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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 39
53. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Laboratorium für das europäische Miteinander
young.euro.classic zum fünften Mal in Berlin · Von
Albrecht Dümling
Die Bilanz kann sich sehen lassen: die in diesem Sommer insgesamt
17 Konzerte von young.euro.classic waren zu 92,75 Prozent ausgelastet.
Das nun zum fünften Mal durchgeführte Festival europäischer
Jugendorchester fand damit eine gegenüber den Vorjahren sogar
noch verstärkte Publikumsresonanz. Begonnen hatte man im Sommer
2000 mit 24 Konzerten und einer Auslastung von 71 Prozent. Das in
diesem Jahr besonders schöne Augustwetter war wohl mitverantwortlich,
dass sich an jedem Abend eine große, bunte Menschenmenge an
den Stufen des Berliner Konzerthauses am Gendarmenmarkt zusammenfand,
um drin-nen gemeinsam auf Entdeckungsreise zu gehen.
Das Berliner Festival ist gerade nicht jene bewährte Mischung
aus Barock und Klassik, die an anderen Orten für touristisch
sinnvoll erachtet wird. Trotz Stars wie Vadim Repin und Dirigenten
wie Lothar Zagrosek und Yan Pascal Tortelier fehlten die üblichen
Publikumsmagneten. Meist waren die Orchester, die Dirigenten und
Solisten und oft auch die Werke nahezu unbekannt. Aber selbst bei
Kompositionen von Juris Karlsons, José García Román
oder Nina Šenk gab es volle Säle. Denjenigen, die glauben,
nur häppchenweise servierte Meisterwerke könnten Rundfunkhörer
bei der Stange halten, wurden schlagend widerlegt.
Der Klang der Regionen
Mitglieder des Orchesters
der Musikakademie Ljubljana. Foto: YEC/Kai Bienert
Offenbar gibt es eine Neugier auf das Musikleben der verschiedenen
europäischen Länder. Unter den insgesamt 1.500 aktiven
Teilnehmern waren neben international besetzten Ensembles in diesem
Jahr Lettland, Irland, Deutschland, Spanien, Großbritannien,
die Slowakische Republik, Finnland und Slowenien mit eigenen Orchestern
vertreten. Man konnte beobachten, wie die wechselnden Nationen ebenso
wie die unterschiedlichen Sponsoren jeweils eigene Zuhörerkreise
mobilisierten.
Vom Hang der Balten zu harmonischen, meditativen Klängen wusste
man schon. In „Koana“ (2003) des Letten Juris Karlsons
verband sich dies mit der Frage nach dem „großen Paradox
der heutigen Welt“, der angeblich friedensstiftenden Kriegsführung.
Aber das schlichte Gegenüber von gehetztem Tumult und „friedlicher“
Ruhe von Streichern, Flöten und Glocken konnte diese anspruchsvolle
Frage weder inhaltlich noch musikalisch befriedigend beantworten.
Den großen Apparat von zwei Orchestern forderte der Nordire
Philip Hammond in seiner Komposition „Carnavalesque“
(2002), einer Studie über etüdenhafte Ostinati, ohne dies
musikalisch rechtfertigen zu können. Es spielte das National
Youth Orchestra of Ireland, das im hinzukomponierten Pluto-Satz
von Gustav Holsts „Planeten“ auch sängerisch glänzte.
Dass selbst große Komponistennamen nicht automatisch Qualität
garantieren, zeigte sich an Hans Werner Henzes „Triplo Concerto
Barocco“ für die konzertierenden Instrumente Klavier,
Cembalo und Orgel. Das jetzt uraufgeführte Stück wurzelt
in einer 1980 entstandenen Filmmusik, was den flächigen Arrangements
allzu deutlich anzumerken war. Nur selten durchbrachen in diesem
durch den Roman „Concierto barocco“ des Kubaners Alejo
Carpentier angeregten Pasticcio originelle Klänge, etwa die
von Steeldrums, die vorherrschende Konventionalität. Zum schwachen
Eindruck trug die blasse Leistung des Joven Orquestra Sinfónica
del Principado de Asturias unter Arturo Tamayo bei, das mit der
nachfolgenden Sinfonie Nr. 1 von Schostakowitsch schlicht überfordert
war. Nicht viel besser stand es um die ebenfalls an diesem Abend
uraufgeführte „Elegía“ (2004) von José
García Román, die an die Opfer des Madrider Attentats
vom 11. März erinnerte.
Das erst im Jahr 2000 gegründete Jugendorchester der Slowakischen
Musikgesellschaft wirkte dagegen homogen und in sich ausgeglichen.
Bei seiner ersten Auslandsreise war es hochmotiviert, Musik aus
seiner Heimat zu präsentieren, was sich an der im Saal aufgehängten
Fahne, Ansteckern an der Kleidung sowie nicht weniger als drei slowakischen
Werken zeigte. Neben der dritten Sinfonie des Altmeisters Alexander
Moyzes, die zwischen Beethoven’schem Pathos und Ravel’schen
Farbwirkungen changierte, gab es zwei Uraufführungen, die allerdings
in ihrer kompositorischen Substanz noch weniger überzeugten.
Mirko Krají wollte mit „Post scriptum“ (2004),
einem sehr konventionellen dreiteiligen Werk, über „universale
Kausalitäten“ reflektieren. Der 1961 geborene Peter Machajdík,
der einmal zu den musikalischen Dissidenten seines Landes gehörte,
begab sich in seinem neuen Stück „Das Vergessene wiedergefunden“
(2004) mit Wasserbecken und Glockenklängen auf die Suche nach
der verlorenen Oktave.
Musikalische Qualitäten sind weder von der Größe
eines Landes noch von jahrhundertealten Traditionen abhängig.
So hinterließ das erstmals beim Festival auftretende National
Youth Orchestra of Wales einen sehr guten Eindruck. Ebenso überzeugte
das 1986 gegründete finnische Sinfoniaorkesteri Vivo, das neben
der zweiten Sibelius-Sinfonie das suggestiv farbige Konzert für
Vögel und Orchester „Cantus Arcticus“ von Einojuhani
Rautavaara sowie ein brandneues Konzert für Viola und Orchester
des Rautavaara-Schülers Harri Ahmas spielte.
Zum ersten Mal war Slowenien vertreten. Bei der Wahl des aus Beirut
stammenden amerikanischen Dirigenten George Pehlivanian und vor
allem der jungen Solistin Anja Bukovec zeigte das Symphonieorchester
der Musikakademie Ljubljana Sinn für Showqualitäten. Ein
Raunen ging durch den Saal, als die schlanke Geigerin nabelfrei
mit Top und glänzender Laminathose wie ein Popstar bekleidet
das Podium des Großen Konzertsaals betrat. Da sie aber nicht
nur attraktiv aussah, sondern auch im neuen, von Popeinflüssen
ganz unberührten Violinkonzert von Nina Šenk ruhige Soli
und hektische Motorik makellos bewältigte, war der Jubel groß.
Eine andere Art von Show hatte es einige Tage zuvor beim Auftritt
des Bundesjugendorchesters gegeben. Mit der anspruchsvollen Programmfolge
von „Mänadentanz“ aus Henzes Oper „Die Bassariden“,
den Symphonischen Tänzen aus Bernsteins „West Side Story“
und Strawinskys „Sacre“ lag der Hauptakzent auf dem
Rhythmus. Der Dirigent Eiji Oue, Sohn eines Samurai, war damit in
seinem Element und feuerte mit tänzerischem Elan und immer
neuen Bewegungsfolgen die begeisterten Musiker zu wahren Ekstasen
an, ohne allerdings die Tücken der Raumakustik zu bedenken.
Was brillant und durchsichtig begann, endete allzu oft in dröhnendem
Lärm.
Internationale Orchester
Den Orchestern der einzelnen Länder und Regionen standen
internationale Klangkörper gegenüber, die ihre Mitglieder
in teilweise komplizierten Verfahren auswählen. Die Attraktivität
der Jungen Münchner Philharmonie für viele Ausländer,
nicht zuletzt aus Asien, liegt sicher unter anderem in der Schönheit
der Auftritts- und Probenorte Seon und Andechs. Eine Neigung zu
risikoloser Schönheit zeigte sich aber auch im ausgewählten
Repertoire, das neben Bruckners 3. Symphonie (von Mark Mast sehr
pomphaft dirigiert) aus bewährten und konventionellen Stücken
der US-Amerikaner Cecil Effinger und Joseph Schwantner bestand.
Als flexibler erwies sich das Schleswig-Holstein Festival Orchester,
das in diesem Jahr erneut zu den Stars von young.euro.classic gehörte.
Unter Lothar Zagroseks ebenso präziser wie anfeuernder Leitung
wirkte Béla Bartóks Konzert für Orchester so
ausgefeilt, spielten die einzelnen Instrumentengruppen so plastisch
und homogen, dass man kaum glaubte, dass hier Musiker aus 29 Nationen
für einen einzigen Sommer vereint waren.
Das Festival versteht sich als Symbol und Werkzeug des zusammenwachsenden
Europa. Dem entspricht die Unterstützung durch prominente Paten
sowie durch ein „Diplomatic Board“. Mit einem aus Letten
und Spaniern zusammengesetzten Campus-Orchester wollte man ausprobieren,
wie auch extrem unterschiedliche Temperamente miteinander auskommen.
Die an zwei Abenden präsentierten Resultate ließen noch
Wünsche offen, jedoch wollen die Veranstalter auf diesem Weg
weitergehen.