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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 14
53. Jahrgang | Oktober
Gegengift
Gegengift
Hitler und Neger
Je länger er tot ist, desto lebendiger wird er, rumort als
Untoter in unserem Unbewussten und macht Skandal, wo immer er auftritt:
Hitler, das Gespenst des Jahrhunderts. Wer sich mit ihm befasst,
gar sich zu ihm äußert, ist nicht mehr der, der er war
(oder zu sein wähnte).
Nobelpreisträger und andere große Schriftsteller, für
die der Kunstvorbehaltsparagraph gilt, mögen den „Bruder
Hitler“ in sich entdecken, was im Grunde nichts anderes als
die Auschwitz-Ära-Variante der schon bei Goethe angeberischen
Behauptung ist, dass dem Genie nichts Menschliches fremd sei. Nah
am Abgrund dichtet es sich eben trefflich. Und schon garantiert
unverdächtige Antifaschisten wie Klaus Theweleit oder Elisabeth
Bronfen wussten, dass der Autor über Leichen geht – und
gut von ihnen lebt.
Während also für Olympier und solche, die es werden wollen,
der Vergleich mit Hitler nicht nur erlaubt, sondern honorig ist,
ist er für profane Berufstätige existenzgefährdend.
Das musste vor nicht allzu langer Zeit unsere (dann: Ex-) Justizministerin
leidvoll erfahren, die in trauter Hinterzimmerrunde bei vorgerückter
Stunde eine Ähnlichkeit zwischen „Adolf Nazi“ und
George „infinite justice“ Bush zu entdecken meinte und
darüber zwei elementare Wahrheiten vergaß. Erstens: Was
immer einer über Hitler sagt, es spricht sich herum. Zweitens:
Im Licht der Öffentlichkeit verbietet sich jeder „Vergleich“
mit dem mörderischen Führer; es kann da gar keine Tatsachenbehauptungen
geben, die der unaufgeregten Überprüfung harren. Selbst
ein Satz wie George W. Bush liebt kaltes „klares“ Wasser
wie einst Adolf Hitler wird in dieser panischen Perspektive zur
bösartigen Unterstellung.
Durch Hitler wird eben jeder und alles verrückt, mit sonst
üblichen Maßstäben lässt sich da nicht messen.
Beispiel Bayreuth. Der Führer liebte bekanntlich Wagner. Aber
es sollte gefälligst bei diesem isolierten Faktum bleiben.
Wer da ein längeres Gedankenspiel anknüpfte, würde
am Ende nur selber hängen. Wie aber ist, wenn man erst dies
alles zugestanden hat, die jüngste „Parsifal“-Posse
zu werten, von der man nicht so genau sagen kann, ob sie gelungener
PR-Gag, götterdämmernde Performance eines liebeskranken
Wagner-Sängers oder ein weiteres Beispiel für das Fortwirken
des allgemeinen Teufels Hitler war. Der „Diabolos“ ist
bekanntlich der Durcheinanderwerfer, der, der das Unterste nach
oben bringt und die Optik verkehrt. Wie lässt sich sonst erklären,
dass der saubermännische Maniac Kontrahent Schlingensief ausgerechnet
einen „Nazi“ nannte und seine eigene Bemerkung, „Neger“
hätten bei Wagner nichts verloren, dadurch von jedem Verdacht
eines blond-blauäugigen Rassismus reinigen wollte, dass er
betonte, es ginge hier nicht um den Neger als Neger, sondern höchstens
um dessen allgemeine Kulturlosigkeit und er würde nicht weniger
streng urteilen, wenn Schlingensief versuchte, einen weißen
Berliner Penner in Wagners Weihespiel unterzubringen.
Wie gefährlich Hitler ist, kann man derzeit auch anlässlich
von Eichingers „Untergang“ feststellen. Bruno Ganz zum
Beispiel sieht auf dem SPIEGEL-Cover nicht nur so hitlermäßig
aus, wie es Hitler selbst, Dilettant, der er bekanntlich war, nie
hingekriegt hat. Er fühlt sich auch wie Hitler, leidet an seinen
Schweinereien, wie der freilich nie gelitten hat und bestätigt
in allem die verzweifelten Interventionen seines Sohns, der, von
Kindesbeinen an kinomäßig mit Gespenstern und Metamorphosen
aller Art vertraut, den Papa vor seiner Verwandlung gewarnt hatte.
Der aber, ganz faustischer Künstler, musste da durch, den Schweinhehund
zur Raison bringen und hat jetzt den Salat – oder sollte es
sich tatsächlich um Lorbeer handeln.