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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 28
53. Jahrgang | September
Jugend musiziert
Sternstunden in einem Traumorchester
Das Bundesjugendorchester absolvierte seine 101. Arbeitphase
Dreimal jährlich kommt das Bundesjugendorchester, ein Förderprojekt
des Deutschen Musikrats, zu seinen Probenphasen zusammen. Jedes
Mal werden mit neuen Dirigenten und (teilweise) neuen Mitgliedern
neue Werke erarbeitet. In diesem Sommer war Blossin, ein kleines
Örtchen in der Umgebung von Berlin, Schauplatz des zweiwöchigen
Musikzaubers. Unter der Leitung von Eiji Oue erarbeitete das Bundesjugendorchester
dort in seiner 101. Arbeitsphase Werke von Henze, Bernstein und
Strawinsky. Ein Bericht von Marion Gut.
Das Orchester und sein Dirigent:
Eiji Oue steht rechts oben vor dem Konzerthaus am Gendarmenmarkt.
Foto: Sönke Lentz
„9.30 Uhr Henze, 11.00 Uhr Bernstein 13.00 Uhr Mittagessen,
15.00 Uhr Strawinsky 18.30 Uhr Abendessen, 20.00 Uhr Kammermusikabend“
– so kann er aussehen, ein „ganz normaler“ Probentag
aus der Arbeitsphase des Bundesjugendorchesters. Aber von Normalität
ist dort nichts zu spüren. Jedes Mal verschieden, jedes Mal
besonders sind für die Mitglieder des Bundesjugendorchesters
diese Arbeitsphasen. Und dieses Mal macht es vielen außergewöhnlich
viel Spaß. Begeistert ist auch Thorsten Gellings, seit vielen
Jahren Schlagzeuger im BJO: „Eiji Oues Art die Musiker mitzureißen
und zu begeistern ist wirklich einzigartig. Er schafft es, uns zu
motivieren und alles zu geben. Diese Arbeitsphase gehört zu
meinen Besten im BJO“.
Und dem schließen sich alle an. Betritt Eiji Oue das Podest,
kommt er vor lauter Jubelrufen zunächst gar nicht zu Wort.
Taucht er abends unerwartet auf einer Party auf, ist er der Mittelpunkt.
Ein aufgeweckter Japaner, Energie versprühend bis zum letzten
Ton, bis zum letzten Wort und bis zur letzten Runde. Die Orchestermitglieder
unterhalten sich mit ihrem Dirigenten auf Englisch. Auch die Proben
finden auf Englisch statt. Nur die Taktzahlen, die schleudert Oue
dem Orchester schnell und präzise auf deutsch entgegen. Doch
alle sind aufmerksam. Verpasste Einsätze kommen selten vor.
Alle sitzen auf der Stuhlkante und wollen jeden Ton, jede Musikminute
mit ihrem Dirigenten auskosten.
Auch Oue selbst ist enthusiastisch. Es macht ihm sichtlich Spaß.
Mit Lob spart der Bernstein-Schüler nicht. „It’s
fantastic, it’s great“ – und selbst wenn man manche
amerikanische Übertreibung abzieht, merkt man, dass er tatsächlich
begeistert ist. So sagt er: „Sie machen manchmal Fehler, aber
das ist egal. Wichtig ist, dass sie in jedem Moment hier sein wollen.
Sie wollen Musik machen und das ist der Unterschied zu der Routine
in vielen Profiorchestern“. Dass Eiji Oue das Orchester während
der Probephase für zwei Tage verlassen muss, gefällt manchem
Orchestermitglied weniger. Doch Lorenz Nordmeyer, sein Assistent,
führt die Proben weiter. Feilt an dem, wo der Maestro selbst
noch nicht arbeiten konnte, arbeitet still und präzise und
trägt so zu der Reifung des Programms entscheidend bei.
Nach zwei Wochen Einzel- und Tuttiproben heißt es dann Abschied
nehmen von Blossin. Auf geht es zu Konzerten im barocken Ambiente
der Galerie in den Herrenhäuser Gärten in Hannover, in
der „Konzertscheune“ in Salzau, im Kurort Bad Kissingen
und zum Abschluss in der Hauptstadt. Einmal quer durch Deutschland
in sechs Tagen! Auf Schloss Salzau beim Schleswig-Holstein Musik
Festival kommt es zu einer „Wiedervereinigung“ mit einer
alten Bekannten, der „Deutschen Stiftung Musikleben“.
Diese hat – mit Irene Schulte-Hillen an der Spitze –
auch diesmal mit finanzieller Unterstützung zum Gelingen der
Arbeitsphase beigetragen hat und war für die Organisation des
Salzauer Konzertes federführend.
Doch auch diese Tournee nähert sich schnell ihrem Ende. Das
letzte Konzert findet im Berliner Konzerthaus im Rahmen des Festivals
„Young Euro Classic“ statt. Viele Mitglieder werden
nach diesem Konzert das Orchester verlassen, werden ihr Studium
aufnehmen – sei es Geige oder Jura – und neue werden
dafür nachrücken.
Bei der Zugabe fliegen Blumen ins Publikum, die Solisten stehen
auf, Celli drehen sich, und jugendlicher Übermut springt über.
Davor lässt das Orchester den „Mänadentanz“
von Henze explodieren, verzaubert mit Leonard Bernsteins „Symphonischen
Tänzen“ aus der „West Side Story“ das Publikum
und zieht es mit „Le Sacre du printemps“ von Igor Strawinsky
in seinen Bann. Klaus Geitel schreibt in der Berliner Morgenpost:
„Vielleicht hat Strawinsky sein Bäume ausreißendes
Meisterwerk wirklich und wahrhaftig im Geiste für ein solches
Traumorchester geschrieben“. Warum nicht?!