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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 41
53. Jahrgang | September
Bücher
Sphärenmusik oder „Verdrängung der Stille“?
Peter Handke lauscht Mozart, Madonna und Grillen: eine Anthologie
seiner Versuche über Musik
Peter Handke: Über Musik, mit Illustrationen von Amina
Handke, hg. und mit einem Nachwort von Gerhard Melzer (Libell
4), Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2003, 102 S., € 31,00,
ISBN 3-85420-623-2
Wo die Worte enden, da beginnt Musik – das besagt ein von
Musikern gern gehörtes Klischee. Doch auch der umgekehrte Weg
wurde seit der Romantik oft beschritten: Das „Unsagbare“
kommt zur Sprache. Kein Wunder, dass das jüngste Beispiel „musikalischer
Poesie“ von Peter Handke stammt, dem Mystiker unter den modernen
Autoren.
Musik und Klang sind seit jeher Mittel seiner poetischen Wahrnehmung
der Welt, für die der 61-Jährige am 28. September den
erstmals vergebenen Siegfried-Unseld-Preis erhält. Eine Anthologie
dokumentiert nun die musikalischen Reflexionen des Dichters –
von der legendären „Publikumsbeschimpfung“ (1966)
bis hin zu seinem zivilisationskritischen Roman „Bildverlust“
(2002).
Nicht nur die Sprache, auch das Hören erschließt die
Welt. So möchte der Herausgeber Gerhard Melzer die Beziehung
des Dichters zu Musik und Klang verstanden wissen. Die Zusammenstellung
von Handkes akustischen Assoziationen zeigt den Dichter als Virtuosen
des beredten Hörens. Sein Medium ist nicht nur die Stille,
sondern auch die ebenso häufig beschworene Jukebox –
Handkes musikalische Welt umfasst Klang und Krach, Mozart, Madonna
und das Zirpen der Grillen. In Handkes Ohren sind kirchliche Litaneien
und die Chöre der Fußballfans gleichermaßen bedeutsam.
So hieße der Band besser „Über das Hören“.
Doch auch Offenbarungen über Musik im engeren Sinne darf der
Leser lauschen.
Die scheinbar schönste lautet: „Die Musik, selbst die
zarteste, empfinde ich oft als eine ungehörige Übersetzung
oder gar Überschreitung oder gar Verdrängung der Stille.“
Das klingt wie ein romantischer Aphorismus, ist aber auch Ausdruck
eines „Zwiespalts“ im Klangerleben des Schriftstellers.
Die „nichts und alles bedeutende“ Musik kann nicht nur
„Himmelsleiter“ sein wie das Grillenkonzert (wohl Handkes
Lieblingsmusik), sondern auch „Idiotenmusik“ (wie Tschaikowskis
„capriccio italien“). Noch schlimmer – auch verlogene
Musik wird zitiert: In „Mein Jahr in der Niemandsbucht“
entpuppt sich der Tenorsolist des Kirchenchors, der dem Erzähler-Ich
im Kindesalter Wonnen der Ergriffenheit, aber auch Momente peinlicher
Beklemmung bescherte, als einstiger „Herold Großdeutschlands“
– Musik als Heuchelei?
In Handkes Verhältnis zur Musik scheint das „Missbehagen“
die Behaglichkeit zu überwiegen. Selbst der Vogelgesang könne
so „tagtraumzerstörerisch“ wirken wie das Klingeln
des Telefons. Die „Musik der Sphären“ schreibt
der hellhörige Dichter daher lieber selber: In Handkes Werk
klingt das nach „Kindheitssummen“, aber auch nach dem
„Tönen der Sterbestunde“. Sein musikalisches Brevier
zeigt ihn somit als den Letzten aller Spätromantiker: Die Welt
ist ihm ein unendlicher Klang „aus der Ferne“, der vielleicht
bedeutet, man werde „nie mehr heimkehren“.