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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 10
53. Jahrgang | Oktober
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Die Copyrights
Bertelsmann und Sony legen ihre Musiksparten zusammen! Die Nachricht
wurde in den Wirtschaftsteilen der Medien gehandelt wie eine Fürstenhochzeit
des 16. Jahrhunderts. Habsburg verbindet sich mit den Bourbonen,
ein Hauch von Felix Austria verbreitet sich. Besitzverhältnisse,
Erbansprüche, Administrationen und Militärpotenziale werden
neu geordnet, die Welt hat sich verändert. Wie der „Stern“
meldete, wurde beim deutschen Bräutigam auch rechtzeitig das
Künstlerportfolio ausgemistet und Spielraum für mittlere
und größere Zukäufe geschaffen, um sauber vor den
Altar zu treten.
Als Highlight in den bevorstehenden Feierlichkeiten wurde ein großes
Festtournier bei freiem Eintritt für das Volk angekündigt,
in dem eine Gruppe modernst ausgerüsteter, konzerneigener Helden
gegen zweitausend Arbeitsplatzinhaber in die Arena steigen wird,
die aus allen Teilen des Reichs stammen. Von der Trophäe im
Wert von 350 Millionen werden die Gladiatoren einen Anteil erhalten,
wenn sie erfolgreich ausmisten. Das wird Stoff für allerlei
bunte Erzählungen in den Märchensendungen der hauseigenen
Medien geben, und die schönste wird sein, dass Frau Merkel
Herrn Schröder wieder einmal vorwerfen wird, die Koalition
sei an allem schuld.
Milchkühe wie Anastacia, Santana, Britney Spears und wie
sie alle heißen, sind jetzt unter einem Dach und werden an
die gemeinsame Melkmaschine angeschlossen. Die Verwertungskette
ist nun weitgehend hausintern verankert und kann zentral verwaltet
werden. Eine neue glückliche Ära beginnt.
Doch ganz weit hinten in dieser modernen Produktionsanlage, irgendwo
in einem unansehnlichen Altbau, der mangels Attraktivität noch
nicht in den Merger einbezogen wurde, sind noch einige andere Milchkühe
untergebracht, die unauffällig wie eh und je ihr tägliches
Soll abliefern. Die einen mehr, die andern weniger, einige müssen
vorübergehend auch mal durchgefüttert werden. Gemolken
wird hier noch weitgehend von Hand. Die braven Vierbeiner heißen
Verdi und Puccini, Vivaldi und Nono, Sciarrino und Klaus Huber,
Rossini und Adorno (richtig, der Komponist).
Sie gehörten zum großen Verlag Ricordi, der einst das
musikalische Italien repräsentierte und dessen Name jedes Bandmitglied
in Kalabrien und jeder Opernintendant der Welt kannte. In den letzten
Jahrzehnten war er auch in der Neuen Musik präsent. Vor zehn
Jahren wurde er von der Bertelsmanntochter BMG gekauft und seither
dem Konzern Schritt um Schritt eingegliedert. Komponisten und Arbeitsplätze
wurden ausgemistet, und was übrig blieb, ist der Schatten eines
Unternehmens, das in seinen alt gewachsenen Strukturen zweifellos
reformbedürftig war, durch eine zehnjährige Rosskur nun
aber zu einem Suppenkaspar abmagerte. Die Bedeutung des Namens Ricordi
beschränkt sich heute auf ein Logo in den Partituren und auf
der BMG-Website.
„Was uns interessiert hat, sind einzig die Copyrights“,
ließ damals ein Bertelsmann-Oberer unter vier Augen vernehmen,
und im Übrigen seien ihnen die Ricordi-Eigner nachgelaufen.
Vielleicht mag es ja so gewesen sein, in der Zeit unmittelbar vor
Berlusconi, und die italienischen Unternehmen warteten möglicherweise
begierig auf den politischen Repräsentanten des neuen ökonomischen
Denkens, der sie von jeder gesellschaftlichen und kulturellen Verpflichtung
freisprechen sollte. Nun ist die Operation zwar gelungen, der Patient
aber halbtot, und der Kontrolleur der lokalen Niederlassung BMG
Italia, die das Logo von Ricordi auf der Homepage stehen hat, hat
seine Karriere mit dem Verkauf von Home Videos gemacht.
Die große Frage in diesem absurden Copyright-Monopoly lautet:
Was kann ein auf Entertainment getrimmter Multi mit Nonos „Prometeo“,
was ein Home-Video-Verkäufer mit Hubers „Senfkorn“
anfangen? Dafür haben wir unsere Spezialisten vor Ort, würde
die Antwort sofort lauten. Doch unter den Spezialisten ist so radikal
ausgemistet worden, dass die wenigen Verbliebenen vor lauter Rotieren
ihren Bildschirm im Büro nicht mehr sehen und ihre Hauptbeschäftigung
darin besteht, die internationale Verwaltungshierarchie mit Zahlen
und Prognosen über zu erwartende Verkäufe und einzusparende
Arbeitsplätze zu versorgen.
Vielleicht ergeben sich ja einmal die berühmten Synergieeffekte
innerhalb der hauseigenen Verwertungskette, indem Adornos Streichquartett
als Erkennungsmelodie bei Old Big Brother genutzt wird oder aus
Nonos Scala enigmatica ein Handy-Klingelton entsteht. Was ein Multi
unter Kultur versteht, darüber ist in einem Tagungsbericht
des Grazer Instituts für Wertungsforschung zu lesen, wo berichtet
wird, wie BMG zum Verdi-Jahr 2001 in Paris ein Sportstadion mietete
und Sängerstars dort ihre Verdi-Arien schmettern ließ.
Die Werbebotschaft lautete: „Das ist unser Verdi.“
Der Fall Ricordi ist zwar nur Beispiel, hat aber prototypische
Bedeutung. Das traditionelle Musikverlagsgeschäft, Teil einer
genuin europäischen Kulturtradition, ist in den Sog der Globalisierung
geraten, und allerorten versucht man, zu bewahren, was sich bewahren
lässt und sich anzupassen an den steifen Wind des Fortschritts.
Der Londoner Verlag Boosey & Hawkes hat sich neulich, um die
Kaufgelüste eines amerikanischen U-Musik-Agenten abzuwehren,
mit Schott zu einem Joint Venture zusammen geschlossen. Auch andernorts
wird heftig gerechnet, wie mit den musikalischen Schätzen der
Vergangenheit und neu erworbenen Rechten in den nächsten Jahren
über die Runden zu kommen ist.
Dass im Vergleich zum Big Game der Popmusik der klassische E-Musik-Verlag
uninteressant für die Großen sei, dass er auf Dauer in
seiner kulturellen Nische verharren und vom globalen Mediengeschäft
abgekoppelt bleiben könne, ist eine fromme Wunschvorstellung.
Wer sich nicht wappnet, geht unter. Das ist das Wolfsgesetz der
neuen Ökonomie. Irgendwo weit hinten, im Schatten von Blur,
Pulp und Pet Shop Boys, gibt es heute in jedem medialen Großfürstentum
eine Baracke für Beethoven und Co.