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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 16
53. Jahrgang | Oktober
Hochschule
Ereignis von erregender Einmaligkeit
Konzertprojekt „Karneval der Tiere und Pianisten-Cocktail“,
Teil I · Von Reinhild Spiekermann
„Niemand hätte die beschwerliche Reise und den ungewohnten
Kostümzwang auf sich genommen, wenn es sich nicht um ein kulturelles
Ereignis von erregender Einmaligkeit handelte – den Karneval
der Tiere!“ In freier Anverwandlung des Loriotschen Eingangstextes
zum „Karneval der Tiere“ lässt sich feststellen:
auch die Leiterin der Johannes-Brahms-Schule in Detmold, Ele Grau,
und ich hätten die planerische und musikalische Reise nebst
ungewohnten Sach- und Organisationszwängen nicht auf uns genommen,
wenn wir nicht vom pädagogischen Modellcharakter dieses Konzertprojekts
überzeugt gewesen wären.
Schon seit den ersten gemeinsamen Gesprächen, in wie weit
eine Verzahnung von Studium und Beruf in Detmold möglich ist,
trugen wir uns mit dem Gedanken, ein gemeinsames Konzert zu veranstalten.
Unser Wunsch war es, möglichst vielen Kindern und Jugendlichen
einen Auftritt in der Hochschule zu ermöglichen und dabei zugleich
den Studierenden eine Chance zu geben, die Probenarbeit mit Heranwachsenden
aller Altersstufen kennen zu lernen. Das Jubiläumsjahr der
Johannes-Brahms-Schule anlässlich ihres 45-jährigen Bestehens
bot einen willkommenen Anlass, dieses Konzertprojekt in den Reigen
der festlichen Kooperationskonzerte der Musikschule aufzunehmen
und zugleich den Anspruch der Hochschule, eine Hochschule der Kooperationen
zu sein, zu untermauern.
Planungsphase
Natürlich stand zu Beginn die Frage im Raum, welches Werk
einstudiert werden soll. Das von Dr. Maximilian Hofbauer erstellte
Arrangement des hinlänglich bekannten „Karneval der Tiere“
von Camille Saint-Saens bot sich aus verschiedenen Gründen
an. Im Gegensatz zur Originalfassung ist ein Großteil der
Orchesterstimmen zusätzlich auf die Pianisten (oft sogar auf
vier Pianisten) übertragen worden, für Studierende mit
dem Hauptfach Klavier ein dankbares Spielfeld! Dies bedeutet aber
auch, dass man in der Besetzung der übrigen Stimmen folglich
sehr frei verfahren und somit auf örtliche Gegebenheiten reagieren
kann. Hinzu kommt, dass viele Kinder der Grundstufe einer Musikschule
den „Karneval der Tiere“ im Unterricht kennen lernen
und auf sehr kreative Weise verarbeiten. Für uns waren das
viele gute Argumente, dieses Großprojekt in Angriff zu nehmen
und ins Leben zu rufen.
Fakten
Im Handumdrehen waren mehr als 130 Mitwirkende gewonnen, davon
rund 85 Kinder aus Früherziehungs- und Grundausbildungskursen
im Alter von vier bis sieben Jahren. Unter Anleitung ihrer Lehrerinnen
studierten diese Gruppen verschiedene Nummern des „Karnevals“
ein, um sie im Konzert vielfältig gestaltet auf der Bühne
darzustellen: Chiffontücher, Löwenperücken, Fischkostüme
oder kunstvoll erstellte Schwanenmasken sorgten für einen bunten
Anblick bei der Verbildlichung der Musik.
Ein Großteil der Studierenden im Seminar „Fachdidaktik/-methodik
Klavier“ erklärte sich spontan bereit zur Mitwirkung,
so dass das pianistische Material auf zehn Spieler verteilt werden
konnte. Parallel zur Besetzung dieses „musikalischen Rückgrats“
prüfte die Musikschule, in welchem Umfang die Instrumentalstimmen
besetzt werden können. Für nahezu alle im Arrangement
verteilbaren Stimmen fanden sich Mitwirkende aus den unterschiedlichsten
Instrumentalklassen der Johannes-Brahms-Schule. Zuletzt wurde noch
der Rektor Prof. Martin Christian Vogel als Sprecher gewonnen, was
in seiner Symbolkraft nicht unterschätzt werden sollte.
Pianisten-Cocktail
Eine weitere Besonderheit des Arrangements sollte ausführlich
erwähnt werden: Saint-Saens hat die Eitelkeit der Spezies „Pianisten“
im Original gebührend zur Schau gestellt – Arrangeur
Dr. Maximilian Hofbauer treibt dies auf die Spitze. Die originalen
Fingerübungen von Saint-Saens bilden nur noch den äußeren
Rahmen für ein rasant-pianistisches Feuerwerk, das an eine
gigantische Klavierstunde – im Zeitraffer ablaufend –
erinnert. Rund 50 Werkausschnitte, die potpourriähnlich montiert
sind, stellen an Klavierspieler aller Alters- und Leistungsstufen
beinahe akrobatische Ansprüche. Es geht um kurze, glänzende
Auftritte eines jeden, bevor der Nächste schon wieder ungeduldig
ans Klavier drängt. Schon Gounods „Ave Maria“,
zu Johann Sebastian Bachs C-Dur-Präludium erklingend, heitert
düstere Klavierstundenerinnerungen auf. In rascher Aufeinanderfolge
ertönen Zitate von Mendelssohn oder Schumann, dann zeigen die
Anfänger am Klavier, dass es nicht nur Czerny, Diabelli oder
Burgmüller gibt, sondern dass Schaum auch Wohlklingendes komponierte.
Nach Eingreifen Beethovens hört man wieder „ordentliche“
Klassik, gefolgt von einem Zitatenmix aus Werken von Brahms, Liszt
oder Paganini. Über Spätromantik und Impressionismus klingt
der aberwitzige „Cocktail“ mit Milhauds „Brazileira“
aus. Die abschließenden Terzenübungen der Pianisten holen
alle Beteiligten wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.
Auch wenn der „Cocktail“ in die Hände von maximal
68 Spielern gelegt werden kann, hatten wir uns entschlossen, es
bei der Hälfte an Pianisten zu belassen, um den Probenaufwand
kalkulierbar zu machen. In einer Vorprobe stellten wir sicher, dass
die Studierenden das Ineinandergreifen ihrer Klavierparts können,
– dennoch blieben genügend Stellen, in denen Unter- beziehungsweise
Mittelstufenschüler im Quodlibet mit den Studierenden zu spielen
haben. Für einen Moment gewannen Besorgnis und Frustration
die Oberhand, ob diese verrückte Mixtur überhaupt zu schaffen
ist.
Vielleicht hatten wir in der Euphorie der Stimmverteilung den Fehler
gemacht, zu viele der Spieler an beiden Flügeln abwechselnd
einzusetzen? Wäre es nicht viel besser gewesen, jeden Spieler
eindeutig einem Instrument zuzuordnen? Doch auch dies ließ
sich im Verlauf der achtwöchigen Probenphase ausbügeln,
so dass die letzten Proben vergnügt entspannt verliefen.
Pädagogisches
Welche pädagogischen Impulse setzte das Projekt? Für
mich als Leiterin des Studiengangs Musikpädagogik gab es einen
zentralen Gedanken: Studierende konnten hautnah erfahren, in welchen
Spannungs- und Spielräumen die Arbeit mit musikalischen Laien
stattfindet. Dieses Mal lag der Fokus eben nicht auf dem kontinuierlichen
Prozess des Instrumentalunterrichts, sondern auf der Erarbeitung
eines Werks, das innerhalb weniger Wochen auf die Bühne gebracht
werden sollte. Den Studierenden wurden Möglichkeiten eingeräumt,
zusätzliche Kompetenzen im Bereich der Projektarbeit zu erwerben.
Im Hinblick auf spätere Praxisfelder gewinnen ja gerade diese
Fähigkeiten an Bedeutung. Manch einem Absolventen hat schon
die engagierte Teilnahme an einem Projekt weitere Berufstüren
geöffnet. Der Kompetenzzuwachs in einem Teilbereich kann ungeahnte
Kräfte in anderen Bereichen freilegen. Sehr interessant war
in diesem Zusammenhang auch die Beobachtung, wie die Gruppe der
Studierenden einerseits zusammenwuchs (Stichwort: Integration verschiedener
Kulturen), wie andererseits der Einzelne mit seiner ganzen Persönlichkeit
auf die jeweiligen Stationen des Projekts reagierte. Wesentlicher
Aspekt war auch die Verknüpfung von Instrumentalpädagogik
mit dem Bereich der Allgemeinen Musikerziehung (AME). Vielen Studierenden
unserer Hochschule mit instrumentalem Hauptfach erschließt
sich die Bedeutung der AME nur sehr mühsam, allzu weit weg
vom eigenen Tun entfernt erscheinen Inhalte und Arbeitsformen.In
einem gemeinsamen Konzertprojekt, so hoffte ich, würden sich
Barrieren abbauen lassen und Sensibilisierung für die AME stattfinden.