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nmz-archiv
nmz 2004/09 | Seite 42
53. Jahrgang | September
Noten
Spurensuche von Lucca bis Chicago
Puccinis einzige Messe in Kritischer Neuausgabe
Giacomo Puccini: Messa a 4 voci con orchestra, Kritische
Neuausgabe 2004, Carus 40.645
Die von Carus vorgelegte Kritische Neuausgabe von Giacomo Puccinis
einziger Messe, der „Messa a 4 voci con orchestra“,
ist die erste Ausgabe, die sich konsequent auf die originale Partitur
des Komponisten stützt. Die dadurch transparent werdende Editions-
und Werkgeschichte führt zu erheblichen Abweichungen vom bisher
gewohnten Notentext. Darüber hinaus lädt sie dazu ein,
von einem etwas anderen Ausgangspunkt den Blick auf Puccinis Lebenslauf
und seine Kompositionsweise zu richten – sich dem Opernkomponisten
anhand einer Sakralkomposition zu nähern.
Die als „Messa di Gloria“ bekannte Komposition ist
das erste größere Werk Puccinis und zugleich das umfangreichste
außerhalb seiner Opern. Als es der 21-jährige Puccini
im Sommer 1880 wie eine Art Gesellenstück abschloss, stand
er am Ende seiner Schulzeit und sollte wie die lange Reihe seiner
Vorfahren vor Ort Kirchenmusiker werden. Dementsprechend fand die
Uraufführung der Messa während eines Gottesdienstes am
12. Juli 1880 statt. Doch bald darauf verließ Puccini einem
ganz anderen Traum folgend seine Heimatstadt Lucca, die Vision vor
Augen, Opernkomponist zu werden. Als solchem fehlte es Puccini,
wie der Herausgeber der Messa, Dieter Schickling anmerkt, nicht
an „distanzreicher Selbstironie“, ließ er doch
zwei Sätze der Messa geschickt in spätere Opern einfließen:
das Kyrie in „Edgar“ (1885–1889), das Agnus Dei
in „Manon Lescaut“ (1889–1892).
Der Erfolg als Opernkomponist ließ allerdings quälend
auf sich warten, sodass Puccini mit der Bearbeitung älterer
Stücke begann, um eventuell wenigstens diese aufgeführt
zu wissen. Dabei unterzog er auch die Messa einer Überarbeitung,
deren Spuren in der autographen Partitur zu sehen sind. Als jedoch
„Manon Lescaut“ überraschend zu einem großen
internationalen Erfolg wurde, ließ Puccini die Überarbeitung
ruhen. Der Durchbruch war erfolgt, der Grundstein für Bekanntheit
und Ruhm als Opernkomponist gelegt. Im Schatten der großen
Bühnenkompositionen stehend erklang das „Jugendwerk“
der Messa erst 72 Jahre nach deren Uraufführung erneut. Allerdings
nicht in Lucca, auch nicht in Europa – nein, dank der Puccini-Verehrung
eines italo-amerikanischen Priesters namens Dante Del Fiorentino
in Chicago.
Del Fiorentino hatte in jungen Jahren in Puccinis Wohnort Torre
del Lago den Komponisten kennen gelernt und später zahlreiche
Puccini-Handschriften und -Briefe gesammelt. So war er auch an eine
alte Abschrift der Messa gelangt. In den USA sorgte er für
die Veröffentlichung und die Wiederaufführung des Stücks
(1952), das sich in der Folge unter dem nicht originalen Titel „Messa
di Gloria“ in Kirche und Konzert durchsetzte. Das seitdem
verfügbare Aufführungsmaterial beruhte in erster Linie
auf der Del-Fiorentino-Abschrift und wurde zu Beginn der siebziger
Jahre nur teilweise anhand des Autographs korrigiert. In dieser
Fassung erlebte Puccinis Messa viele Aufführungen in der ganzen
Welt und auch mehrere Schalplatteneinspielungen.
Vom Exkurs in die Geschichte der Messa ins Jahr 2004 zurückkehrend
richtet sich ein abschließender Blick auf die erste vollständig
auf der autographen Partitur basierende Ausgabe. Anhand der exakten
Lektüre des originalen Textes konnte der Herausgeber die für
den späteren Opernkomponisten charakteristische Subtilität
und Flexibilität der Schreibweise transparent machen und die
Messa in ihrer „unbekümmerten Frische, in ihrer manchmal
geradezu frechen Verschmelzung von traditionellem Handwerk und jugendlichem
Sentiment“ (Schickling) neu verfügbar machen.