlangt mit klanglich und rhythmisch schwierigen Passagen
und Temposprüngen.
„le nuove musiche“, Dirk und Regine Hangstein mit
Sopranblockflöte und Gambe und Peter Ammer am Continuo: Da
sind die feinen Damen aus dem Schlosspark unterwegs, gar fein beschaulich
– und hintergründig kokett. Die drei Musiker haben sie
hergezaubert. Husch, vorbei der Raub: Tamara Krüger glänzt
mit Rybalkins „Moment musical“, gefolgt von Steffen
Zeller, Maria Miller-Pflüger und Gerhard Fink, die eine Montage
aus Saties Gnossienne 1/3 und Gymnopédie 2 in der Koblenz-Bearbeitung
„Satie geleased“ bravourös an drei Klavieren gestalten:
Satie fein, mit kräftigen Einwürfen.
Dass sich daran die derben „Scheiredrescher“ mit ihren
a cappella-Ausflügen zu Erasmus Widmann, Oswald von Wolkenstein
und Passereaus’ „Il est bel et bon“ so fein, so
passend, so elegant würden anschmiegen können –
wer hätte das gedacht? Umgestrickt hat Koblenz ihnen mit „Le
Grand Duc“ dazu ein Stück auf den Leib geschrieben, das
beim Publikum für ausgelassene Heiterkeit sorgte: „W
i r sind schön, w i r sind gut!“ Vom Markt mit seinem
Umtrieb führt der Posaunenchor hinüber zu Weikersheims
Stadtkirche – mit der ergreifenden Weise „Schon bricht
des Tages Glanz“ – um alsdann eine weitere Postkarte
an Satie zu senden: Treibend, dicht, eng verwandt dem, was als „Sandlicht“
nur Viola und Akkordeon umsetzen konnten, jetzt als Posaunenfanal
vom Turm. Einzigartig „Karavan“, von Koblenz für
drei Klaviere zur Gnossienne 1 entworfen – dann aufgenommen
von zwei Posaunen, einem Tenorhorn. Als romantischer Akzent erklingt
der erste Satz aus dem 1876 entstandenen Klavierquartett von Gustav
Mahler.
Und dann, nach neuerlicher Post an Satie, Babette Koblenz’
ganz persönlicher Appell zur Rückerstattung des aus der
Weikersheimer Georgskirche kürzlich geraubten Engels: Die Komponistin
mischt sich mit Klavier und Stimme in Saties Gnossienne 3. Susan
Moschüring leiht dem verschollenen Engel die englische Stimme.
Was da durch die Stadthalle schwingt, ist kaum noch zu fassen in
Worten. Eine Stecknadel hätte man gehört, wäre sie
zwischen die Töne gefallen.
Das Konzert war „nur“ der Höhepunkt – das
Eigentliche, das, was in Weikersheim noch lange nachhallen wird,
das ist der Weg, auf den sich die einzelnen Gruppen mit der Stadtkomponistin
gemacht haben. Der Hamburger Komponistin gelang es, so unterschiedliche
Gruppierungen zusammenzuführen, für sie und etliche einzelne
Musiker, Lehrer und Schüler der Musikschule Hohenlohe ein Gesamtwerk
zu entwickeln, in dem alle zusätzlich zur eigenen Musizierpraxis
ganz neue musikalische Erfahrungen sammeln konnten. Anfänglich
vorhandene Berührungsängste brachen auf, die Laienmusiker
fassten den Mut, sich auf die Zusammenarbeit mit einer anerkannten
Komponistin einzulassen. Was den Weikersheimer Stadtvätern
zunächst doch als eher elitäres Projekt erschienen war,
geriet zum mitreißenden Aufbruch zu neuen Ufern, zu einem
Aufbruch vieler, die sich zuvor kaum je so intensiv gegenseitig
zugehört hatten. Acht Stücke speziell für das Musikpostkarten-Konzert
hat die Stadtkomponistin geschrieben, nicht gerechnet die Stücke,
die auf dem Weg zur Uraufführung wieder verworfen wurden.
Welcher Musikverein wird je im Lauf seiner oftmals langen Geschichte
von einem anerkannten Komponisten so ernst genommen, dass der oder
die ihm ein eigenes Stück regelrecht auf den Klangleib schreibt?
Wie, ohne das von der JMD und der Stadt Weikersheim durchgeführte,
von der Landesstiftung geförderte Projekt Stadtkomponist, wäre
Derartiges jemals in diesem kleinen Städtchen an der Tauber
realisierbar gewesen? So verstanden ist die umstrittene Förderung
von Eliten – Koblenz, die unter anderem die Musik zur Eröffnung
der Wehrmachtsausstellung komponierte, in München und Hamburg
als sehr kreative und produktive Musikschaffende große Erfolge
hatte, auch international etliche Preise gewann, gehört sicherlich
dazu – ein wesentlicher Beitrag zur kulturellen Entwicklung
und Zukunftsgestaltung.