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nmz-archiv
nmz 2004/10 | Seite 30
53. Jahrgang | Oktober
Jeunesses Musicales Deutschland
Neue Musik als Experiment, Arbeit und Erlebnis
„Jeunesse Moderne“ 2004 fand im französischen
Chambéry statt
„Abenteuer Neue Musik“ heißt der Untertitel
des Sommerkurses für zeitgenössische Kammermusik, den
die Jeunesses Musicales Deutschland zum vierten Mal in bewährter
Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Conservatoire Lyon durchführte.
Bewährt ist auch der regelmäßige Wechsel des Austragungsortes,
der diesmal im französischen Alpenstädtchen Chambéry
lag. Ein Abenteuer ist „Jeunesse Moderne“ auch für
die Veranstalter immer wieder – zum Glück nicht finanziell,
haben sich doch die Förderer bis 2006 zu einem kontinuierlichen
Engagement entschlossen: Die Allianz Kulturstiftung, die französische
Musikverwertungsgesellschaft SACEM und das Deutsch-Französische
Jugendwerk sind die hauptsächlichen Förderer. Dazu kommen
eine Zuwendung des Europafonds der Verwertungsgesellschaften FESAM
und Leistungen des Instituts für Kulturelle Innovationsforschung
Hamburg (IKI).
„Zurück zur Natur“
als programmatisches Motto: Zu einer besonders atmosphärischen
Improvisations-Session versammelten sich Teilnehmende in
dem Landhaus „Les Chemettes“ nahe bei Chambéry,
in dem der junge Jean-Jacques Rousseau die Grundideen seiner
Philosophie und Musikästhetik entwickelte. Foto: Conservatoire
Lyon
Ein Abenteuer ist die Tour d’Horizon durch das zeitgenössische
Kammermusik-Repertoire, die das künstlerische Direktorium jeweils
für den Kurs unternimmt: Martin Christoph Redel, Bundesvorsitzender
der JMD, Henry Fourès, Direktor des Konservatoriums Lyon,
und Reinhard Flender, Direktor des IKI an der Hamburger Musikhochschule
– alle drei sind selbst Komponisten.
Ein Abenteuer mehr ist die Entdeckung eines jeweils dritten, als
Gast eingeladenen Landes, dessen Musikkultur neue Ausblicke erlauben
soll – diesmal war es Portugal auf Einladung Frankreichs.
Ein Abenteuer ist jedes Mal die Erteilung von Kompositionsaufträgen
an junge Komponisten aus allen drei Ländern: Annette Schlünz
(Deutschland), Daniel Hugo Sprintz (Frankreich) und Patrici Suceda
Almeida (Protugal) studierten ihre Werke selbst mit den Teilnehmern
der Akademie ein. Das Abenteuer wagen vor allem aber die jungen
Musiker und Musikerinnen aus Deutschland, Frankreich, Portugal,
Österreich und der Schweiz, die zehn Tage lang mit einem hochkarätigen
Dozententeam die Klangwelten zeitgenössischer Musik erkunden
und dabei erstaunliche Entdeckungen machen.
„Das Spiel zeitgenössischer Werke wird bei Wettbewerben
wie „Jugend musiziert“ oder Aufnahmeprüfungen verlangt.
Eine kritische und ausführliche Auseinandersetzung mit der
sogenannten „modernen Musik“ findet im Unterrichtsalltag
an Musikschulen und Musikhochschulen meiner Erfahrung nach jedoch
nur unzureichend statt.
Umso spannender gestaltete sich für mich die Zielsetzung
von Jeunesse Moderne: eine Akademie für zeitgenössische
Kammermusik, deren Grundlage Werke des 20. und 21. Jahrhunderts
bilden, die von täglich stattfindenden Improvisationskursen,
Instrumentenworkshops und Vorträgen ergänzt werden.
Gerade die Improvisationskurse stellten für mich anfangs
eine Herausforderung dar. Sie konfrontierten mich, als eine an Noten,
Tempoangaben und Dynamikvorschriften gewöhnte Musikerin, mit
dem spontanen Erschaffen von Klängen und Geräuschen fernab
von dem mir bekannten Spiel. Es durfte auf den Instrumenten gekratzt,
geschlagen und verkehrt herum gespielt werden; dem Einfallsreichtum
jedes Einzelnen waren keine Grenzen gesetzt.
Schnell verwandelte sich meine anfängliche Unsicherheit in
Erstaunen. Es wurde mir die Möglichkeit geboten, einen Raum
zu nutzen, der mir sonst nahezu verschlossen bleibt; mit Klängen
zu experimentieren, zusammen mit den Anderen etwas zu erschaffen,
Musik ohne das Vorhandensein von Noten als Ausdruck von Emotionen,
Situationen und Gemeinsamem zu erleben.
Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelte sich während
der zehn Tage, die wir zusammen im August in Chambéry am
Fuße der französischen Alpen verbrachten, bei bunten
Abenden, spontanen Jazz-Sessions, gemeinsamen Ausflügen und
den drei unsere Arbeit abschließenden Konzerten. Vor allem
die täglich stattfindenden Kammermusikproben hatten internationalen
Charakter, in Besetzung wie auch Sprache.
Insgesamt waren wir 40 junge Teilnehmer, Schüler und Studenten,
aus fünf verschiedenen Ländern: Frankreich, Deutschland,
Österreich, der Schweiz und Portugal. Neben einem Organisationsteam,
einem dreiköpfigen Direktorium und den drei Komponisten, die
von Jeunesse Moderne einen Kompositionsauftrag erhalten hatten,
wurde die Akademie von weiteren sieben Dozenten begleitet.
Gerade durch diese im Umgang mit zeitgenössischer Musik erfahrenen,
im Konzertleben stehenden oder als Komponisten tätigen Musiker
konnte für mich eine intensive Auseinandersetzung mit dem Erfahren
und Erarbeiten der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts sowie neuen,
dem klassischen Musiker unbekannten Spieltechniken und fremden Klangwelten
erreicht werden.
Für mich persönlich hat Jeunesse Moderne eine Bereicherung
dargestellt, weiteres Interesse am Interpretieren zeitgenössischer
Werke und vor allem am Experimentieren geweckt. Und vielleicht sehen
wir uns ja alle nächstes Jahr in Weikersheim wieder, bei Jeunesse
Moderne 2005...“.
Miriam Schmitz
Eine brandneue CD von „Jeunesse Moderne“ liegt soeben
vor. Sie beinhaltet mit einer Spieldauer von 66 Minuten Konzertmitschnitte
der Uraufführungen der Auftragswerke der Jahre 2001 bis 2003
(Tobias PM Schneid, Vincent Carinola, Moritz Eggert, Frédéric
Pattar, Benjamin Schweitzer, Daniel d’Adamo und Aleksander
Kosciow) und ein informatives Booklet. Sie ist für einen
Unkostenbeitrag von 10 Euro beim JMD Generalsekretariat in Weikersheim
zu beziehen.