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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 4
53. Jahrgang | September
Magazin
Von zivilisatorischen Katastrophen
Kulturaustausch – was ist das, wozu braucht man ihn?
Sucht man im Internet nach Definitionen für „Kulturaustausch“,
stößt man relativ schnell auf eine Webseite mit dem klingenden
Namen „www.blutgraetsche.de“, die sich mit großem
Einsatz dem Fußballgeschehen der Republik widmet. Dort erfährt
man unter dem Stichwort „Kulturaustausch“ von einer
merkwürdigen Begegnung eines HSV-Anhängers in der Gästekurve
des Kaiserslauterner Stadions mit drei Japanern, die stolz ihre
T-Shirts mit dem Aufdruck „Miro Klose Fußballgott“
vor sich her tragen. Auf den verdatterten Hinweis, dass dies das
falsche Hemd sei, zumal beim HSV doch Naohiro Takahara, Japans berühmtester
Fußballexport, spiele, nicken und lachen die drei Japaner
nur, ihr Unverständnis auf sympathische Weise verbergend. Dabei
hatte der Hamburger Fan gar nicht so Unrecht.
Takahara löste bei seiner Ankunft in Hamburg ein mindestens
ebenso großes Medieninteresse in Japan aus wie der heutige
Bundestrainer Jürgen Klinsmann bei seinen Auftritten für
die Tottenham Hotspurs Mitte der neunziger Jahre in England. Damals
hatte der blonde Stürmer solch ungeahnte Sympathie-Wellen ausgelöst,
dass selbst erfahrene deutsche Kulturmittler sich fragten, wozu
ihre Arbeit eigentlich diene, wenn ihnen in Jahrzehnten nicht gelänge,
was ein Fußballer binnen weniger Wochen schaffe: Emotionen
entfachen.
Inzwischen zeigt sich allerdings, dass Stereotype doch hartnäckiger
sind als kurzfristige Sympathiewogen. Eine Umfrage in England ergab
in diesem Sommer, dass die überwiegende Mehrheit der Briten
trotz aller entgegengesetzter Nachrichten Deutschland immer noch
mit Autobau und einer florierenden Wirtschaft assoziiere. Und auf
der Beliebtheitsskala landet Deutschland – Klinsmann hin,
Kulturaustausch her – immer noch zuverlässig auf dem
letzten Platz. Eingefahrene Wahrnehmungsmuster lassen sich eben
nur sehr schwer beeinflussen.
Aber die Sympathiewerbung ist auch gar nicht die vorrangige Aufgabe
von Kulturaustausch. Wie könnte es andernfalls zusammenpassen,
dass Deutschland, einerseits, wie die amerikanische „Newsweek“
kürzlich vermeldete, der weltweit beliebteste Wirkungsort junger,
aufstrebender Künstler ist, andererseits immer noch mit einem
biederen Image zu kämpfen hat? „New German Art“
verkauft sich zur Zeit bestens in den USA und ändert doch nichts
daran, dass Amerikaner nach wie vor Adolf Hitler für den berühmtesten
Deutschen halten.
Seit den siebziger Jahren, als die erste Phase bundesdeutscher
Auswärtiger Kulturpolitik, die bis dato ganz im Zeichen der
Versöhnung und Vertrauensbildung im Ausland stand, zu Ende
ging, steht der Kulturaustausch in erster Linie im Dienste einer
besseren Völkerverständigung. Die staatliche Selbstdarstellung,
also die Vermittlung eines positiven, vielfältigen Deutschlandsbildes,
ist dagegen in den Hintergrund getreten und macht vor allem im vereinten
Europa nur noch wenig Sinn. Weder braucht man deutsche Kulturorganisationen
für den Deutschunterricht (dafür können die überall
vorhandenen Schulen schon selbst sorgen), noch bedarf es an inhaltlicher
Aufklärung durch staatliche Mittlerorganisationen.
Das heißt aber längst nicht, dass Kulturaustausch überflüssig
geworden ist. Ganz im Gegenteil. Aller wirtschaftlichen Vernetzungen
zum Trotz ist man sich in Europa kulturell längst nicht so
nahe gekommen, wie die europäische Anfangseuphorie in den fünfziger
Jahren hätte vermuten lassen. So ist der Anteil französischer
Filme in deutschen Kinos seit den achtziger Jahren von fast 20 Prozent
auf 1,7 Prozent gesunken. Um den deutschen Film ist es in Europa,
abgesehen vom Erfolgsfilm „Good Bye, Lenin“, nicht besser
bestellt. Sein Anteil an französischen Kinokassen ging in den
vergangenen Jahren gegen Null. Ein Trend, der sich für ganz
Europa feststellen lässt: Fast nur Hollywoodproduktionen locken
die Zuschauer grenzüberschreitend vom Fernsehschirm zur Kinoleinwand.
Die Zeiten, als halb Europa auf „den neuen Chabrol“
wartete, sind vorbei, und somit auch die Zeiten, als europäische
Filme den Europäern Geschichten aus dem Nachbarland nahe brachten
– in den Augen des deutschen Regisseurs Volker Schlöndorff
geradezu eine „zivilisatorische Katastrophe“.
Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auf dem Musikmarkt
feststellen. Der „Figaro“ unkte gar angesichts der bevorstehenden
Verschmelzung der Musikkonzerne BMG und Sony, dass es bald überhaupt
keine deutschen Sänger mehr im Ausland zu hören geben
werde, wenn sich Deutschland nicht zu einer ähnlichen Quote
durchringen würde wie Frankreich, wo 40 Prozent der im Radio
gespielten Songs nationaler Herkunft sein müssen. Eine Schutzmaßnahme,
die sich natürlich auch gegen deutsche Produktionen richtet.
Auch beim Literaturaustausch und sogar bei den gegenseitigen Sprachkenntnissen
sieht die Lage ähnlich aus – vom Englischen einmal abgesehen.
Wir brauchen also auch innerhalb Europas nicht weniger, sondern
mehr Kulturaustausch. Wir brauchen keinen Euro-Film, sondern mehr
Aufmerksamkeit für die kulturellen Produktionen der Nachbarländer.
Das ist nicht nur eine Frage des Marketings und des Vertriebs, sondern
auch eine Frage der Information über die Medien.
Grenzüberschreitende Fernsehsender gibt es, abgesehen von
Arte, Eurosport und einigen Erotiksendern, kaum. Auch europäische
Koproduktionen wie „Napoleon“, die ein großes
Publikum finden, bilden aus Kostengründen eine Ausnahme. Und
was Tageszeitungen und Wochenzeitschriften angeht, so sind sämtliche
Versuche, europaweit publizierende Medien ins Leben zu rufen, gescheitert.
„Die Europäer reden viel übereinander, aber wenig
miteinander“ beklagt der ehemalige Chefredakteur des Londoner
„Guardian“, Peter Preston, die fehlende Dialogkultur.
Ein Mangel, der auch eine gravierende politische Glaubwürdigkeitslücke
nach sich ziehe: „Die Union wächst, doch wo bleibt die
Presse, die sie zur Verantwortung zieht?“
Jeder weiß: Ein europäisches Publikum kann man genauso
wenig wie den europäischen Film im Labor kreieren. Aber das
erfolgreiche Erasmus-Programm – über eine Million Austauschstudenten
haben an diesem Hochschulprogramm teilgenommen – zeigt, wie
wirkungsvoll Kulturaustausch sein kann. Wenn es gelingt, Europa
in Schule und Hochschule durch integrierte Auslandsaufenthalte und
vielleicht auch etwas mehr Landeskunde im Fremdsprachenunterricht
erfahrbarer zu machen, sind wir schon ein ganzes Stück weiter.
Sebastian Körber
Sebastian Körber ist Chefredakteur der Zeitschrift für
Kulturaustausch, www.ifa.de/zfk/