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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 8
53. Jahrgang | September
Jazz, Rock, Pop
Museum für leichte Zeitgeist-Musik
Das Rock’n’Popmuseum Gronau eröffnete am 21.
Juli 2004
Europa hat nun sein erstes Rock- und Popmuseum. Seit 21. Juli 2004
können sich Besucher über Popmusik, Popkultur und Popidentität
informieren. Doch nicht Berlin, Hamburg oder München wurde
als Standort gewählt. Die westfälische Stadt Gronau sollte
es sein, nahe der niederländischen Grenze. Denn Udo Lindenberg,
oft missbrauchtes Kultur-Schutzschild und gebürtiger Gronauer,
darf als geistiger Vater des Museums bezeichnet werden. Mit Musikerkollegen
hatte er vor einigen Jahren die Idee, Popmusik ins Museum zu bringen.
Aber nicht nur um Devotionalien zu bestaunen, sondern auch mit dem
Anspruch neue Konzepte und Diskussionen in das Thema Musikvermittlung
zu bringen. So war es geplant.
Doch der Weg zur Eröffnung war kein leichter. Dreimal mussten
die Gronauer Museumsmacher um Geschäftsführer Andreas
Bomheuer den Eröffnungstermin verschieben. Schuld daran waren
Finanzierungsprobleme, technische Schwierigkeiten oder die Gronauer
SPD, die das Projekt, das sie einst mit abgesegnet hatte, wieder
stoppen wollte. Natürlich gab es für die Ruderaktionen
stichhaltige Gründe, denn in einer von der Marktwirtschaft
nicht gerade geküssten Stadt wie Gronau (46.000 Einwohner)
ein derartiges Millionenprojekt zu realisieren, bedeutet ein glasklares
Risiko. So musste die Stadt zirka zwei Millionen Euro für den
Umbau der Turbinenhalle aufbringen, in der sich das Museum befindet.
Insgesamt kostete der Bau zehn Millionen Euro, wobei sich das Land
und der Kreis beteiligten. Voraussichtlich muss die Stadt für
das Jahr 2004 weitere 900.000 Euro für das Museum aufbringen.
Das ist ein Prozent des städtischen Haushalts und in der Summe
das Vierfache dessen, was anfänglich vorgesehen war.
Dennoch scheint es der Stadt weiterhin geradezu unausweichlich
zu sein, in das Museum zu investieren. „Trotz mancher Planungsfehler
muss das ein Erfolg werden“, sagt etwa der Grüne Parteisprecher
Karl-Heinz Hoffmann-Hansen nach einem Bericht der taz, „denn
die Fördergelder könnte die Stadt doch gar nicht zurückzahlen“.
Zudem wirkt Gronau nicht wie eine Metropole, liegt scheinbar unerreichbar
im Niemandsland zwischen Münster und Holland. Man muß
also Akzente setzen und Kooperationen suchen um das Konzept der
Ausstellung („Zusammenspiel von Erlebnis und Information“)
mit einem unverwechselbaren Gronauer Profil zu versehen und zu verkaufen.
Schnell könnten sich bei handwerklich dilettantischer Arbeit
Nachahmer mit vielleicht potenterer Politik- oder Wirtschaftslobby
finden. Dann wäre Gronau wieder Gronau.
So wurde Konzept treu viel in die multimediale Besucher-Betreuung
gesteckt. Auf 800 m² wird der Besucher im High-Tech-Verfahren
an Popkultur vorbeigeführt oder zum Verweilen animiert: groß-
und breitflächige Videoleinwände mit Einspielungen bedeutender
Konzerte oder Trance artige Videocollagen empfangen den Besucher
in der zentralen Halle der Dauerausstellung. Im Zeitraffer werden
prägende Konzerte in die Halle projiziert. Eine erste Begegnung
mit vielen Stars der Popgeschichte.
Jene ist wiederum in Eckpfeiler beziehungsweise Collagenwände
unterteilt, hält zeitgeschichtliche Erinnerungsstücke
(Sounds, Filme, Plakate, Fotos) bereit oder offeriert mit Hilfe
hochmoderner Touchscreens mehrsprachige Informationen zur Epoche
(unter anderem Black Music, Mainstream der Achtziger, DDR-Popzusammenhänge,
Popkultur im Angesicht der NS-Diktatur, Elektronische Musik), soziokulturelle
Texte oder schildert Einflüsse auf und aus anderen gesellschaftlichen
Bereichen. Nebenbei sind kleine Anekdoten, Skandale und Musikbiografien
von Künstlern abrufbar und Schubladen zu öffnen, in denen
Exponate und dazu passende Sounds gelagert sind. Ferner gliedert
sich das Museum in Themenschwerpunkte wie „Emotionsbereich“
(sinnliche Erfahrungen) oder „Rhythmusbereich“ (der
Besucher kann an Rhythmus Stationen interaktiv verschiedene Rhythmen
anwählen und anschießend selbst spielen).
Gronau treibt bewusst einen großen Aufwand, Popmusik in ein
modernes, nicht staatlich verordnetes Gewand zu stecken. Dass der
Weg U-Musik neben E-Musik gleichwertig zu installieren noch ein
weiter ist, steht außer Frage. Doch die Gronauer Ambitionen
Schulklassen als Besucher zu locken und auch Lehrern Popkultur einmal
anders als auf dem Lehrplan näher zu bringen, scheinen eine
verführerische Idee. Allein die Umsetzung dürfte zumindest
aktuell noch Schwierigkeiten bereiten. Denn die vorhandenen und
„ausgestellten“ Pop-Epochen sind – fast wie beim
Schullehrplan – die plakativsten (Marlene Dietrich, Udo Lindenberg,
Beatles und so weiter). Schmerzlich vermisst man das Fehlen und
die exakte Aufarbeitung der jüngsten Jugend prägenden
Popbewegungen wie Techno, Rap, Hip-Hop oder Grunge, die leider nur
exemplarisch erwähnt werden. Hier fehlt eine Zeitschiene und
Geschichte, an der jüngere Besucher noch leibhaftig mitwirkten
und deren Auswirkungen bis 2004 reichen und selbst Eltern oder Lehrern
näher sein müsste als die Vorzeigemodelle Beatles, Stones,
Elvis oder Deep Purple. Ein wenig mehr Subpopkultur würde man
sich wünschen. Und mehr Platz für Phänomene wie die
deutsche alternative Popmusik der letzten fünf Jahre mit Künstlern,
die Deutsch als Muttersprache wieder entdecken.
Davon abgesehen könnte das Rock’n’Pop Museum
Gronau als Musikvermittlung und Bewusstseinserweiterung zwischen
Generationen und Popkultur funktionieren. Wenn alle involvierten
mitziehen: Politik, Wirtschaft, Lobbyisten, Phonoindustrie, Kulturträger,
Kreative. Vielleicht ist Gronau der letzte Strohhalm.