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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 13
53. Jahrgang | September
Kulturpolitik
Die Fäden auffangen und weiterspinnen
Gespräch mit Ingeborg Krause und Christoph Poppen, ARD Musikwettbewerb
Zum 53. Mal versammelt der Internationale Musikwettbewerb der ARD
den musikalischen Nachwuchs aus aller Welt in München, und
wie schon in den Jahren zuvor war der Andrang groß: 342 Bewerber
aus 43 Ländern und fünf Kontinenten hatten sich angemeldet,
was sicherlich nicht allein auf den Umstand zurückzuführen
ist, dass die Preise in den vergangenen Jahren um einen erklecklichen
Betrag angehoben werden konnten. Auch ansonsten hat sich vieles
verändert, seit der Wettbewerb im Jahr 2001 eine neue Leitung
gefunden hat. Christoph Poppen, der als Dirigent, Solist und Kammermusiker
gleichermaßen Maßstäbe gesetzt hat, will den Wettbewerb
als künstlerischer Leiter vermehrt zu einem Zentrum der musikalischen
Begegnung machen. Unterstützt wird er dabei von Ingeborg Krause,
die nach langjähriger Tätigkeit für „Jugend
musiziert“ die Organisation übernommen hat. Thomas Koppelt
sprach mit den beiden über die Erfahrungen der letzten Jahre
und die wichtigsten Neuerungen des Wettbewerbs.
nmz: Viele Menschen machen ihre Leidenschaft zum Beruf.
Bei ihnen, Frau Krause, verhält es sich umgekehrt. Krause: So kann man es sagen. Die Musik ist für mich
erst im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit sehr wichtig geworden.
nmz: Sie stand jedenfalls nicht am Anfang ihres beruflichen
Werdegangs. Nach dem Schulabschluss haben sie eine kaufmännische
Ausbildung absolviert und waren fünf Jahre bei der Industrie-
und Handelskammer tätig. Nun sind sie die organisatorische
Leiterin eines bedeutenden internationalen Musikwettbewerbs. Was
ist passiert? Krause: Ich habe Glück gehabt. Im richtigen Moment kam
das richtige Angebot und ich habe zugesagt. 1966 ging ich von Regensburg
nach München, von der Industrie- und Handelskammer zur Bundesgeschäftsstelle
des Wettbewerbs „Jugend musiziert“. Und nach 35 Berufsjahren
kam das Angebot, zusammen mit Herrn Poppen als künstlerischer
Leiter den Internationalen ARD-Wettbewerb zu organisieren, als Bonbon
am Ende eines beruflichen Lebens, das ich gerne angenommen habe.
Wer isst nicht gerne Süßigkeiten?
nmz: Was hat Sie daran gereizt, die Organisation des ARD-Wettbewerbs
zu übernehmen? Krause: Seine Bedeutung auf der internationalen Ebene. Nach
wie vor ist er wohl weltweit der größte Musikwettbewerb
mit den meisten Kategorien und wird als einer der wichtigsten Wettbewerbe
angesehen. Poppen: Insofern, als es keinen Wettbewerb auf diesem hohen
Niveau auf der ganzen Welt gibt, der so viele Instrumente abdeckt.
Wir haben zurzeit 18 verschiedene Kategorien. Daraus ergeben sich
nicht nur logistische Probleme, sondern auch ein Identitätsproblem.
Die meisten anderen großen Wettbewerbe können sich auf
wenige Aspekte und Instrumente konzentrieren. Es liegt aber ein
besonderer Reiz darin, Brücken zwischen den diversen Disziplinen
zu schlagen. So besitzt dieser Wettbewerb ein Potenzial, wie kein
anderer auf der ganzen Welt.
Erfahrung Nachwuchsarbeit
Der künstlerische Leiter
Christoph Poppen. Fotos: ARD Musikwettbewerb
nmz: Auch Sie, Herr Poppen, haben langjährige Erfahrungen
in der musikalischen Nachwuchsarbeit gesammelt. Sie hatten Professuren
für Violine und Kammermusik in Detmold und Berlin inne, waren
von 1996 bis 2000 Rektor der Hochschule für Musik „Hanns
Eisler“ in Berlin und lehren seit vergangenem Jahr an der
Hochschule für Musik und Theater in München. Inwieweit
können Sie diese Erfahrungen als künstlerischer Leiter
in den Wettbewerb einbringen? Poppen: Mein künstlerisches Leben findet eigentlich
auf der Bühne statt. Ich habe jahrelang als Geiger gewirkt
und bin jetzt hauptsächlich als Dirigent tätig, darin
sehe ich meine Hauptaufgabe, das ist meine Leidenschaft. Wenn ich
darüber hinaus einen entscheidenden Anteil meiner Zeit immer
wieder pädagogischen Aspekten widme, so tue ich dies deswegen,
weil ich der festen Meinung bin: Wir aktiven Musiker müssen
Verantwortung für die Zukunft der Musik übernehmen. Und
das ist letztlich das, was ein Wettbewerb in mehr oder weniger direkter
Weise leisten kann. Wir müssen uns überlegen, welche Künstler
wir fördern wollen, welcher Typus des Musikers uns für
die nächsten Jahrzehnte wichtig zu sein scheint.
Diese Auswahl können wir indirekt stark beeinflussen.
nmz: Wie sieht der Musiker der Zukunft aus, den Sie zu fördern
versuchen? Poppen: Ich glaube, dass der Typus des „Virtuosen“,
des mit Selbstdarstellung behafteten Künstlers, der lange Zeit
gepflegt wurde, keine große Zukunft hat. Diesen Typ, dem es
auch darum geht, sich die Musik selber zunutze zu machen, um sich
durch sie zu präsentieren, stellen Wettbewerbe leicht in den
Vordergrund, da man Virtuosität wohl noch am ehesten messen
oder vergleichen kann. Es gibt heute glücklicherweise viele
hochbegabte und weit entwickelte junge Instrumentalisten und Sänger
auf der ganzen Welt. Wenn man sich aber ansieht, wer sich im Beruf
längerfristig durchsetzt, so sind dies stets Musiker, die einen
weiten Überblick über die Möglichkeiten eines Künstlers
und über das Leben an sich besitzen. Wir brauchen heute Musiker,
die in einer Weise mit Musik umgehen, die weit über Entertainment
auch im höchsten Sinne hinausgeht. Wir brauchen Künstler,
die die Welt so erkennen wie sie ist, mit all ihren Problemen, und
die die Musik als ein Medium verstehen, das die Menschen auf der
ganzen Welt zusammenführen kann. Dazu gehört eine große
Offenheit und Kommunikationsfähigkeit. Ich glaube, dass ein
junger Musiker, der heute Karriere machen will, im äußeren,
aber vor allem auch im inneren Sinne ein Künstler sein muss,
der kommunikativ ausgebildet wird. Und deswegen ist alles, was dieser
Kommunikation dient, hilfreich für seine weitere Entwicklung.
nmz: Deshalb haben sie einige Neuerungen innerhalb des
Wettbewerbs eingeführt, die darauf hin zielen, Gemeinschaftsgefühl
und Kommunikationsbereitschaft unter den Teilnehmern zu stärken.
Poppen: Ja, dazu zählt beispielsweise unsere Idee,
die meisten Instrumente im Semifinale in Kammerorchestern ohne Dirigenten
spielen zu lassen. Eine weitere entscheidende Neuerung ist, dass
wir versuchen, mit den Künstlern über den Wettbewerb hinaus
Kontakt zu halten, zum Beispiel im Rahmen von Kammermusikfesten,
bei denen wir Künstler unterschiedlicher Disziplinen zusammenführen.
Zu diesen Kammermusikfesten, die in Elmau stattfinden und dann in
verschiedene Städte weiter wandern, namentlich auch nach München
und Berlin, laden wir auch Musiker und Juroren früherer Wettbewerbe
ein, sodass sich dort verschiedene Künstlergenerationen begegnen.
Die jungen Musiker nehmen diese Impulse sehr aktiv auf, aber jeder
macht etwas anderes daraus: Manche erleben diese Erfahrung als vorübergehende
Beglückung, andere greifen die Fäden, die ihnen in die
Hände fallen, auf und spinnen sie weiter.
Moderate Reformen
nmz: Dies sind nur einige der Innovationen, die Sie einmal
als „moderate Reformen“ umschrieben haben, die aber
doch weitreichende Auswirkungen auf den Charakter des Wettbewerbs
haben. Poppen: Ja, wir haben die gesamte Struktur des Wettbewerbs
verändert. Wir sind von einer Gesamtanzahl von fünf Disziplinen
pro Jahr auf vier Disziplinen herab gegangen, weil wir der Meinung
waren, damit quasi 25 Prozent Qualitätssteigerung bieten zu
können. Das hatte zur Folge, dass wir bestimmte langjährige
Rhythmen für verschiedene Instrumente ausgearbeitet haben,
die zwischen drei und sechs Jahren variieren. Wir haben in allen
Disziplinen Tonbandvorrunden eingeführt, sodass sich das Publikum
darauf verlassen kann, dass der Wettbewerb vom ersten Tag an auf
einem sehr hohen Konzertniveau stattfindet. Außerdem versuchen
wir alles, um die Kreativität der jungen Künstler zu stimulieren.
Seit mehreren Jahren vergeben wir für den Wettbewerb Auftragskompositionen
an bedeutende Komponisten, in diesem Jahr beispielsweise an Heinz
Holliger und Wolfgang Rihm. So fordern wir die jungen Künstler
dazu heraus, sich in kreativer Weise mit der Musik unserer Zeit
auseinanderzusetzen. Dies betrifft auch die gesamte Repertoireauswahl,
durch die wir weniger eine „gedrillte Virtuosität“,
sondern vielmehr die künstlerische Ausdrucksfähigkeit
in den Vordergrund stellen wollen.
Karrieresprungbrett
nmz: Für viele heute weltberühmte Musiker wirkte
eine Auszeichnung beim ARD-Wettbewerb als Karrieresprungbrett. Dennoch
warnen Sie davor, die Bedeutung eines Wettbewerbs für die Entwicklung
junger Künstler zu überschätzen. Poppen: Wir machen immer wieder die gleiche Beobachtung:
Ein Wettbewerb kann für junge Musiker eine Chance sein, aber
letztlich liegt es in der Hand des Einzelnen, was er daraus macht.
Dies gilt sowohl für die Preisträger, als auch für
diejenigen, die leer ausgehen. Ich glaube, man kann allein durch
die Teilnahme an einem Wettbewerb sehr viel lernen und erreichen,
selbst wenn man nicht ins Finale vordringt. Krause: Das Wesentliche für junge Menschen, die an einem
Wettbewerb teilnehmen, ist es, sich selbst kennen zu lernen und
sich zu fragen: Wo stehe ich? Bin ich gut genug? Kann ich den Anforderungen
standhalten? Manche Teilnehmer überschätzen sich, was
allzu menschlich ist. Auf der anderen Seite erlebt man immer wieder,
dass junge Menschen mit einem Preis nach Hause fahren und selbst
völlig überrascht darüber sind. Beides ist möglich.
Ein Preis kann für die Karriere sehr hilfreich sein. Aber ich
denke, dass junge Musiker, die das entsprechende Potenzial haben,
sich auch ohne Preis durchsetzen werden.